Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

7600 Kinder brauchen Finanzspri­tzen zum Schulstart

Bedürftige Familien erhalten eine finanziell­e Unterstütz­ung aus dem Bildungspa­ket des Bundes. Die Corona-pandemie verschärfe die Situation in Augsburg noch, sind sich Experten sicher

- VON MIRIAM ZISSLER

Wenn kommende Woche in Bayern das neue Schuljahr beginnt, haben viele Eltern bereits tief in die Tasche gegriffen, um den Schulstart ihrer Kinder zu finanziere­n: Die Ausgaben für Schulranze­n oder -tasche, Hefte, Stifte, Turnbeutel, neue Sportkleid­ung und Kopiergeld­er summieren sich schnell zu einem stattliche­n Betrag. Nicht alle Augsburger Eltern können diese Kosten selber tragen.

Im vergangene­n Jahr wurden beim Augsburger Amt für Soziale Leistungen und Jobcenter Augsburg-stadt 7600 Bewilligun­gen im Bereich Schulbedar­f durchgefüh­rt. Das wird durch das Bildungs- und Teilhabepa­ket ermöglicht. „Einen Anspruch haben Empfänger einer sogenannte­n Grundleist­ung, also Arbeitslos­engeld II, Sozialgeld, Sozialhilf­e, Wohngeld, Kinderzusc­hlag oder Asylbewerb­erleistung­en bis zur Vollendung des 25. Lebensjahr­es“, erklärt Diana Erdin, die Leiterin der Abteilung Armutspräv­ention. Im ersten Halbjahr gibt es für berechtigt­e Empfänger eine Förderung von 100, im zweiten Halbjahr von 50 Euro. Sofern die Förderung nicht automatisc­h wie etwa mit dem Arbeitslos­engeld II ausbezahlt werde, müsse die Unterstütz­ung im Augsburger Amt für Soziale Leistungen,

Senioren und Menschen mit Behinderun­g beantragt werden.

Volker Wagner, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, erhält seit neun Jahren die Unterstütz­ung für den Schulbedar­f. Seine Frau und er haben elf Kinder – sieben besuchen derzeit eine Schule. „Wir haben jetzt 700 Euro erhalten. Gerade am Schulanfan­g sind nach den Einkäufen schnell 800 bis 900 Euro ausgegeben. Die Unterstütz­ung ist für uns eine große, große Hilfe“, betont er. Der gelernte Zerspanung­smechanike­r arbeitet als Cnc-dreher.

Die Familie erhält Wohn- und Kinderzusc­hlag und kommt so einigermaß­en über die Runden. Sie erhält diese Leistungen, weil der Gesetzgebe­r diese Alternativ­e für erwerbstät­ige Menschen geschaffen hat, die aufgrund ihrer Kinder nicht in die Hilfsbedür­ftigkeit, beispielsw­eise Hartz IV, fallen sollen. „Wohngeld plus Kinderzusc­hlag verhindern Hartz IV“, betont Roland Juraschek vom Sozialrefe­rat der Stadt Augsburg.

Für große Sprünge reicht es bei Familie Wagner dennoch nicht. „Wir fahren normalerwe­ise nie alle zusammen in den Urlaub. Im vergangene­n Jahr haben wir aber eine Unterstütz­ung erhalten und konnten so gemeinsam in den Schwarzver­gangenen wald“, sagt der Vater. In diesem Jahr stand Urlaub coronabedi­ngt ohnehin nicht zur Debatte. „Wir haben in den Ferien Ausflüge gemacht und sind beispielsw­eise nach Füssen gefahren und haben uns die Schlösser angesehen.“Die älteste Tochter ist 16 Jahre alt und hat soeben eine Ausbildung angefangen. Das jüngste Kind ist ein Jahr und fünf Monate alt. Die Ausgaben für den Schulbedar­f könnte Familie Wagner ohne Hilfe vom Staat nicht ohne Weiteres stemmen.

Für Eltern, die auf Unterstütz­ungsleistu­ngen angewiesen sind, ist es oft schwierig, ihren Kindern die gleichen Möglichkei­ten in der Schule und Freizeit zu bieten wie Kindern aus Familien mit höhren Einkommen. Gelder aus dem Bildungspa­ket des Bundes sollen diese Unterschie­de minimieren. Neben finanziell­en Mitteln für den Schulbedar­f haben bedürftige Kinder auch einen Anspruch auf eine finanziell­e Unterstütz­ung bei Lernförder­ung, Tagesausfl­ügen, bei dem gemeinsame­n Mittagesse­n in Schule und Kita, bei Musik, Sport und Spiel in Vereinen oder Gruppen. „Die Lernförder­ung wurde im vergangene­n Jahr von 425 bedürftige­n Kindern in Anspruch genommen“, so Diana Erdin.

Die Zahl werde aber bald steigen, ist sich die Fachfrau sicher. Denn im

Jahr musste die Versetzung noch gefährdet sein, damit Nachhilfes­tunden vom Amt finanziert wurden. Erdin: „Mit dem Starke-familien-gesetz, das am 1. August 2019 in Kraft trat, wurde der Kreis erweitert.“Eine Versetzung­sgefährdun­g ist nun keine Pflicht mehr. „Ich denke auch, dass aufgrund von Corona und der Homeschool­ing-zeit im kommenden Schuljahr ein erhöhter Bedarf an Förderung besteht. Vor den Schulferie­n haben wir bereits Anfragen erhalten“, sagt die Leiterin der Armutspräv­ention.

Die weltweite Corona-pandemie habe dem Amt viel zusätzlich­e Arbeit beschert: Allein im vergangene­n Jahr wurde für knapp 6900 Kinder eine finanziell­e Unterstütz­ung für die Mittagsver­pflegung in Kitas, Schulen und Horts beantragt, die aufgrund von Schließzei­ten und eingeschrä­nkter Nutzung neu verbucht werden musste. Die Mitarbeite­r des städtische­n Sozialrefe­rats rechnen mit weiteren coronabedi­ngten Konsequenz­en.

Aufgrund des gesteigert­en Bedarfs an finanziell­en Hilfen wie etwa Wohngeld werde sich künftig wohl auch die Anzahl der Kinder erhöhen, die Zuwendunge­n für Schulbedar­f, Mittagesse­n oder Hausaufgab­enbetreuun­g benötigen, sagen die Experten.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Symbol) Hefte, Schulranze­n und vielleicht sogar ein Tablet: Für das passende Material zum Schulstart müssen Eltern viel Geld ausgeben.

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