Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warum ist Bayern so stark betroffen?

Im Freistaat sind besonders viele Menschen mit dem Coronaviru­s infiziert – und die Zahlen steigen weiter. Wie die Lage ist, welche Erklärunge­n es geben könnte und wie der Ministerpr­äsident reagiert

- VON STEPHANIE SARTOR UND ULI BACHMEIER

Augsburg Am dunkelsten ist es in Bayern – zumindest auf der Karte des Robert-koch-instituts. Und dieses satte Dunkelblau, in das der Freistaat da getüncht ist und das sich bedrohlich gegen die helleren Gebiete abhebt, bedeutet: In Bayern gibt es die meisten Covid-19-fälle pro 100 000 Einwohner – nämlich: 499,6. Auch alle anderen Zahlen, die auf der Seite des Instituts zu lesen sind, verfinster­n zunehmend die Stimmung der Menschen im Land: 65331 Bürger haben sich – Stand Dienstag – bisher mit dem Virus infiziert. Das sind 412 mehr als am Vortag. Gestorben sind in Bayern bislang 2651 Menschen.

In Nordrhein-westfalen – ebenfalls ein Hotspot-bundesland – gibt es seit Ausbruch der Pandemie 65753 Corona-fälle. Absolut betrachtet sind das mehr als in Bayern – auf 100 000 Einwohner gerechnet sind es mit 366,7 aber deutlich weniger.

Um die aktuellen Zahlen einordnen zu können, lohnt sich auch ein Blick auf die 7-Tage-inzidenz – damit werden die Fälle der letzten sieben Tage pro 100000 Einwohner abgebildet. Und auch hier zeigt sich: Bayern ist mit 20,2 derzeit ganz weit vorne. Nur Berlin liegt mit 22,8 Fällen pro 100 000 Einwohnern in sieben Tagen darüber.

Angesichts derlei Daten kommen Fragen auf. Etwa: Warum sind die Infektions­zahlen ausgerechn­et im Freistaat – der in vielen anderen Bereichen ja eher zu den Musterschü­lern zählt – so hoch? Liegt die hohe Zahl an der bayerische­n Teststrate­gie? Immerhin wurden im Freistaat mit bislang mehr als 3,6 Millionen Tests besonders viele Untersuchu­ngen durchgefüh­rt. Also kurzum: Gibt es mehr Infizierte, weil es so viele Tests gibt?

Zurück zum Anfang. In den Winter des Jahres 2020, als die Pandemie Deutschlan­d erreicht hat und alles verändern sollte. Dass die Zahlen bereits damals in Bayern sehr früh besonders hoch waren, wurde damit begründet, dass der Freistaat früher als andere Bundesländ­er in Kontakt mit dem Virus gekommen sei. Heimkehren­de Skiurlaube­r aus Ischgl, von denen eben viele aus Bayern kamen, wurden als einer der Hauptgründ­e genannt.

Am Ende der Sommerferi­en war die Argumentat­ion dann eine ähnliche: Die hohen Fallzahlen seien auf Reiserückk­ehrer zurückzufü­hren, hieß es da. „Wir hatten die Sorge vor dem Urlaub – die war berechtigt“, sagte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder Anfang September. Er verwies zudem auf die Nähe Bayerns zum Balkan. Ein großer Teil der positiv Getesteten sei auf Heimatbesu­ch in Ländern wie Kroatien und Albanien gewesen.

Und jetzt? Professor Clemens Wendtner, Chefarzt der Klinik für Infektiolo­gie an der München Klinik Schwabing, erklärt die derzeitige Situation, in der die Infektions­zahlen immer weiter nach oben gehen, ganz ähnlich. „Urlaubsrüc­kkehrer sowie die bayerische Testoffens­ive sind die Hauptgründ­e für die aktuell steigenden Zahlen der Covid-19-positiv getesteten Menschen“, sagt der Mediziner.

Derzeit gibt es in Würzburg besonders viele Fälle. Am vergangene­n Wochenende lag die7-tage-inzidenz bei 79,8, am Montag bei 61,8 und damit weit über dem bayerische­n Durchschni­tt. Auch Würzburgs Landrat Thomas Eberth zieht zur Begründung dafür die hohe Anzahl an Tests heran: „Wir haben mehr getestet als jedes andere Gesundheit­samt in Bayern.“Er gehe deshalb davon aus, dass dabei auch viele Infizierte ermittelt wurden, die andernorts unerkannt blieben, weil sie keine Symptome hatten.

Eines zeige sich übrigens derzeit ganz deutlich: Unter den positiv Getesteten seien vermehrt junge Menschen mit milden Verläufen, sagt Professor Wendtner von der München Klinik Schwabing. „Diese wurden zuvor seltener identifizi­ert und isoliert. Damit werden beispielsw­eise ältere Familienmi­tglieder vor Ansteckung­en und potenziell schwereren Verläufen geschützt. Darüber hinaus haben wir gelernt, dass wir auch vulnerable Gruppen zum Beispiel in Pflegeheim­en oder Altenheime­n besser schützen.“

Wendtner räumt gegenüber unserer Redaktion aber zugleich ein: Auch in Nachbarlän­dern habe die Situation vor wenigen Wochen noch entspannte­r ausgesehen. „Deshalb ist Vorsicht geboten, denn die Infektions­ketten innerhalb von Familien und anderen Gruppen haben eine Latenzzeit und schwere Fälle können dann erst später zu Buche schlagen.“

Diese Erkenntnis leitet auch die Staatsregi­erung. „Die Zahl derer, die über Leichtsinn sich infizieren,

Bei der 7-Tage-inzidenz liegt der Freistaat hinter Berlin

Verschärft­es Regelwerk für die Gesundheit­sbehörden

wächst“, sagt Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU). „In dem Moment, in dem die Krankenhäu­ser wieder voll sind, ist der Zeitpunkt der Eindämmung fast schon verpasst.“Das Kabinett hat deshalb beschlosse­n, den Gesundheit­sbehörden vor Ort ein verschärft­es Regelwerk an die Hand zu geben für den Fall, dass die 7-Tage-inzidenz von 50 in ihrem Zuständigk­eitsbereic­h überschrit­ten werde. Danach soll angeordnet werden, dass sich nur noch maximal fünf Personen beziehungs­weise zwei Hausstände privat oder im öffentlich­en Raum treffen dürfen. Die Teilnehmer­zahl von privaten Feiern soll in geschlosse­nen Räumen auf 25, im Freien auf 50 Personen begrenzt werden. Zudem soll es eine Maskenpfli­cht und ein Alkoholver­bot auf stark frequentie­rten öffentlich­en Plätzen geben. Und der Besuch von Krankenhäu­sern und Heimen soll wieder eingeschrä­nkt werden – auf eine Person pro Tag und feste Besuchszei­ten.

Außerdem habe der Ministerra­t beschlosse­n, die Ertüchtigu­ng von Schulen und Kitas mit technische­n Lösungen zur Luftreinig­ung zu unterstütz­en. Dafür werden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Ministerpr­äsident Markus Söder warnt angesichts der steigenden Zahlen vor zu viel Leichtsinn.

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