Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Roman der Puppenkiste
Der Schriftsteller Thomas Hettche erzählt die Gründung von Oehmichens Marionettentheater. Erhält er den Deutschen Buchpreis?
Die Premiere seines Romans „Herzfaden“hätte der Schriftsteller Thomas Hettche natürlich gern im Saal der Augsburger Puppenkiste gesehen. Um ihre Gründungsgeschichte dreht sich schließlich die ganze Erzählung. Aber immerhin war der Kleine Prinz aus der Marionettenbühne in die Neue Stadtbücherei gekommen, um Hettches Abend vor ausverkauftem Saal mit Puppenkiste-flair aufzuladen. Die Fäden des blonden Wuschelkopfs, der jeden Erwachsenen sofort verzaubert – so er denn hier das Kerlchen erspähen konnte –, zog Klaus Marschall, der Chef der Puppenkiste, persönlich.
Im Roman „Herzfaden“bildet das berühmte Buch von Antoine de Saint-exupéry den endgültigen künstlerischen Durchbruch von Walter Oehmichens Marionettentheater. Seine Augsburger Truppe – vor allem junge, kreative Köpfe – darf es 1951 vor der Akademie der Schönen Künste in Schloss Nymphenburg aufführen. Hettche schildert die aufregende Atmosphäre unter den Geistesgrößen der Nachkriegszeit, aber auch das zwiespältige Gefühl, dass neben den aufrechten Widerständlern auch die Wendehälse ins helle Licht treten.
Der Schriftsteller sieht die Ereignisse mit den Augen von Oehmichens Tochter Hannelore, mit Kosenamen Hatü genannt. „Sie ist im selben Jahr – 1930 – wie meine Mutter geboren und hat die ganze Kindheit im Faschismus verbracht. Wahrscheinlich hatte auch Hatü hernach das Gefühl, sich für das Falsche begeistert zu haben, und daraus die Konsequenz gezogen, sich für gar nichts mehr zu begeistern.“Hettche fuchst sich in die Zeitumstände bis ins Detail ein, verriet er im Talk mit Knut Cordsen, Kulturredakteur des Bayerischen Rundfunks. Möglichst konkret möchte er erzählen. Darum hat er nachgegraben, wie die Augsburger Frühlingsausstellung zur Kontaktbörse vom Nordwestdeutschen Rundfunk werden konnte.
Nein, eine Marionette habe er nie zuvor in der Hand gehabt und die Augsburger Puppenkiste nur vom Fernsehen gekannt. „Ich suche ihn nicht, aber irgendwann ist ein Stoff da, der mich affiziert“, plauderte er aus der Werkstatt des Schreibens. Im Kopf gingen ihm dann die Texte übers Marionettenspiel herum und Thomas Hettche bestätigte: „Sofort wird eine Figur lebendig, wenn man sie an den Fäden aufhebt.“Irgendwie sei das ähnlich dem Schreiben, wenn der Autor aus toten Worten und Sätzen durch seine Erzählkunst eine lebendige Handlung macht.
Mit „Herzfaden“hat Hettche, der eine ganze Reihe von Literaturpreisen für seine Bücher bekommen hat, einen Bestseller gelandet. Die erste Auflage mit 50000 Exemplaren ist vergriffen und der Roman ist Finalist für den Deutschen Buchpreis. Ob’s am 10. Oktober in Frankfurt tatsächlich etwas wird? „Ich war schon zweimal nominiert und ging leer aus, ich sehe das sportlich“, sagt er. Woher der Erfolg von „Herzfaden“rührt? „Ich hätte es mir nie gedacht. Ich weiß ja selbst nicht, ob es ein Buch für Kinder oder für Erwachsene ist.“
Jedenfalls ist die zweite Hauptfigur im Roman „das Mädchen“. Ihre Grundausstattung stand für den Vater von zwei Töchtern fest: „Eine Zwölfjährige kann ich nicht ohne ihr Smartphone beschreiben, die beiden sind quasi zusammengewachsen.“Jugendliche seien ständig kommunikativ unterwegs. Ihm fehle dazu die Zeit und die Lust: „Einen Tweet abzusetzen reicht mir formal nicht.“Hettche will stattdessen ausholen.
»Thomas Hettche: Herzfaden. Roman der Augsburger Puppenkiste, Kiepenheuer & Witsch, 280 Seiten, 24 ¤.