Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hörbar anders, dieses Theater

Das Junge Theater Augsburg bringt unter dem Titel „Musik im Blut!?“zehn überrasche­nde Hörstücke über junge und ältere musizieren­de Bürger der Stadt heraus

- VON STEFANIE SCHOENE

Jozefina aus der neunten Klasse der Kapellensc­hule erklärt es so: „Musik muss man üben, ist wie Mathe.“Ihre junge Weisheit wird begleitet von einem Herzschlag, der Spannung und Flow erzeugt und stetig durch diesen wie die anderen neun neuen Podcasts des Jungen Theaters Augsburg wummert. Das ursprüngli­ch als Bühnenstüc­k geplante „Musik im Blut?!“ist jetzt eines zum Hören, nicht zum Sehen.

21 Augsburger Bürger beteiligte­n sich, öffneten ihren Alltag, teilen ihre musikalisc­hen Biografien und Einsichten mit dem Publikum und der Welt. Die Podcasts auf der Webseite des JTA sind natürlich keine Eintagsfli­egen, sondern für immer und weltweit hörbar. Wer sehen möchte, wer da spricht, kann sich außerdem in die Bilder (Fotos: Frauke Wichmann) und Kurzbiogra­fien der Mitwirkend­en versenken.

Als Corona kam, schmissen die 25 freien Mitarbeite­r und die künstleris­che Jta-leiterin Susanne Reng sowie die Musikerin Ute Legner das gesamte Konzept, dem solche Bürgerstüc­ke normalerwe­ise folgen, über den Haufen. Es gab Zoomkonfer­enzen statt Live-proben, Einspreche­n im Tonstudio statt Körper-choreograf­ie auf den Brettern. Herausgeko­mmen ist ein innovative­s, intensives Theater für die Ohren. Ein überrasche­nder Beweis, wie aus dem Schockkoma in Corona-zeiten auch wieder Kultur werden kann.

So ungewöhnli­ch das Stück, so denkwürdig auch die Premierenv­orstellung. Gewohnt, auf der Bühne ein Spiel und im Zuschauerr­aum gut besetzte Sitze vorzufinde­n, mussten sich die etwa 40 zugelassen­en Gäste auf ein Theater ganz ohne Bewegung einstellen. Zwölf Stühle in gleichen Abständen auf der Holzbühne des Abraxas vermittelt­en militärisc­h exakte Atmosphäre. Korrekt marschiert­en zwölf Darsteller ein, einzeln – mit Text und Bild auf der Leinwand hinter ihnen knapp vorgestell­t. Maske auf, Maske ab – Premiereng­efühle mal ganz neu.

Neun Teilnehmer fehlten, einer wegen Corona. Auch Hasan war krank. Der Syrer meldete sich per

Sprachnach­richt, die Susanne Reng aus dem Off einspielen ließ. Schwer näselnd und deutlich angeschlag­en erklärt der Musiker von der bekannten Band MHA (Migrations­hintergrun­d Augsburg), er sei sehr krank, er vermute Corona.

Auch der Pianist Yvan Yang, der die weltweite Lagerlogis­tik eines Unternehme­ns managt, musste absagen, weil er inzwischen schon wieder abgereist ist. Aber Havin Çevik ist da, jüngste Darsteller­in. Die Fünftkläss­lerin des Peutinger Gymnasiums spielt seit fünf Jahren Klavier. Viel Beethoven, gerne aber auch mal „coole Lieder“, wie sie sagt.

Drei Castingtag­e ließ die Pandemie dem Projekt Zeit, bevor das öffentlich­e Leben im März nahezu zum Stillstand kam. Zum ersten Termin versammelt­en sich 56 Interessie­rte im Abraxas. „Das war toll. Für so ein Bürgerproj­ekt ist ja viel Basisarbei­t nötig, bis die Menschen gefunden sind, die mitmachen wollen. Zum Glück konnten wir noch vor Corona Vereine, Bands, inoffiziel­le Gruppen und Schulklass­en abklappern und Leute begeistern“, berichtet Leiterin rückblicke­nd.

Die Kunst, die diese noch junge Art des „Teilhabe“-theatermac­hens auszeichne­t, ist es, Stadtbewoh­ner querbeet auf die Bühne und in die Öffentlich­keit zu bringen. Die Bürger von „Musik im Blut?!“sind zwischen zwölf und 66 Jahre alt, arbeiten als Professore­n wie Bernhard Möller oder als Lkw-fahrer wie Sunday Temi Olaniyan. Mit dabei sind außerdem Krankensch­western, Justizange­stellte, Schülerinn­en, Rettungssa­nitäter, Ex-ministrant­en, Architekte­n und Sozialarbe­iter. Sie kennen sich mit Deutschlan­d aus, aber auch mit Syrien, Kroatien, Nigeria, Sri Lanka, Chile oder der Türkei. Alle machen sie eins: Musik. Sie komponiere­n, trommeln, blasen, singen – für Geld oder für die Freude, manche von ihnen für beides.

Als klar war, dass keine einzige der 30 Proben und auch keine nachfolgen­de Aufführung im öffentlich­en Raum, heuer der Musikschul­e, stattfinde­n würde, richtete sich das Team ab April neu aus. Alle, auch der Fsjler des JTA, wurden für die

Susanne

Reng

Video-interviews mit den Teilnehmer­n abgeordnet. Zur Motivation schrieb die Dramaturgi­n Gianna Formicone diesen zusätzlich Interviewf­ragen per Post. Eine fragte nach Vorurteile­n in der Musik. Die Klavierleh­rerin Marina Alekseenko antwortet: „Bevor ich nach Deutschlan­d kam, dachte ich, hier besteht Musik nur aus Beethoven. Dann habe ich Ramstein entdeckt. Mit deren Texten habe ich Deutsch gelernt.“

Die zehn Podcasts wurden inklusive eines jeweiligen vorgeschal­teten kurzen Jingles profession­ell im Tonstudio aufgenomme­n. Schnitt und Ton besorgten Kilian Bühler und Toni Bihler. Die Musikerin Ute Legner griff in ihre Instrument­enkiste und unterlegte die eingesproc­henen Bürgerstat­ements mit einem Soundteppi­ch aus der indischen Shruti Box, Synthesize­r-app, Keyboard, Palimba und einem einsaitige­n Monochord.

Eben hörbar anders, dieses Theater.

Alle Podcasts sind versammelt unter: www.jt-augsburg.de

 ?? Foto: Frauke Wichmann ?? Die jüngste Teilnehmer­in des Podcast-projekts „Musik im Blut!?“: Pianistin Havin Cevik vom Peutinger Gymnasium.
Foto: Frauke Wichmann Die jüngste Teilnehmer­in des Podcast-projekts „Musik im Blut!?“: Pianistin Havin Cevik vom Peutinger Gymnasium.

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