Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Hörbar anders, dieses Theater
Das Junge Theater Augsburg bringt unter dem Titel „Musik im Blut!?“zehn überraschende Hörstücke über junge und ältere musizierende Bürger der Stadt heraus
Jozefina aus der neunten Klasse der Kapellenschule erklärt es so: „Musik muss man üben, ist wie Mathe.“Ihre junge Weisheit wird begleitet von einem Herzschlag, der Spannung und Flow erzeugt und stetig durch diesen wie die anderen neun neuen Podcasts des Jungen Theaters Augsburg wummert. Das ursprünglich als Bühnenstück geplante „Musik im Blut?!“ist jetzt eines zum Hören, nicht zum Sehen.
21 Augsburger Bürger beteiligten sich, öffneten ihren Alltag, teilen ihre musikalischen Biografien und Einsichten mit dem Publikum und der Welt. Die Podcasts auf der Webseite des JTA sind natürlich keine Eintagsfliegen, sondern für immer und weltweit hörbar. Wer sehen möchte, wer da spricht, kann sich außerdem in die Bilder (Fotos: Frauke Wichmann) und Kurzbiografien der Mitwirkenden versenken.
Als Corona kam, schmissen die 25 freien Mitarbeiter und die künstlerische Jta-leiterin Susanne Reng sowie die Musikerin Ute Legner das gesamte Konzept, dem solche Bürgerstücke normalerweise folgen, über den Haufen. Es gab Zoomkonferenzen statt Live-proben, Einsprechen im Tonstudio statt Körper-choreografie auf den Brettern. Herausgekommen ist ein innovatives, intensives Theater für die Ohren. Ein überraschender Beweis, wie aus dem Schockkoma in Corona-zeiten auch wieder Kultur werden kann.
So ungewöhnlich das Stück, so denkwürdig auch die Premierenvorstellung. Gewohnt, auf der Bühne ein Spiel und im Zuschauerraum gut besetzte Sitze vorzufinden, mussten sich die etwa 40 zugelassenen Gäste auf ein Theater ganz ohne Bewegung einstellen. Zwölf Stühle in gleichen Abständen auf der Holzbühne des Abraxas vermittelten militärisch exakte Atmosphäre. Korrekt marschierten zwölf Darsteller ein, einzeln – mit Text und Bild auf der Leinwand hinter ihnen knapp vorgestellt. Maske auf, Maske ab – Premierengefühle mal ganz neu.
Neun Teilnehmer fehlten, einer wegen Corona. Auch Hasan war krank. Der Syrer meldete sich per
Sprachnachricht, die Susanne Reng aus dem Off einspielen ließ. Schwer näselnd und deutlich angeschlagen erklärt der Musiker von der bekannten Band MHA (Migrationshintergrund Augsburg), er sei sehr krank, er vermute Corona.
Auch der Pianist Yvan Yang, der die weltweite Lagerlogistik eines Unternehmens managt, musste absagen, weil er inzwischen schon wieder abgereist ist. Aber Havin Çevik ist da, jüngste Darstellerin. Die Fünftklässlerin des Peutinger Gymnasiums spielt seit fünf Jahren Klavier. Viel Beethoven, gerne aber auch mal „coole Lieder“, wie sie sagt.
Drei Castingtage ließ die Pandemie dem Projekt Zeit, bevor das öffentliche Leben im März nahezu zum Stillstand kam. Zum ersten Termin versammelten sich 56 Interessierte im Abraxas. „Das war toll. Für so ein Bürgerprojekt ist ja viel Basisarbeit nötig, bis die Menschen gefunden sind, die mitmachen wollen. Zum Glück konnten wir noch vor Corona Vereine, Bands, inoffizielle Gruppen und Schulklassen abklappern und Leute begeistern“, berichtet Leiterin rückblickend.
Die Kunst, die diese noch junge Art des „Teilhabe“-theatermachens auszeichnet, ist es, Stadtbewohner querbeet auf die Bühne und in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Bürger von „Musik im Blut?!“sind zwischen zwölf und 66 Jahre alt, arbeiten als Professoren wie Bernhard Möller oder als Lkw-fahrer wie Sunday Temi Olaniyan. Mit dabei sind außerdem Krankenschwestern, Justizangestellte, Schülerinnen, Rettungssanitäter, Ex-ministranten, Architekten und Sozialarbeiter. Sie kennen sich mit Deutschland aus, aber auch mit Syrien, Kroatien, Nigeria, Sri Lanka, Chile oder der Türkei. Alle machen sie eins: Musik. Sie komponieren, trommeln, blasen, singen – für Geld oder für die Freude, manche von ihnen für beides.
Als klar war, dass keine einzige der 30 Proben und auch keine nachfolgende Aufführung im öffentlichen Raum, heuer der Musikschule, stattfinden würde, richtete sich das Team ab April neu aus. Alle, auch der Fsjler des JTA, wurden für die
Susanne
Reng
Video-interviews mit den Teilnehmern abgeordnet. Zur Motivation schrieb die Dramaturgin Gianna Formicone diesen zusätzlich Interviewfragen per Post. Eine fragte nach Vorurteilen in der Musik. Die Klavierlehrerin Marina Alekseenko antwortet: „Bevor ich nach Deutschland kam, dachte ich, hier besteht Musik nur aus Beethoven. Dann habe ich Ramstein entdeckt. Mit deren Texten habe ich Deutsch gelernt.“
Die zehn Podcasts wurden inklusive eines jeweiligen vorgeschalteten kurzen Jingles professionell im Tonstudio aufgenommen. Schnitt und Ton besorgten Kilian Bühler und Toni Bihler. Die Musikerin Ute Legner griff in ihre Instrumentenkiste und unterlegte die eingesprochenen Bürgerstatements mit einem Soundteppich aus der indischen Shruti Box, Synthesizer-app, Keyboard, Palimba und einem einsaitigen Monochord.
Eben hörbar anders, dieses Theater.
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Alle Podcasts sind versammelt unter: www.jt-augsburg.de