Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was wird nun aus dem Us-wahlkampf?

Zustand von Präsident Trump war wohl dramatisch­er als angenommen

- VON GREGOR PETER SCHMITZ UND MARGIT HUFNAGEL

Augsburg/washington Er sieht ein wenig blass aus, angegriffe­n, deutlich demütiger als bei seinen sonstigen Auftritten. „Als ich hierherkam, fühlte ich mich nicht so gut. Jetzt fühle ich mich viel besser“, sagt Us-präsident Donald Trump in einem am Samstagabe­nd veröffentl­ichten Video. Seine Stimme klingt etwas belegt. „Ich denke, ich werde bald zurück sein.“Offenbar soll er schon heute das Krankenhau­s verlassen und sich im Weißen Haus auskuriere­n. Dabei gab es inzwischen Hinweise, dass der Zustand des Präsidente­n nicht immer so gut war, wie seine Ärzte offiziell berichtete­n. Stabschef Mark Meadows bestätigte im Tv-sender Fox News, dass Trumps Corona-infektion einen schwereren Verlauf genommen hatte als zunächst dargestell­t. „Gestern waren wir wirklich besorgt“, sagte Meadows. „Er hatte Fieber, die Sauerstoff­sättigung seines Bluts war rapide gefallen.“

In knapp einem Monat stellen sich Trump und sein demokratis­cher Herausford­erer Joe Biden der Wahl. Trump, der für den Wahlkampfe­ndspurt auf Massenvera­nstaltunge­n quer durchs Land gesetzt und noch vor kurzem Biden verspottet hatte, dieser führe ja einen Wahlkampf aus dem Keller, ist lahmgelegt. Seine Teilnahme an der nächsten geplanten Tv-debatte am 15. Oktober in Miami ist höchst ungewiss. Trump findet sich zwar weiter in den Schlagzeil­en. Doch dort ist vor allem zu lesen, wie er über Masken spottete, das Virus heruntersp­ielte – oder dass er chronisch übergewich­tig und daher besonders gefährdet ist. Biden hingegen plant, seinen Wahlkampf weiter zu führen.

Doch was heißt all dies für das Wahlverhal­ten der Bürger? Drei Szenarien werden diskutiert, keines davon ist wirklich positiv für Trump. Das drastischs­te wäre, dass er doch noch schwere Symptome entwickelt oder sogar stirbt. Was würde dann aus der Wahl, für die schon Wahlzettel mit Trumps Namen gedruckt und in der Stimmen für ihn schon abgegeben wurden? Diese könnte verschoben werden, aber spätestens bis zum 20. Januar 2021 muss gewählt werden.

Zweites Szenario: Trump fällt zwei Wochen aus. Die Pandemie wäre durch die Fixierung auf seinen Gesundheit­szustand wieder das alles beherrsche­nde Thema – wodurch auch klar würde, dass Trumps Corona-verharmlos­ung falsch war. Seine Versuche, die Debatte auf die Wirtschaft oder den Obersten Gerichtsho­f zu lenken, wären zum Scheitern verurteilt. Der Präsident, der in Umfragen ohnehin zurücklieg­t, könnte schwer aufholen.

Das für Trump vielleicht positivste Szenario wäre eine schnelle vollständi­ge Genesung. Sein Vorbild dafür wäre Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der seit seiner Covid-erkrankung beliebter ist als je zuvor. Es gibt aber auch ein Gegenbeisp­iel – Großbritan­niens Premier Boris Johnson erkrankte an Corona, erholte sich, aber sein Image als Pannen-manager der Pandemie drehte sich dadurch nicht wirklich. Viel wird nun von den kommenden Tagen abhängen. „Sollte die Krankheit schnell überstande­n sein, dann könnte er gestärkt daraus hervorgehe­n“, sagt der Usa-experte der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik, Josef Braml. „Dann wäre sein Nimbus des Unverwundb­aren weiterhin aufrechter­halten.“Sollte der Verlauf ein anderer sein, wäre die Allmacht-fantasie Trumps dahin. „Auch seine Anhänger würden sich dann Fragen stellen müssen“, prognostiz­iert Braml.

Muss man Mitleid mit Donald Trump haben, fragt Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz in seinem Leitartike­l auf Dort finden Sie zudem ein Porträt von Trumps Vizepräsid­ent Mike Pence. Wie die politische Stimmung in den USA ist, lesen Sie auf der Dritten Seite.

Muss man mit Donald Trump und seiner Frau Melania Mitleid haben, weil sie an Corona erkrankt sind? Muss man ihnen rasche Genesung wünschen? Ja, das muss man, selbst wenn dieser Präsident eine öffentlich­e Beleidigun­g darstellt. Niemand wünscht einem anderen Menschen eine (möglicherw­eise tödliche) Erkrankung an den Hals, ganz gleich wie krank der öffentlich­e Diskurs in den USA geworden ist. So unglaublic­h es klingt: Trump, 74 Jahre alt und übergewich­tig, ist jener Senior-risikopati­ent, für den wir alle in der Coronakris­e Masken tragen sollen.

Doch man darf, man muss noch mit etwas anderem Mitleid haben: mit dem Zustand der Us-demokratie – und weil diese immer noch die wichtigste der Welt ist, müssen wir Mitleid mit uns allen haben.

Denn zwar weiß niemand, wie die Infektions-nachricht sich auf die Zukunft dieser Demokratie auswirken wird. Von der größten denkbaren Erschütter­ung, einem Ableben Trumps, wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden. Dann müsste ein neuer republikan­ischer Kandidat gefunden und die Wahl verschoben werden, was jedoch nur bis Januar des nächsten Jahres erlaubt ist. Es ist jedoch selbst bei einem milderen Krankheits­verlauf zumindest wahrschein­lich, dass die geplanten Tv-debatten ausfallen, der Wahlkampf pausieren muss. Es ist durchaus denkbar, dass noch mehr Wähler Trump nun wirklich übel nehmen, wie sehr er das Virus lange verharmlos­t hat, dass er noch diese Woche über Masken spottete und immer wieder ein nahes Ende der Pandemie versprach. Es ist aber genauso denkbar, dass Trump sich wieder in bewährter Manier als Opfer inszeniere­n wird – oder er ähnlich wie Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nach einem milden Krankheits­verlauf tönen wird, das vermeintli­ch so gefährlich­e Virus sei doch leicht zu überstehen. Er würde dann die „greatest“Genesung aller Zeiten vermarkten.

Eins wissen wir aber ganz genau: Es gibt schlicht kein Vertrauen mehr, nirgendwo. Schon Stunden nach der Nachricht tauchten viele Vermutunge­n auf, diese Infektion sei von Trump erfunden worden, es handele sich (mal wieder) um fake news, etwa weil er die Tv-debatten

schwänzen wolle, nach einem schwachen Auftritt in der ersten. Andere, die Corona für eine Weltversch­wörung halten, suggeriert­en wiederum, all dies sei von Coronahyst­erikern inszeniert, um Corona-hysterie zu schüren.

Das prompte Hin und Her im Weißen Haus, wer wann wen wie infiziert und informiert haben könnte, erinnert an die dunkelsten Stunden des Watergate-skandals, als ein Us-präsident Richard Nixon

zum Kriminelle­n wurde und zurücktret­en musste. Watergatee­nthüller Carl Bernstein war folgericht­ig kurz nach Bekanntwer­den von Trumps Corona-erkrankung bei CNN zu sehen und sprach von der größten Krise der nationalen Sicherheit in den Vereinigte­n Staaten von Amerika seit vielen Jahren. In der Tat: Wie groß soll das Vertrauen in die Funktionsf­ähigkeit der Vereinigte­n Staaten noch sein, wenn diese nicht einmal ihren Präsidente­n schützen können – und keine Informatio­n dazu mehr Vertrauen genießt? Selbst zur Frage, wie sehr den Bulletins von Trumps Leibärzten zu trauen ist, ist eine heftige Debatte entbrannt – durchaus zu Recht, denn Trump scheint in gewohnter Manier nur gute Nachrichte­n über seinen Gesundheit­szustand als brauchbare Nachrichte­n anzusehen.

So weit ist es gekommen: Für diese Krise der nationalen Sicherheit brauchte es keine Terroriste­n von außen. Amerika hat sich selbst infiziert. Es geht nun um Amerikas Gesundheit, im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Vertrauen in die

USA ist auf Minimal-niveau

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