Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Was wird nun aus dem Us-wahlkampf?
Zustand von Präsident Trump war wohl dramatischer als angenommen
Augsburg/washington Er sieht ein wenig blass aus, angegriffen, deutlich demütiger als bei seinen sonstigen Auftritten. „Als ich hierherkam, fühlte ich mich nicht so gut. Jetzt fühle ich mich viel besser“, sagt Us-präsident Donald Trump in einem am Samstagabend veröffentlichten Video. Seine Stimme klingt etwas belegt. „Ich denke, ich werde bald zurück sein.“Offenbar soll er schon heute das Krankenhaus verlassen und sich im Weißen Haus auskurieren. Dabei gab es inzwischen Hinweise, dass der Zustand des Präsidenten nicht immer so gut war, wie seine Ärzte offiziell berichteten. Stabschef Mark Meadows bestätigte im Tv-sender Fox News, dass Trumps Corona-infektion einen schwereren Verlauf genommen hatte als zunächst dargestellt. „Gestern waren wir wirklich besorgt“, sagte Meadows. „Er hatte Fieber, die Sauerstoffsättigung seines Bluts war rapide gefallen.“
In knapp einem Monat stellen sich Trump und sein demokratischer Herausforderer Joe Biden der Wahl. Trump, der für den Wahlkampfendspurt auf Massenveranstaltungen quer durchs Land gesetzt und noch vor kurzem Biden verspottet hatte, dieser führe ja einen Wahlkampf aus dem Keller, ist lahmgelegt. Seine Teilnahme an der nächsten geplanten Tv-debatte am 15. Oktober in Miami ist höchst ungewiss. Trump findet sich zwar weiter in den Schlagzeilen. Doch dort ist vor allem zu lesen, wie er über Masken spottete, das Virus herunterspielte – oder dass er chronisch übergewichtig und daher besonders gefährdet ist. Biden hingegen plant, seinen Wahlkampf weiter zu führen.
Doch was heißt all dies für das Wahlverhalten der Bürger? Drei Szenarien werden diskutiert, keines davon ist wirklich positiv für Trump. Das drastischste wäre, dass er doch noch schwere Symptome entwickelt oder sogar stirbt. Was würde dann aus der Wahl, für die schon Wahlzettel mit Trumps Namen gedruckt und in der Stimmen für ihn schon abgegeben wurden? Diese könnte verschoben werden, aber spätestens bis zum 20. Januar 2021 muss gewählt werden.
Zweites Szenario: Trump fällt zwei Wochen aus. Die Pandemie wäre durch die Fixierung auf seinen Gesundheitszustand wieder das alles beherrschende Thema – wodurch auch klar würde, dass Trumps Corona-verharmlosung falsch war. Seine Versuche, die Debatte auf die Wirtschaft oder den Obersten Gerichtshof zu lenken, wären zum Scheitern verurteilt. Der Präsident, der in Umfragen ohnehin zurückliegt, könnte schwer aufholen.
Das für Trump vielleicht positivste Szenario wäre eine schnelle vollständige Genesung. Sein Vorbild dafür wäre Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der seit seiner Covid-erkrankung beliebter ist als je zuvor. Es gibt aber auch ein Gegenbeispiel – Großbritanniens Premier Boris Johnson erkrankte an Corona, erholte sich, aber sein Image als Pannen-manager der Pandemie drehte sich dadurch nicht wirklich. Viel wird nun von den kommenden Tagen abhängen. „Sollte die Krankheit schnell überstanden sein, dann könnte er gestärkt daraus hervorgehen“, sagt der Usa-experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Josef Braml. „Dann wäre sein Nimbus des Unverwundbaren weiterhin aufrechterhalten.“Sollte der Verlauf ein anderer sein, wäre die Allmacht-fantasie Trumps dahin. „Auch seine Anhänger würden sich dann Fragen stellen müssen“, prognostiziert Braml.
Muss man Mitleid mit Donald Trump haben, fragt Chefredakteur Gregor Peter Schmitz in seinem Leitartikel auf Dort finden Sie zudem ein Porträt von Trumps Vizepräsident Mike Pence. Wie die politische Stimmung in den USA ist, lesen Sie auf der Dritten Seite.
Muss man mit Donald Trump und seiner Frau Melania Mitleid haben, weil sie an Corona erkrankt sind? Muss man ihnen rasche Genesung wünschen? Ja, das muss man, selbst wenn dieser Präsident eine öffentliche Beleidigung darstellt. Niemand wünscht einem anderen Menschen eine (möglicherweise tödliche) Erkrankung an den Hals, ganz gleich wie krank der öffentliche Diskurs in den USA geworden ist. So unglaublich es klingt: Trump, 74 Jahre alt und übergewichtig, ist jener Senior-risikopatient, für den wir alle in der Coronakrise Masken tragen sollen.
Doch man darf, man muss noch mit etwas anderem Mitleid haben: mit dem Zustand der Us-demokratie – und weil diese immer noch die wichtigste der Welt ist, müssen wir Mitleid mit uns allen haben.
Denn zwar weiß niemand, wie die Infektions-nachricht sich auf die Zukunft dieser Demokratie auswirken wird. Von der größten denkbaren Erschütterung, einem Ableben Trumps, wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden. Dann müsste ein neuer republikanischer Kandidat gefunden und die Wahl verschoben werden, was jedoch nur bis Januar des nächsten Jahres erlaubt ist. Es ist jedoch selbst bei einem milderen Krankheitsverlauf zumindest wahrscheinlich, dass die geplanten Tv-debatten ausfallen, der Wahlkampf pausieren muss. Es ist durchaus denkbar, dass noch mehr Wähler Trump nun wirklich übel nehmen, wie sehr er das Virus lange verharmlost hat, dass er noch diese Woche über Masken spottete und immer wieder ein nahes Ende der Pandemie versprach. Es ist aber genauso denkbar, dass Trump sich wieder in bewährter Manier als Opfer inszenieren wird – oder er ähnlich wie Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nach einem milden Krankheitsverlauf tönen wird, das vermeintlich so gefährliche Virus sei doch leicht zu überstehen. Er würde dann die „greatest“Genesung aller Zeiten vermarkten.
Eins wissen wir aber ganz genau: Es gibt schlicht kein Vertrauen mehr, nirgendwo. Schon Stunden nach der Nachricht tauchten viele Vermutungen auf, diese Infektion sei von Trump erfunden worden, es handele sich (mal wieder) um fake news, etwa weil er die Tv-debatten
schwänzen wolle, nach einem schwachen Auftritt in der ersten. Andere, die Corona für eine Weltverschwörung halten, suggerierten wiederum, all dies sei von Coronahysterikern inszeniert, um Corona-hysterie zu schüren.
Das prompte Hin und Her im Weißen Haus, wer wann wen wie infiziert und informiert haben könnte, erinnert an die dunkelsten Stunden des Watergate-skandals, als ein Us-präsident Richard Nixon
zum Kriminellen wurde und zurücktreten musste. Watergateenthüller Carl Bernstein war folgerichtig kurz nach Bekanntwerden von Trumps Corona-erkrankung bei CNN zu sehen und sprach von der größten Krise der nationalen Sicherheit in den Vereinigten Staaten von Amerika seit vielen Jahren. In der Tat: Wie groß soll das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Vereinigten Staaten noch sein, wenn diese nicht einmal ihren Präsidenten schützen können – und keine Information dazu mehr Vertrauen genießt? Selbst zur Frage, wie sehr den Bulletins von Trumps Leibärzten zu trauen ist, ist eine heftige Debatte entbrannt – durchaus zu Recht, denn Trump scheint in gewohnter Manier nur gute Nachrichten über seinen Gesundheitszustand als brauchbare Nachrichten anzusehen.
So weit ist es gekommen: Für diese Krise der nationalen Sicherheit brauchte es keine Terroristen von außen. Amerika hat sich selbst infiziert. Es geht nun um Amerikas Gesundheit, im wahrsten Sinne des Wortes.
Das Vertrauen in die
USA ist auf Minimal-niveau