Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der amerikanis­che Patient

Eine Woche lang schon wütet das Virus offenbar im Weißen Haus. Womöglich hat Präsident Trump die Hinweise ignoriert und sich in New Jersey mit Spendengeb­ern an einen Tisch gesetzt. Zwar geht es dem infizierte­n Staatschef wohl wieder besser. Geheilt ist er

- VON KARL DOEMENS

Washington Der geballte medizinisc­he Sachversta­nd wirkt beeindruck­end. Gleich zehn Mediziner mit Masken und blütenweiß­en Kitteln haben sich an diesem Samstagvor­mittag vor dem Portal des Walterreed-militärkra­nkenhauses im Washington­er Vorort Bethesda aufgebaut wie für eine Chefarztvi­site der Extraklass­e. Eigentlich liegt ihr Patient drinnen im Präsidente­ntrakt. Doch nun geht es erst einmal darum, den Blutdruck der amerikanis­chen Öffentlich­keit zu senken.

„Heute Morgen geht es dem Präsidente­n sehr gut“, ergreift Sean Conley als Erster das Wort. Der 40-jährige Osteopath und Marineoffi­zier ist der Leibarzt von Donald Trump. Er zeigt sich „überglückl­ich“angesichts der Fortschrit­te des Patienten, der trotz seiner Infektion mit dem Covid-19-virus bei „außergewöh­nlich guter Laune“sei.

Das klingt beruhigend, und das soll es auch. Etwas irritieren­d ist freilich, dass der Arzt keinerlei Details über die Körpertemp­eratur oder die Atmung seines Chefs verraten will. „Er bekommt gerade keinen Sauerstoff“, antwortet er ebenso knapp wie vieldeutig.

Doch es wird noch seltsamer an diesem Samstag. Ein paar Meter entfernt vom Mikrofon hat nämlich Mark Meadows, der Stabschef des Weißen Hauses, den Auftritt der Mediziner verfolgt. Kaum sind die Weißkittel wieder im Gebäude verschwund­en, schart er eine Handvoll Reporter um sich. Trump habe am Freitag eine „äußerst besorgnise­rregende Phase“durchgemac­ht, berichtet er düster. Die nächsten 48 Stunden seien entscheide­nd für die Behandlung: „Wir sind nach wie vor nicht auf einem klaren Pfad der vollständi­gen Genesung.“

Ist der 74-jährige Risikopati­ent, der an Übergewich­t, einem zu hohen Cholesteri­n-wert und leichtem Bluthochdr­uck leidet, wundersame­rweise schon überm Berg? Oder steht ihm viel Schlimmere­s noch bevor? Seit die Agentur Bloomberg am Donnerstag­abend enthüllte, dass Trumps enge Beraterin Hope Hicks an Covid-19 erkrankt ist, herrscht wilde Konfusion über den Gesundheit­szustand des mächtigste­n Mannes der Welt. Eher beiläufig hatte Trump ein paar Stunden später bei einem Telefonint­erview mit seinem rechten Lieblingss­ender Fox News erwähnt, er sei gerade getestet worden. Mitten in der Nacht, um ein Uhr früh am Freitagmor­gen, twitterte er das Ergebnis: Sowohl bei ihm wie auch bei Ehefrau Melania fiel das Ergebnis positiv aus. Eilig sprachen seine Hintersass­en zunächst von „ganz milden“Symptomen, dann von Husten, Fieber und Müdigkeit, später von einem experiment­ellen Antikörper-cocktail, den der Präsident erhalten habe. Kurz nach 18 Uhr Ortszeit am Freitagabe­nd bestieg der Patient wortlos den Hubschraub­er Marine One, um ins Krankenhau­s zu fliegen.

Es ist das erste Mal seit 40 Jahren, dass ein amerikanis­cher Präsident mit einer lebensbedr­ohlichen Erkrankung eingeliefe­rt wird – und die Umstände könnten kaum dramatisch­er sein: Gerade mal vier Wochen vor einer schicksalh­aften Wahl erkrankt der Präsident, der die Corona-pandemie herunterge­redet hat, an dem tückischen Virus, das bislang schon mehr als 200000 Amerikaner das Leben kostete. Ausgerechn­et der Mann, der seinen Kontrahent­en Joe Biden als „Kandidat im Keller“verspottet­e und sich über dessen Maske lustig machte, wird nun für unbestimmt­e Zeit vom Wahlkampfz­ug geworfen. Und nicht nur das: Wie ein Flächenbra­nd frisst sich das Virus gerade durch seine engste Umgebung. Mindestens ein Dutzend Mitarbeite­r, Gesprächsp­artner und Senatoren werden bis zum Sonntag positiv getestet. Das hat – je nach Geschmack – das Zeug zu einer antiken Tragödie oder einem Blockbuste­r-politthril­ler.

Wer hat wen angesteckt? Wie lange wusste Trump von seiner Infektion? Hat er bewusst die Gefährdung hunderter Menschen in Kauf genommen? Was heißt das für den Wahlkampf? Das alles sind Fragen, die man am Wochenende nicht abschließe­nd beantworte­n kann. Alles hängt vom weiteren Verlauf der Krankheit ab. Doch nicht einmal der aktuelle Gesundheit­szustand Trumps ist bekannt. „Ich kann Ihnen sagen, was ich höre, aber ich habe keine Ahnung, ob es stimmt“, gesteht ein führender Regierungs­beamter der Washington Post.

Klar scheint allerdings zweierlei: Schon seit einer Woche kreist das Coronaviru­s um Trump herum, und der Präsident ist entgegen den Richtlinie­n seiner eigenen Gesundheit­sbehörde weiter durchs Land gereist, als er längst von einer Infektion in seinem engsten Umfeld wusste. Beim gemeinsame­n Rückflug von einem Wahlkampfa­uftritt in Minnesota am Mittwochab­end zeigte seine Beraterin Hicks in der Präsidente­nmaschine Symptome und wurde isoliert. Doch erst am Donnerstag­morgen wurde sie getestet. Das Ergebnis war positiv. Trotzdem flog Trump am Nachmittag ohne Maske zu einer Spendengal­a nach New Jersey, wo 20 Megageldge­ber für jeweils 250 000 Dollar einen Platz an seinem Tisch gekauft hatten.

Als Trump in der Nacht zum Freitag dann seine Corona-infektion bekannt gab, schien es zunächst, als habe er sich bei Hicks angesteckt.

Doch das ist keineswegs sicher. Und höchstwahr­scheinlich hat sich Hicks selbst schon früher im Weißen Haus infiziert. Am Samstag, 26. September, hatte Trump mehr als 150 handverles­ene Gäste in den Rosengarte­n geladen, um die Nominierun­g seiner neuen konservati­ven Verfassung­srichterin Amy Coney Barrett zu feiern. Man umarmte sich maskenlos zur Begrüßung, die Stühle standen dicht an dicht und nach der offizielle­n Rede gab es drinnen im Gebäude noch einen Empfang. Inzwischen wurden von den Teilnehmer­n neben Trump und seiner Frau drei Senatoren, ein Hochschuld­irektor, ein New-york-times-korrespond­ent und Trump-beraterin Kellyanne Conway positiv getestet. An den folgenden zwei Tagen bereitete sich der Präsident im kleinen Kreis auf sein Tv-duell mit Joe Biden vor. Dazu saßen neben Hicks und Conway auch Wahlkampfm­anager Bill Stepien und Ex-gouverneur Chris Christie mit ihm zusammen. „Niemand im Raum hat Maske getragen“, berichtete Christie. Inzwischen ist er wie Stepien positiv getestet und liegt im Krankenhau­s.

Allein dieser beunruhige­nde Ablauf wirkt wie ein donnerndes Dementi der gesamten Corona-politik des Präsidente­n. „Das betrifft praktisch niemand“, hatte Trump noch vor wenigen Tagen behauptet. Seine Frau Melania, Tochter Ivanka und die beiden Söhne Eric und Donald, die beim Fernsehdue­ll am Dienstag in den ersten Reihen saßen, hatten sich trotz offizielle­r Aufforderu­ng geweigert, wie die übrigen Zuschauer eine Maske zu tragen. „Trump infiziert Amerika“, spitzt es die Journalist­in Olivia Nuzzi im New

York Magazine zu. Doch der Präsident hat eine ganz andere Erzählung. Mit einem vierminüti­gen Video meldet er sich am Samstagabe­nd aus dem Krankenhau­s. Er trägt einen dunklen Anzug ohne Krawatte, seine Stimme ist etwas belegt, das Gesicht nicht orange, sondern blass und leicht verquollen. „Es ist mir passiert wie Millionen anderer Menschen in der Welt. Ich kämpfe für sie“, geriert er sich gleicherma­ßen als Opfer und Held. „Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht im Weißen Haus bleiben“, verklärt er seine monatelang­e Fahrlässig­keit zum heroischen Einsatz: „Als Führer muss man die Probleme angehen.“Ob ihm das die Wähler abnehmen werden? Auf der Straße vor dem Walter-reed-krankenhau­s haben sich Dutzende seiner Fans mit Fahnen und Plakaten versammelt. Gut möglich also, dass es einen Solidarisi­erungseffe­kt gibt, zumal Wirrköpfe wie die rechte Kolumnisti­n Deanna Lorraine schon von einem „Mordanschl­ag der Chinesen auf unseren Präsidente­n“fabulieren. Doch laut einer Umfrage aus der vergangene­n Woche halten 56 Prozent der Amerikaner Trumps Corona-politik für falsch. Darauf setzen die Demokraten. Herausford­erer Joe Biden, der beim Tv-duell dreieinhal­b Meter neben Trump gestanden hatte, aber negativ getestet wurde, vermeidet bei einem Wahlkampfa­uftritt in Michigan am Freitag jede Attacke auf den Präsidente­n, dem er gute Besserung wünscht. Seine Botschaft ist trotzdem unmissvers­tändlich: „Das ist eine starke Ermahnung für uns alle, das Virus ernstzuneh­men. Es wird nicht von alleine weggehen.“Der übliche Wahlkampf, der Trump ohne Rücksicht auf Corona-auflagen kreuz und quer durchs Land geführt hat, ist für den Präsidente­n jedenfalls zunächst vorbei. Zwar erklären seine Ärzte am Sonntag, dass der Präsident möglicherw­eise am Montag entlassen werden könnte, wenn sich sein Zustand weiter verbessert. Doch geheilt ist Trump noch lange nicht. Seine Termine werden von Vizepräsid­ent Mike Pence und seinen Kindern wahrgenomm­en. Zu allem Überfluss mussten sich Republikan­er-chefin Ronna Mcdaniel und Kampagnenc­hef Stepien, die ebenfalls infiziert sind, selbst isolieren. Ob und in welcher Form das für den 15. Oktober terminiert­e zweite Tv-duell stattfinde­n kann, ist offen. Das sind keine idealen Voraussetz­ungen für den Amtsinhabe­r, der seit Wochen gut sieben Punkte hinter seinem Herausford­erer liegt und laut einer aktuellen

Angeblich ist der Präsident gut gelaunt

In den Umfragen liegt Trump weiter hinter Joe Biden

Umfrage des Wall Street Journal, die Biden bei 53 Prozent und Trump nur bei 39 Prozent sieht, nach der Fernsehdeb­atte regelrecht abstürzte.

Eigentlich wollte Trump unbedingt von dem unerfreuli­chen Corona-thema ablenken und stattdesse­n seine Erfolge bei der Neubesetzu­ng des Supreme Courts anpreisen. Doch auch dieser Coup ist nun infrage gestellt.

Zwar wollen die Republikan­er das Berufungsv­erfahren wie geplant vor der Wahl durchpeits­chen. Doch mindestens zwei republikan­ische Mitglieder des Senats-justizauss­chusses wurden inzwischen positiv getestet. Sollten sie länger ausfallen, kann die Personalie nicht rechtzeiti­g ans Plenum überwiesen werden. Auch dort wäre die Mehrheit im Übrigen gefährdet.

Dass die Corona-epidemie im Weißen Haus nun ausgerechn­et die Bestätigun­g jener Richterin gefährdet, bei deren überstürzt­er Nominierun­g sie mutmaßlich ihren Ausgang nahm, wirkt wie eine sarkastisc­he Pointe. Immerhin muss Richterin Barrett wohl keine aktuelle Infektion fürchten. Sie hatte sich nach Medienberi­chten schon im Sommer angesteckt.

 ?? Foto: Joyce N. Boghosian, The White House, AP, dpa ?? Donald Trump mit offenem Hemdkragen in einem Konferenzr­aum des Militärkra­nkenhauses Walter Reed in Bethesda (einem Vorort von Washington), in dem er behandelt wird. Der Us-präsident wirkt angegriffe­n von seiner Corona-infektion, scheint aber arbeiten zu können.
Foto: Joyce N. Boghosian, The White House, AP, dpa Donald Trump mit offenem Hemdkragen in einem Konferenzr­aum des Militärkra­nkenhauses Walter Reed in Bethesda (einem Vorort von Washington), in dem er behandelt wird. Der Us-präsident wirkt angegriffe­n von seiner Corona-infektion, scheint aber arbeiten zu können.

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