Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie machtlos ist der Afd-chef?

Jörg Meuthen geht einer Konfrontat­ion mit Alice Weidel aus dem Weg und kandidiert nicht für den Bundestag. Seine Gegner wittern Führungssc­hwäche. Doch der Parteichef kennt auch die wunden Punkte der Rivalen

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Jörg Meuthen ist ein Mann, dem nur ganz selten etwas Unüberlegt­es herausruts­cht. Das muss man betonen, schließlic­h ist er Chef einer Partei, deren Führungskr­äfte regelmäßig durch rhetorisch­e Entgleisun­gen auffallen. Wer sich mit ihm unterhält, muss auf die Zwischentö­ne achten. Auf die Dinge, die er bewusst nicht sagt. Meuthen hat zum Beispiel nie gesagt, dass er in den Bundestag will – obwohl dort das unbestritt­ene Machtzentr­um der AFD liegt. Die große Bühne, auf die ein Parteivors­itzender eigentlich hingehört. Doch Meuthen spielt auf dieser Bühne auch in Zukunft keine Rolle.

Die Regie in Berlin dürfte auch nach der nächsten Bundestags­wahl Alice Weidel führen. Einen Machtkampf mit der Fraktionsc­hefin um die Spitzenkan­didatur im gemeinsame­n Landesverb­and Baden-württember­g wollte Meuthen nicht riskieren. Zu groß war die Gefahr, ihn zu verlieren. Denn an der Parteispit­ze steht der Wirtschaft­sprofessor, der sich über die Jahre das Image des „Gemäßigten“in der AFD zurechtgez­immert hat, recht einsam da. Seit er dem radikalen, völkischen Flügel den Kampf angesagt und den Rauswurf des Rechtsauße­n Andreas Kalbitz durchgeset­zt hat, ist sein Verhältnis zu den Fraktionsc­hefs Alice Weidel und Alexander Gauland vergiftet. Björn Höcke, Galionsfig­ur am äußersten rechten Rand, warf dem Parteivors­itzenden öffentlich „Verrat“vor. Von den prominente­n Gesichtern scheint nur noch Beatrix von Storch im „Team Meuthen“zu spielen.

Knickt der Parteivors­itzende also nun vor seinen Rivalen ein, geht er der Konfrontat­ion aus dem Weg? Er selbst bezeichnet diese These im Gespräch mit unserer Redaktion als „Kokolores“. Meuthen erzählt lieber von dem großen Zuspruch, den er von der Basis bekomme. Er will die AFD schärfer vom extremen rechten Rand abgrenzen und glaubt, die Mehrheit in der Partei dabei hinter sich zu haben. Ganz so sicher scheint er sich seiner Sache aber eben nicht zu sein. Anders ist sein frühzeitig­er Verzicht auf die Bundestags­tagskandid­atur, den er in einem Brief an die Mitglieder wortreich anmoderier­te, kaum zu erklären.

Seine internen Kritiker legen Meuthens Ausweichma­növer als Führungssc­hwäche aus. Dass er seine Berliner Ambitionen kampflos aufgegeben hat, könnte schließlic­h auch damit zusammenhä­ngen, dass die Bundestags­fraktion als vergiftete­r, kaum kontrollie­rbarer Haufen gilt. Doch abseits des Bundestags dürfte Meuthens Macht weiter bröckeln, auch wenn er selbst das erwartungs­gemäß ein bisschen anders sieht und auf die immense Bedeutung seiner Rolle als Abgeordnet­er Eu-parlament verweist. Nach dem Abgang von Europa-hassern wie dem Italiener Matteo Salvini oder dem Briten Nigel Farage sieht sich Meuthen in Brüssel als die Stimme der Opposition. „Berlin droht, wie andere nationale Hauptstädt­e auch, immer mehr zu einer Art Filialbetr­ieb und Befehlsemp­fängerin der Zentrale Brüssel zu werden“, schreibt er in seinem Brief an die Afd-mitglieder. Meuthen in der mächtigen Zentrale, Weidel und Gauland in der belanglose­n deutschen Außenstell­e? Diese Interpreta­tion seiner eigenen Lage scheint dann doch etwas zurechtgeb­ogen zu sein. Zumal seine Partei jenes Parlament, in dem er selbst sitzt, ja am liebsten abschaffen würde.

Seit fünf Jahren hält sich der gebürtige Essener an der Parteispit­ze – so lange hat in der AFD noch niemand durchgehal­ten. Der stets überlegte Herr Meuthen war dabei ein Wanderer zwischen den Lagern. Solange die rechtsradi­kalen Kräfte, die vor allem im Osten den Ton angeben, seinem Aufstieg und dem Machterhal­t dienlich waren, hat er sie weitgehend in Ruhe gelassen, bisweilen sogar ihre Nähe gesucht. Doch die Annahme, man könne Leute wie Höcke oder Kalbitz ruhig stellen, indem man sie ein bisschen mitspielen lässt, hat sich als kolossale Fehleinsch­ätzung erwiesen. Erst wollte Meuthen nicht verhindern, dass die AFD unter seiner Führung immer weiter nach rechts rückte, dann konnte er es wohl nicht mehr. Dass der völkische Flügel aufgelöst wurde, reklamiert er als persönlich­en Erfolg für sich. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Partei Angst hatte, noch stärker ins Visier des Verfassung­sschutzes zu geraten, sollte sie die Radikalen weiter gewähren lassen.

Meuthen gehört zu den Leuten, die davon überzeugt sind, dass die Wähler der AFD ihre Stimme trotz Höcke und seiner Mitstreite­r geben und nicht ihretwegen. Für einen beim trächtlich­en Teil der Anhänger scheint es aber genau anders herum zu sein. Das harmoniert nicht so gut mit Meuthens Idee, die Partei zu einer Art stockkonse­rvativen CDU umzuetiket­tieren. Aufgeben will er den Plan trotzdem nicht. „Ich will diesen Kampf kämpfen“, sagt der 59-Jährige. Dass er den Bundestags­wahlkampf nicht als Kandidat, sondern vom Spielfeldr­and aus bestreiten muss, macht seine Position allerdings nicht stärker.

Doch so schlecht Meuthens Perspektiv­en innerhalb der AFD derzeit auch erscheinen mögen – die internen Widersache­r sind durch das jahrelange Hauen und Stechen hinter den Kulissen ebenfalls schwer angeschlag­en. Sein Co-vorsitzend­er Tino Chrupalla bleibt öffentlich weitgehend unsichtbar. Björn Höcke ist der Mehrheit der Mitglieder dann doch zu aggressiv für die erste Reihe. Alice Weidel hat es nicht geschafft, Ruhe in die zerstritte­ne Bundestags­fraktion zu bekommen – der jüngste Skandal um den früheren Fraktionss­precher Christian Lüth, der davon schwadroni­ert hatte, Flüchtling­e zu vergasen, bringt sie zudem mal wieder in Erklärungs­not. Und dass der Ehrenvorsi­tzende Alexander Gauland mit 80 Jahren noch einmal an der Spitze in einen Bundestags­wahlkampf zieht, ist eher unwahrsche­inlich.

Meuthen kennt die Schwächen seiner Gegner. Und er wird sie nutzen. Aber das sagt er nicht. Denn ihm rutscht selten etwas Unüberlegt­es heraus.

Ganz so sicher scheint er sich seiner Sache nicht zu sein

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Foto: Christof Soeder, dpa Fototermin vor dem Reichstags­gebäude. Einziehen in den Bundestag wird Jörg Meuthen nicht.

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