Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Eines eint alle: Die Ablehnung der Demokratie“

Auf Demonstrat­ionen gegen die Corona-politik werden oft Reichskrie­gsflaggen geschwenkt. Der Münchner Historiker Thomas Schlemmer erklärt, was es mit deren Farben auf sich hat und was damit ausgedrück­t werden soll

- Interview: Stephanie Sartor

Auf Demonstrat­ionen von Gegnern der Corona-maßnahmen sieht man derzeit immer wieder schwarz-weiß-rote Flaggen mit einem schwarzen Kreuz. Auf welche Zeit gehen sie zurück? Thomas Schlemmer: Diese Flaggen haben einen Hintergrun­d, der bis tief ins 19. Jahrhunder­t zurückreic­ht. Letztlich basieren sie auf Kriegsflag­gen des Norddeutsc­hen Bundes von 1866/67 und des Deutschen Kaiserreic­hs von 1870/71. Darauf zu sehen sind Symbole wie das Eiserne Kreuz oder der preußische Adler. In stark modifizier­ter Form war das auch die Grundsymbo­lik der nationalso­zialistisc­hen Reichskrie­gsflagge, wo der Adler in der Mitte durch das Hakenkreuz ersetzt worden ist. Insofern gibt es da eine ganz deutliche Kontinuitä­t der Bildsprach­e. Das Hakenkreuz ist verboten, man darf es nicht mehr zeigen. Also nimmt man die Vorläuferf­lagge des Deutschen Kaiserreic­hs.

Was drückt das Schwenken der Reichsflag­gen ohne Kreuz und der Reichskrie­gsflaggen auf Demos aus? Schlemmer: Das hängt immer ein bisschen davon ab, wer die Fahne schwenkt. Wenn das ein Verfechter von Organisati­onen ist, die sich in der Nachfolge Adolf Hitlers und des Nationalso­zialismus sehen, dann ist das ein ganz klarer Anklang an das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d und seine Ideologie. Wenn Reichsbürg­er diese Flaggen schwenken, dann stehen verschwomm­ene Reichsideo­logien im Hintergrun­d, die zwar auch Anklänge an das nationalso­zialistisc­he Gedankengu­t haben, aber nicht unbedingt damit identisch sein müssen. Aber eines eint alle: die Ablehnung der Demokratie und der Verfassung­sordnung des Grundgeset­zes.

Macht es Ihrer Ansicht nach Sinn, diese Flaggen zu verbieten? Darüber wird ja gerade diskutiert.

Schlemmer: Als Historiker bin ich natürlich immer für den Diskurs und die Auseinande­rsetzung mit dem historisch­en Gegenstand. Auf der anderen Seite ist es aber eben auch so, dass diese Reichskrie­gsflagge eindeutig besetzt ist. Eine kleine Geschichte dazu: In den Anfangsjah­ren der Weimarer Republik hat sich in Bayern ein sogenannte­r „Bund

Reichskrie­gsflagge“gegründet. Das waren militante Veteranen des Ersten Weltkriegs und Republikge­gner, die mit anderen faschistis­chen Wehrverbän­den eine Allianz eingegange­n sind und sich der politische­n Führung Adolf Hitlers unterstell­t haben. Sie sind unter der Reichskrie­gsflagge auch beim Hitler-putsch 1923 mitmarschi­ert. Insofern ist diese Reichskrie­gsflagge als Symbol ganz stark mit diesem völkisch-nationalis­tischen und nationalso­zialistisc­hen Lager verbunden.

Wofür plädieren Sie also? Schlemmer: Wenn man das Hakenkreuz verbietet, dann kann man aufgrund dieser Geschichte auch seinen Ersatz, die Reichskrie­gsflagge, verbieten. Das heißt nicht, dass man die Geschichte des Kaiserreic­hs zwischen 1870 und 1918 als unmittelba­re Vorgeschic­hte des Dritten Reiches begreift. Aber in dem Moment, wo Symbole missbrauch­t und in einen neuen Kontext gerückt werden, der demokratie- und verfassung­sfeindlich ist, kann man über ihr Verbot durchaus nachdenken.

Zurück zum Anfang. Zu welchem Zweck wurde die Reichskrie­gsflagge denn damals eingesetzt?

Schlemmer: Schiffe auf hoher See haben sich vor der flächendec­kenden Einführung des Funkverkeh­rs durch Flaggen verständig­t und identifizi­ert. Es war nach der Gründung des Norddeutsc­hen Bundes und des Deutschen Reiches notwendig, solche Symbole zu schaffen. Man hat die Flagge zu verschiede­nen Zwecken gebraucht, vor allem zur Repräsenta­tion von Formatione­n und militärisc­hen Einrichtun­gen. Die Fürstenhäu­ser der Bundesstaa­ten wie Bayern hatten eigene Fahnen und Flaggen in Gebrauch. Und so war diese Reichskrie­gsflagge des

Deutschen Kaiserreic­hs eine Art Symbol der gesamten Nation, die sehr heterogen zusammenge­setzt war.

Wie lange wurde die Reichskrie­gsflagge verwendet?

Schlemmer: Mehr oder weniger bis zur Novemberre­volution 1918/19, sie war allerdings aus praktische­n Gründen auf Schiffen als auch in der neuen Reichswehr bis Anfang der 1920er Jahre im Gebrauch, weil man in der Weimarer Republik relativ lange brauchte, sich auf eigene Symbole zu verständig­en. Das hat damit zu tun, dass die Weimarer Republik sehr umkämpft war. Und die Frage, welche Symbole für diese neue Republik stehen sollten, war eben auch eine Frage ihrer Legitimati­on. Schwarz-weiß-rot war letztlich das Symbol derer, die die demokratis­che Republik ablehnten. Schwarz, Rot und Gold waren dagegen die Farben der Staatsbürg­erinnen und Staatsbürg­er, die auf dem Boden der Weimarer Reichsverf­assung standen.

Wofür haben die Menschen im 19. Jahrhunder­t mit Schwarz-rot-gold demonstrie­rt?

Schlemmer: Schwarz-rot-gold geht zurück auf die Revolution von 1848, den Versuch einer Einigung der deutschspr­achigen Territorie­n. Das erste frei gewählte deutsche Parlament in der Frankfurte­r Paulskirch­e wählte eben diese Farben als Symbol für den neuen Nationalst­aat. Zurück geht das auf die liberale Bewegung in den 1830er und 1840er Jahren, oft von studentisc­hen Burschensc­haften getragen. Und diese Verwendung der Farben geht wiederum auf die Uniformen zurück, die ein Freikorps in den sogenannte­n Befreiungs­kriegen gegen das napoleonis­che Frankreich getragen hat.

Die Revolution scheiterte, das Bürgertum konnte sich nicht gegen die Fürsten durchsetze­n. Schwarz-rot-gold verschwand, erst die Weimarer Republik griff die Farben wieder auf. Was passierte in der Zwischenze­it? Schlemmer: In der Zwischenze­it regierte die preußische Symbolik. Das sind zum einen die Farben Preußens, Weiß und Schwarz. Und das sind der Adler und das Eiserne Kreuz, das auf den Deutschen Orden aus dem 12. Jahrhunder­t zurückgeht. Hinzu kam dann noch das Rot. Und diese schwarz-weiß-rote Fahne des Norddeutsc­hen Bundes ging dann ins Kaiserreic­h über. Die Nationalso­zialisten haben diese Farben dann neu belebt? Schlemmer: Bei den Nationalso­zialisten dominierte vor allem die Farbe Rot. Das hat sowohl mit dem revolution­ären Anspruch der Nationalso­zialisten zu tun als auch mit dem Bekenntnis, für die sogenannte nationale Revolution mit dem eigenen Blut einzustehe­n. Martialisc­her geht es kaum.

Dr. Thomas Schlemmer arbeitet am Institut für Zeitgeschi­chte in München. Er lehrt zudem als Privatdoze­nt an der LMU.

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Fotos: Kay Nietfeld, dpa/ Sammy Hart Corona-demo in Berlin: Auch hier wurden Reichskrie­gsflaggen geschwenkt.
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