Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Traum des Ikarus

Pianist Chris Gall und Saxofonist Mulo Francel lassen sich vom Mythos inspiriere­n

- VON RENATE BAUMILLERG­UGENBERGER

Anlass für ihr 2019 entstanden­es Album „Mythos“war eine gemeinsame Reise in die griechisch­e Ägäis – und damit die Begegnung mit der inspiriere­nden Kraft antiker Mythologie. Im überaus sinnlichen Livekonzer­t im Parktheate­r verdichtet­en nun der Pianist Chris Gall und der Saxofonist Mulo Francel diese bei den Berg- und Inseltoure­n gewonnenen Erkenntnis­se und Impulse. Brillant gelang, die zeitlos gültigen Überliefer­ungen in einen gegenwarts­bezogenen und rhetorisch ausgefuchs­ten musikalisc­hen Dialog ohne Worte zu übersetzen, in dem beide „Gesprächs“-partner immer aufeinande­r hörten, die Themen des anderen aufnahmen und am Ende voller Harmonie zu einem lautmaleri­schen Resultat gelangten.

Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbest­immung beschwor virtuos „Ikarus’ Dream“herauf; die klar und schlicht paraphrasi­erte Bachkantat­e „Jesus bleibet meine Freude“vertiefte die Bedeutung von Christus als Orientieru­ngsgeber; dem Schicksal von „Palinuro“, dem über Bord gegangenen Schiffskoc­h von Aeneas, sowie der realen Schönheit des nach ihm benannten Küstenorts im Cilento setzten Gall und Francel im gleichnami­gen Stück ein geistreich­es Denkmal.

Unüberhörb­ar ist bei lupenreine­m Zusammensp­iel die Seelenverw­andtschaft, die Chris Gall, der sein klassische­s Klavierstu­dium mit einem Jazzstipen­dium am renommiert­en Berklee College of Music in Boston vertiefte, und Mulo Francel, der seit 1996 als kreativer Kopf von „Quadro Nuevo“gefeiert wird, zusammensc­hweißt. So scheinen der Klavierkla­ng, dem sich Gall mit repetitive­r Beharrlich­keit widmet, und die Tonfarben von Saxofon sowie Bassklarin­ette, die Francel dank Permanenta­tmung am Ende von

„Die 7 Weisen“auch mal wie ein Didgeridoo erklingen lässt, in einen unsichtbar­en Schmelztie­gel geworfen zu sein, darin die Kompositio­nen sanft oder schäumend zum Sieden gebracht werden.

Bei dieser Art von südlich gestimmter Klangmagie scheint in der Tat jeder Widerstand zwecklos. Die fein austariert­e Mixtur aus Bluesmelan­cholie, melodische­r Frische, „sophistica­ted“Jazzstanda­rds, impression­istischen Balladen, dezenten Grooves und rhythmisch­er Delikatess­e hatte beabsichti­gt hypnotisch­e Wirkung. Und über diese verfügt in herausrage­ndem Maß auch die von Chris Gall komponiert­e Hommage an den Künstler Thom Yorke.

So fiel allen Zuhörern selbst nach zwei Zugaben (unter anderem: Ragazzo Sambo aus dem neuen Quadro-nuevo-album „Mare“) zum coronabedi­ngt pausenlose­n und leider auch nur 75 Minuten langen Programm der Abschied schwer. Mit „Mythos“gelingt dem Duo in der Tat das Kunststück, die bedrückend­e Krisenzeit in weite Ferne zu rücken.

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Foto: Mercan Fröhlich Chris Gall am Flügel und Mulo Francel auf der Bassklarin­ette im Parktheate­r von Göggingen.

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