Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Warum Verdi trotz Corona zu Streiks aufruft
Der Arbeitskampf im öffentlichen Dienst und im Nahverkehr stößt längst nicht bei allen Augsburgern auf Verständnis. Doch Gewerkschafter und Beschäftigte halten ihre Aktionen für zwingend nötig
Warum müssen Krankenschwestern ausgerechnet während der Coronapandemie streiken? Warum werden Fahrgäste beim Streik im Nahverkehr in Augsburg zum Umsteigen aufs Auto gezwungen? Warum legen Mitarbeiter der Stadt Augsburg, die einen sicheren Job haben, derzeit die Arbeit nieder, wo hingegen Beschäftigte in der freien Wirtschaft in Kurzarbeit sind? Es sind Fragen, mit denen die Augsburger Gewerkschaftsvertreter von Verdi momentan täglich konfrontiert sind. Bei einem Pressegespräch erläutern sie, warum aus ihrer Sicht die Streiks zwingend nötig sind. Beschäftigte berichten über die Arbeitsbelastung im öffentlichen Dienst.
Karl Schneeweis ist seit 32 Jahren bei den Augsburger Stadtwerken. Der Bus- und Straßenbahnfahrer hat am Dienstag wie viele seiner Kollegen am ganztägigen Warnstreik teilgenommen. Die Belastungen der Fahrer seien in dieser Form nicht mehr hinzunehmen, sagt er. Schichtdienst, kaum freie Wochenenden und eine schlechte Bezahlung führt Schneeweis als Argumente an. Der Unmut in der Belegschaft wachse: „Gegenwärtig sind es 15 bis 18 Fahrer, die im Jahr freiwillig aufhören.“Sollten die Arbeitsbedingungen nicht besser werden, sieht der Stadtwerke-mitarbeiter schwarz. Gegenwärtig seien es noch 540 Fahrer, die in Diensten des Verkehrsunternehmens stehen. Um den Nachwuchs sei es schlecht bestellt, eine bessere Bezahlung nötig.
Bei der Gewerkschaft Verdi ist Katharina Wagner für die Verkehrssparte zuständig. Sie wehrt sich gegen Vorwürfe, der Arbeitskampf werde auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen. „Wir bestreiken nicht die Fahrgäste“, sagt Katharina Wagner, „sondern die
Arbeitgeber.“Man erwarte ein vernünftiges Tarifangebot.
Gestreikt wird am Montag auch am Universitätsklinikum in Augsburg. Verdi-vertreter Roman Martynez geht davon aus, dass wohl zwischen 200 und 300 Pflegekräfte daran teilnehmen werden. Martynez betont, dass wegen des ganztägigen Streiks kein Patient gefährdet sei. Es gebe eine Notdienstvereinbarung, die mit der Klinikleitung abgeschlossen sei. Einzelne Stationen würden allerdings am Montag geschlossen oder nur teilweise in Betrieb sein. Muss ausgerechnet in der Corona-zeit gestreikt werden? Dazu hat der Gewerkschaftsmann eine klare Haltung: „Wenn die Arbeitgeber sich vernünftig verhalten hätten und ein akzeptables Angebot präsentiert hätten, hätte man die Streiks sicherlich vermeiden können.“
Dass im Universitätsklinikum auch Patienten behandelt werden, die mit dem Coronavirus infiziert sind, ist bekannt. Darauf sei in den Gesprächen mit der Klinikleitung eingegangen worden, sagt Martynez: „Die Station ist derzeit nicht voll.“Daher bestehe auch kein Grund zur Besorgnis. Notfälle würden an einem Streiktag ebenfalls regulär behandelt.
Gestreikt wurde am Dienstag zudem in den städtischen Kindertagesstätten. Viele Einrichtungen blieben geschlossen. Mehr als 200 Erzieherinnen beteiligten sich am Streik. Aline Gottschalk, die bei Verdi für die Kommunen zuständig ist, berichtet, dass der Unmut der Beschäftigten extrem groß sei: „Die Kitas sind seit Pfingsten wieder im Vollbetrieb.“Die Mitarbeiter gingen wegen Corona „auch ins Risiko“, weil die Ansteckungsgefahr durchaus gegeben sei. Für gute Arbeit erwarte das Personal eine bessere Bezahlung, sagt Aline Gottschalk. Florian Böhme, der bei Verdi den Abfallbereich betreut, verweist auf die hohe Arbeitsbelastung der städtischen Mitarbeiter. „In zehn Jahren hat Augsburg einen Zuwachs von 30000 Bürgern verzeichnet, bei der Müllabfuhr gab es aber nur zwei Müllautos mit Mannschaft mehr.“
Bei der Stadtverwaltung ist Claus Koch tätig. Der gelernte Gärtner ist freigestellter Personalrat. Seine Kollegen seien für die Daseinsvorsorge zuständig, sagt er. Die Bürger erwarten, dass das Grün gepflegt wird. Es gebe noch viele andere Wünsche. Wenn es jetzt um Streiks geht, werde mitunter geschimpft. „Gerade weil wir für die Daseinsvorsorge zuständig sind, ist es bitter, wenn sichere Arbeitsplätze uns zum Vorwurf gemacht werden.“
Verdi-bezirksgeschäftsführer Erdem Altinisik spricht ebenfalls an, dass die Gewerkschaft wegen der Streiks teils am Pranger stehe. Wie könne man streiken, wenn Menschen in anderen Branchen auf Kurzarbeit gesetzt sind oder bereits ihren Arbeitsplatz verloren haben? Altinisik sagt: „Das ist ein Einwurf, der falsch ist.“Wenn die Gewerkschaft auf Forderungen im öffentlichen Dienst verzichten würde, dann wäre deswegen kein Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft gerettet.