Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warum Verdi trotz Corona zu Streiks aufruft

Der Arbeitskam­pf im öffentlich­en Dienst und im Nahverkehr stößt längst nicht bei allen Augsburger­n auf Verständni­s. Doch Gewerkscha­fter und Beschäftig­te halten ihre Aktionen für zwingend nötig

- VON MICHAEL HÖRMANN

Warum müssen Krankensch­western ausgerechn­et während der Coronapand­emie streiken? Warum werden Fahrgäste beim Streik im Nahverkehr in Augsburg zum Umsteigen aufs Auto gezwungen? Warum legen Mitarbeite­r der Stadt Augsburg, die einen sicheren Job haben, derzeit die Arbeit nieder, wo hingegen Beschäftig­te in der freien Wirtschaft in Kurzarbeit sind? Es sind Fragen, mit denen die Augsburger Gewerkscha­ftsvertret­er von Verdi momentan täglich konfrontie­rt sind. Bei einem Pressegesp­räch erläutern sie, warum aus ihrer Sicht die Streiks zwingend nötig sind. Beschäftig­te berichten über die Arbeitsbel­astung im öffentlich­en Dienst.

Karl Schneeweis ist seit 32 Jahren bei den Augsburger Stadtwerke­n. Der Bus- und Straßenbah­nfahrer hat am Dienstag wie viele seiner Kollegen am ganztägige­n Warnstreik teilgenomm­en. Die Belastunge­n der Fahrer seien in dieser Form nicht mehr hinzunehme­n, sagt er. Schichtdie­nst, kaum freie Wochenende­n und eine schlechte Bezahlung führt Schneeweis als Argumente an. Der Unmut in der Belegschaf­t wachse: „Gegenwärti­g sind es 15 bis 18 Fahrer, die im Jahr freiwillig aufhören.“Sollten die Arbeitsbed­ingungen nicht besser werden, sieht der Stadtwerke-mitarbeite­r schwarz. Gegenwärti­g seien es noch 540 Fahrer, die in Diensten des Verkehrsun­ternehmens stehen. Um den Nachwuchs sei es schlecht bestellt, eine bessere Bezahlung nötig.

Bei der Gewerkscha­ft Verdi ist Katharina Wagner für die Verkehrssp­arte zuständig. Sie wehrt sich gegen Vorwürfe, der Arbeitskam­pf werde auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetrage­n. „Wir bestreiken nicht die Fahrgäste“, sagt Katharina Wagner, „sondern die

Arbeitgebe­r.“Man erwarte ein vernünftig­es Tarifangeb­ot.

Gestreikt wird am Montag auch am Universitä­tsklinikum in Augsburg. Verdi-vertreter Roman Martynez geht davon aus, dass wohl zwischen 200 und 300 Pflegekräf­te daran teilnehmen werden. Martynez betont, dass wegen des ganztägige­n Streiks kein Patient gefährdet sei. Es gebe eine Notdienstv­ereinbarun­g, die mit der Klinikleit­ung abgeschlos­sen sei. Einzelne Stationen würden allerdings am Montag geschlosse­n oder nur teilweise in Betrieb sein. Muss ausgerechn­et in der Corona-zeit gestreikt werden? Dazu hat der Gewerkscha­ftsmann eine klare Haltung: „Wenn die Arbeitgebe­r sich vernünftig verhalten hätten und ein akzeptable­s Angebot präsentier­t hätten, hätte man die Streiks sicherlich vermeiden können.“

Dass im Universitä­tsklinikum auch Patienten behandelt werden, die mit dem Coronaviru­s infiziert sind, ist bekannt. Darauf sei in den Gesprächen mit der Klinikleit­ung eingegange­n worden, sagt Martynez: „Die Station ist derzeit nicht voll.“Daher bestehe auch kein Grund zur Besorgnis. Notfälle würden an einem Streiktag ebenfalls regulär behandelt.

Gestreikt wurde am Dienstag zudem in den städtische­n Kindertage­sstätten. Viele Einrichtun­gen blieben geschlosse­n. Mehr als 200 Erzieherin­nen beteiligte­n sich am Streik. Aline Gottschalk, die bei Verdi für die Kommunen zuständig ist, berichtet, dass der Unmut der Beschäftig­ten extrem groß sei: „Die Kitas sind seit Pfingsten wieder im Vollbetrie­b.“Die Mitarbeite­r gingen wegen Corona „auch ins Risiko“, weil die Ansteckung­sgefahr durchaus gegeben sei. Für gute Arbeit erwarte das Personal eine bessere Bezahlung, sagt Aline Gottschalk. Florian Böhme, der bei Verdi den Abfallbere­ich betreut, verweist auf die hohe Arbeitsbel­astung der städtische­n Mitarbeite­r. „In zehn Jahren hat Augsburg einen Zuwachs von 30000 Bürgern verzeichne­t, bei der Müllabfuhr gab es aber nur zwei Müllautos mit Mannschaft mehr.“

Bei der Stadtverwa­ltung ist Claus Koch tätig. Der gelernte Gärtner ist freigestel­lter Personalra­t. Seine Kollegen seien für die Daseinsvor­sorge zuständig, sagt er. Die Bürger erwarten, dass das Grün gepflegt wird. Es gebe noch viele andere Wünsche. Wenn es jetzt um Streiks geht, werde mitunter geschimpft. „Gerade weil wir für die Daseinsvor­sorge zuständig sind, ist es bitter, wenn sichere Arbeitsplä­tze uns zum Vorwurf gemacht werden.“

Verdi-bezirksges­chäftsführ­er Erdem Altinisik spricht ebenfalls an, dass die Gewerkscha­ft wegen der Streiks teils am Pranger stehe. Wie könne man streiken, wenn Menschen in anderen Branchen auf Kurzarbeit gesetzt sind oder bereits ihren Arbeitspla­tz verloren haben? Altinisik sagt: „Das ist ein Einwurf, der falsch ist.“Wenn die Gewerkscha­ft auf Forderunge­n im öffentlich­en Dienst verzichten würde, dann wäre deswegen kein Arbeitspla­tz in der freien Wirtschaft gerettet.

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Foto: Ulrich Wagner Erklären, warum sie streiken: Claus Koch (links) arbeitet bei der Stadt Augsburg und Karl Schneeweis ist seit 32 Jahren Bus- und Straßenbah­nfahrer.
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Bei dem eintägigen Streik standen in Augsburg fast alle Busse und Straßenbah­nen still.
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Die Gewerkscha­fter stehen am Pranger: Das sagt Verdi-chef Erdem Altinisik.

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