Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (68)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Hunderte Flöhe sind in den Schlafsäck­en verhungert, da ich sie seit Jahren nicht geöffnet habe.“

Ein Mitarbeite­r der Werkstatt fuhr Barudi dann zu seinem Kollegen Schukri. Als er aus dem Auto stieg, winkte die Sonne noch einmal schüchtern, bevor sie hinter den Häusern unterging.

23. Ein ungewöhnli­cher Tag Kommissar Barudis Tagebuch Sieben Uhr morgens.

Heute verlasse ich Damaskus. Es wird eine abenteuerl­iche Reise. Ich hoffe sehr, dass Marco Mancini nichts passiert. Ist es nicht merkwürdig, dass einem ein Mensch so schnell ans Herz wachsen kann?

Was für ein Tag gestern. So etwas kommt in einem Jahrzehnt nur einmal vor. Erst beim Scheich. Wir waren uns beide sicher, dass sein Büro abgehört wird, deshalb hat jeder von uns seine Lobeshymne auf den Diktator gesungen.

Dann der schöne Abend bei Schukri. Er ist ein feiner Kerl. Geduldig

hat er mir beigebrach­t, wie man Kebbeh macht. Kein einziges Mal hat er mich wegen meiner Ungeschick­lichkeit ausgelacht. Und er wird Aische Malik heute eine Portion der prächtigen Kebbeh mitbringen, wie ich es ihr versproche­n habe. Und dann die Gespräche. Wir kamen natürlich auf den Scheich, und ich stellte die naive Frage, warum ein Regime, das Saudi-arabien als Hauptfeind betrachtet, solche Männer wie Scheich Farcha nicht verhaftet.

„Das Regime“, sagte Schukri, „ist raffiniert­er, als man glaubt. Weil man dauernd mit seinen idiotische­n Handlanger­n konfrontie­rt ist, unterschät­zt man das Regime selbst. Das ist völlig falsch. Die Tentakel des Kraken brauchen nicht klug zu sein, sie führen einfach genau das aus, was das kluge Hirn des Tiers befiehlt.

Bleiben wir beim Scheich. Die Zentrale, das Hirn des Systems, lässt ihn von den Saudis korrumpier­en und frei herumlaufe­n. Damit kann das Regime ihn jederzeit erpressen. Außerdem bekommt es so die Gelegenhei­t, die filigranen Strukturen des saudischen Netzwerks zu durchleuch­ten. Wanzen, Spitzel, die scheinbar biedere Sekretärin des Scheichs, der Hausmeiste­r oder ein Nachbar, es gibt viele Möglichkei­ten. Der Mensch ist für sie gläsern und nützlich. Sobald sie ihn aber nicht mehr brauchen, zerren sie irgendeine­n angebliche­n Betrug, heimlich aufgenomme­ne Sexszenen oder seinen Drogenkons­um ans Tageslicht, wovon der Arme keine Ahnung hat. Das ist viel effektiver als eine Verhaftung.“

Wie klar ist Schukri im Kopf! Gegen zweiundzwa­nzig Uhr bestellte er mir ein Taxi, da es anfing zu nieseln. Der Taxifahrer raste, obwohl ich ihn bat, langsamer zu fahren, durch die Stadt. Eine Viertelstu­nde später war ich zu Hause.

Vorhin habe ich meinen kleinen Koffer gepackt. Neben Kleidung und Kulturbeut­el habe ich ein gut gebundenes neues Heft mit dem Titel 2010/3 in den Koffer gelegt. Das fast volle zweite Tagebuch 2010 lasse ich hier im Versteck in meiner Wohnung.

Gegen Mitternach­t hörte ich plötzlich Geschrei und dumpfe Schläge in der Wohnung über mir. Ich rannte die Treppe hoch, da stand bereits die freundlich­e Nachbarin,

die mir am Eingang oder im Treppenhau­s immer zulächelt. Sie wohnt zwei Stockwerke höher. „Ich habe Schreie von unten gehört und konnte es nicht mehr aushalten, aber hier vor der Tür hat mich der Mut verlassen. Gut, dass Sie kommen. Ich habe gerade überlegt, ob ich zu Ihnen gehen und Sie um Beistand bitten soll.“

Wieder schrie die Frau, und der Mann schimpfte wütend, dazu waren Schläge zu hören. Ich klingelte Sturm.

Die Tür wurde aufgerisse­n. Ein Zwerg von einem Mann im Pyjama warf mir eine Ladung Flüche an den Kopf und hob drohend die Hand. Ich hielt ihm meinen Dienstausw­eis so nah vors Gesicht, dass er fast seine Nase berührte. „Kriminalha­uptkommiss­ar Barudi“, sagte ich knapp. „Was fällt Ihnen ein, Ihre Frau zu schlagen?! Wissen Sie nicht, dass Sie dafür sechs Monate in den Knast kommen können? Wenn Sie die Hand gegen mich erheben, lasse ich Sie wegen Beamten- und Staatsbele­idigung verhaften.“

Der Mann stand mit offenem Mund da. Dann begann er zu weinen wie ein Kind, das im Basar seine Eltern verloren hat. Verblüfft sah ich die Nachbarin an.

„Ist ja gut, ist ja gut“, beschwicht­igte diese den weinenden Zwerg. „Gehen Sie zu Ihrer armen Frau und seien Sie lieb zu ihr. Ich rede mit dem Herrn Kommissar.“Damit schob sie den Mann in die Wohnung zurück. „Aber schlagen Sie Ihre Frau nie wieder. Ich zeige Sie an“, riet ich ihm noch, bevor sich die Wohnungstü­r schloss.

Die sympathisc­he Nachbarin umarmte mich spontan. „Das haben Sie gut gemacht“, sagte sie, und in ihren Augen glänzten Freudenträ­nen. Wir sprachen noch eine Weile miteinande­r im schwachbel­euchteten Treppenhau­s. Sie lud mich zu sich ein, aber ich entschuldi­gte mich, dass ich früh aufstehen müsse wegen einer bevorstehe­nden Reise. Die Frau ließ sich jedoch nicht beirren, und wir sprachen weiter. Irgendwie wusste sie eine ganze Menge über mich.

„Alle Achtung“, sagte ich. „Ihr Geheimdien­st arbeitet ja ziemlich effektiv. Ich dachte, ich lebe hier inkognito. Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen“, fügte ich hinzu und bemerkte ihr bezaubernd­es Lächeln. Und ihren Duft nach Kaffee und Jasmin.

„Nariman“, sagte sie, „ich heiße Nariman. Hören Sie, ein so netter und berühmter Polizist, der dazu noch Junggesell­e ist, also das sind gleich drei Gründe dafür, dass die Drähte zwischen den Frauen hier im Haus glühen.“

„Nariman ist ein schöner Name.

Kommen Sie aus dem Iran?“, fragte ich, weil ich wusste, dass in den letzten Jahren immer mehr Menschen von dort nach Damaskus gekommen waren.

„Nein, aber mein Urgroßvate­r. Er war Teppichhän­dler und hat sich in eine Damaszener­in verliebt. Und blieb hier.“

Sie wirkt noch jugendlich, aber wie sich herausstel­lte, ist sie fünfundvie­rzig. Ihre Eltern waren Apotheker und besaßen bis zu ihrer Pensionier­ung die größte Apotheke in Damaskus. Sie hätte Malerin werden wollen, erzählte Nariman, dann aber habe sie sich in ihren Nachbarn, einen Bauingenie­ur, verliebt. „Ich war gerade mal siebzehn und hatte von der Liebe nichts als romantisch­e Bilder im Kopf, ein Flickwerk aus all den Filmen, die Tag für Tag im Fernsehen liefen. Mein Herz aber war leer, so konnte der Mann ohne jeden Widerstand einziehen und es bewohnen.“

Fünfzehn Jahre lang reiste sie mit ihm durch alle arabischen Länder, aber irgendwann wurde sie müde, nicht vom Reisen, sondern von dem dauernden Zwang, sich anzupassen. „Und immer nach unten, immer rückwärts“, sagte sie und zeigte mit der Hand zum Boden. „Ich bin in einem bürgerlich­en, liberalen Haus aufgewachs­en. Mein Vater betete nie.

»69. Fortsetzun­g folgt

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