Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Streit über Zigarettenrauch
Eine Familie freut sich über ihre neue Eigentumswohnung in Augsburg – bis unter ihr ein rauchendes Ehepaar einzieht. Längst ist der Konflikt um den Qualm eskaliert. Ein Streit wie dieser ist kein Einzelfall
Eine Familie freut sich über ihre neue Eigentumswohnung in Augsburg – bis unter ihr ein rauchendes Ehepaar einzieht. Der Konflikt um den Qualm eskaliert.
Als sich die Maiers vor sechs Jahren eine Eigentumswohnung im Augsburger Textilviertel kauften, hätten sie im Traum nicht daran gedacht, dass es dort einmal so ein Problem geben könnte. Ein Problem, das sie und den Frieden im Haus massiv belastet. Elisabeth und Gunther Maier sowie ihre zehn Jahre alte Tochter Felicitas (alle Namen von Betroffenen im Artikel geändert) fühlen sich in der Wohnung im zweiten Stock eines modernen Mehrfamilienhauses nicht mehr wohl. Dort herrscht buchstäblich dicke Luft.
Vor vier Jahren zogen Helmut und Beate Wissner als Mieter unter ihnen ein. Beide sind leidenschaftliche Raucher. Die Maiers fühlen sich durch deren Zigarettenqualm belästigt. Corona habe ihnen zufolge die Situation deutlich verschärft, da die Nachbarn von da an von Zuhause aus arbeiteten. Die Wissners sagen selbst, dass ihnen die Problematik durchaus bewusst ist – doch auch sie fühlen sich nicht gehört.
Man muss die Architektur des Hauses erklären, um den Ärger der Familie Maier zu verstehen. Über Terrasse und Balkon des vierstöckigen Gebäudes sind die Schächte für ein Be- und Entlüftungssystem angebracht. Über sie wird von außen Luft angezogen und auf die Zimmer verteilt. Im Fall der Maiers ist die Luft aber nicht immer frisch. Im Gegenteil. Denn die Wissners in der Wohnung unter ihnen rauchen ausschließlich auf dem Balkon. In den eigenen vier Wänden wollen sie das nicht. Zusammen konsumiert das Paar nach eigenen Angaben am Tag rund 30 Zigaretten. Der aufsteigende Zigarettenqualm verbreitet sich über das Lüftungssystem in den Zimmern der Familie über ihnen. „Das geht morgens los, abends riecht es bei uns manchmal wie früher in einer Kneipe,“klagen die Maiers. Sie sind vor allem um die Gesundheit ihrer Tochter besorgt.
Verschlimmert habe sich die Situation laut der Familie seit Corona. „Wegen Homeoffice rauchten sie den ganzen Tag. Besonders schlimm war es, als unsere Tochter noch Homeschooling machen musste.
lassen immer die großen Fenster auf, damit es bei uns durchzieht, aber was wird im Winter?“, fragt die Mutter. Wie die Maiers erzählen, haben sie öfter das Gespräch mit den Nachbarn gesucht, seien aber auf wenig Verständnis gestoßen. „Das Rauchen ist ihre Leidenschaft, die sie nicht aufgeben wollten“, meint Gunther Maier. Dass man von niemanden verlangen könne, mit dem Rauchen aufzuhören, sei ihm klar. „Aber es wäre schon toll, sich wenigstens auf ein bestimmtes Zeitfenster einigen zu können.“Doch auch da sei die Familie bislang auf taube Ohren gestoßen. Das sehen die Wissners anders.
Das von Maiers vorgeschlagene Zeitfenster sei ihnen zwar zu extrem gewesen, berichtet Helmut Wissner. „Aber wir waren bereit, uns zu beschränken.“Vor acht Uhr morgens und ab 23 Uhr abends hätten seine Frau und er freiwillig auf das Rauchen auf dem Balkon verzichtet. Aber sie hätten keine Reaktion auf ihren Vorschlag erhalten. Auch das Angebot, bei den Nachbarn einen Aktivkohlefilter in das Lüftungssystem einbauen zu lassen, sei nicht angenommen worden. Gabriele Seidenspinner, Geschäftsführerin des Haus- und Grundbesitzervereins Augsburg, weiß, wie schwierig derartige Interessenskonflikte sind. Gewir rade beim Rauchen. Sie sagt: „Ich kenne keinen Fall, in dem es eine befriedigende Lösung für beide Seiten gab. Außer, eine Partei zog letztendlich aus.“Das kommt für die Maiers nicht infrage. Im Gegensatz zu den Nachbarn unter ihnen sind sie Eigentümer der Wohnung.
In dem konkreten Fall sind bisher keine Gerichte eingeschaltet. Es ist aber nicht unüblich, dass Streitigkeiten um das Rauchen vor Gericht landen. Allerdings gibt es keine einheitliche Rechtssprechung. Grundsätzlich darf auf Balkonen geraucht werden. Laut Seidenspinner gibt es aber eine Schranke in Form des sogenannten Rücksichtnahmegebots.
„Demnach muss darauf geachtet werden, dass niemand durch Zigarettenqualm unzumutbar beeinträchtigt wird.“Allerdings sei die Auslegung von „unzumutbar“ziemlich schwammig. Der Bundesgerichtshof (BGH) sah in einem Urteil vor einigen Jahren als Lösung eine Zeitabschnitts-regelung. Zeiträume also, in denen ein Mieter unbeeinträchtigt von Rauchbelästigung bleibt, während der anderen Partei Zeiten eingeräumt werden, in denen draußen geraucht werden darf. Eine Festlegung der Zeitkorridore müsse aber im Einzelfall geklärt werden, so der BGH. „Es ist einfach ein blödes Thema, egal von welcher Seite man es angeht“, sagt Gabriele Seidenspinner.
In Zeiten von Corona werde der Haus- und Grundbesitzerverein verstärkt mit dem Thema der gegenseitigen Rücksichtnahme konfrontiert. Dabei stehe aber nicht das Rauchen, sondern eine andere Problematik im Fokus. „Schon vor Corona wurden in Häusern und Wohnungen in Augsburg viele Renovierungsarbeiten angestoßen. Vor allem während des Lockdowns und auch noch jetzt, wo ein Teil weiter zuhause arbeitet, fühlen sich Menschen durch den Baulärm gestört.“Die Geschäftsführerin rät in solchen Fällen zuerst immer zu einem Gespräch. Vieles ließe sich so klären.
Dafür scheint es im Mehrfamilienhaus im Textilviertel zu spät zu sein. Das Klima ist vergiftet. Vermutlich war es der Stimmung auch nicht zuträglich, dass die Maiers selbstgemalte Plakate ihrer Tochter auf den Balkon gehängt haben, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. „Homeschooling bedeutet für mich Homesmoking wegen Homeoffice. Mein Zuhause stinkt wegen Zigarettenrauch von unten“stand auf einem. Nachbar Wissner spricht von Diffamierung. Die Plakate hätten auf Druck der Hausverwaltung abgehängt werden müssen. Er und seine Frau fühlten sich seit wenigen Wochen auch belästigt – durch, wie sie glauben, gezielten Lärm von oben. Er sagt: „Morgens um 5.30 Uhr oder abends um 23.30 Uhr gibt es über uns Getrampel und Gehüpfe.“