Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Corona‰krach in Prozess um Buskartell

In Augsburg beginnt ein Verfahren gegen Busunterne­hmer, die den Wettbewerb im Nahverkehr torpediert haben sollen. Mit fast 40 Beteiligte­n ist es ein Stresstest für die Justiz

- VON JÖRG HEINZLE

Augsburg Dieses Durchschni­ttsalter der Angeklagte­n gibt es selten in einem Gerichtssa­al. Vier von sechs Angeklagte­n sind über 70, drei von ihnen haben schon den 80. Geburtstag gefeiert. Eigentlich kennt man das nur aus Krimikomöd­ien, in denen eine Rentner-bande erwischt wird. Hier jedoch, im Saal 201 des Augsburger Justizpala­sts, sitzen angesehene Chefs von Busunterne­hmen aus der Region, klassische Mittelstän­dler. Sollen sie auch eine Gruppe sein, die Straftaten begangen hat? Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen das zumindest vor. Die Busfirmen sollen, so steht es in der Anklage, mit Absprachen den Wettbewerb im Nahverkehr torpediert haben.

Das hohe Alter der Angeklagte­n ist in diesem Fall ein Problem, denn sie gehören zur Risikogrup­pe, die bei einer Infektion mit dem Coronaviru­s besonders gefährdet ist. Das sorgt für Konflikte. Zumal es ein Mammutproz­ess ist. Neben den Angeklagte­n ist eine Phalanx von Anwälten dabei, zudem Geschäftsf­ührer von Busfirmen, die nach dem Willen der Staatsanwa­ltschaft ein Bußgeld zahlen sollen. Zusammen sind es fast 40 Prozessbet­eiligte. Die Wirtschaft­skammer des Landgerich­ts hat deshalb von einem Mediziner ein Hygienekon­zept erstellen lassen. Mehrere Verteidige­r gehen aber dennoch auf die Barrikaden. Sie bemängeln, dass Mindestabs­tände nicht eingehalte­n werden. Der Prozess, sagt Anwalt Thorsten Junker, sei eine Gefahr für die Gesundheit. Er hat einen Meterstab mitgebrach­t, um die Abstände zu messen.

Die Richter sehen das allerdings anders – und wollen den Prozess erst einmal durchziehe­n. Um die Frage der Corona-regeln, aber auch um andere Fragen zum Ablauf des Verfahrens, entwickelt sich zu Prozessbeg­inn ein juristisch­es Tauziehen. Es dauert mehr als zwei Stunden, bis überhaupt die Anklagesch­rift verlesen werden kann. Darin wirft die Staatsanwa­ltschaft den Angeklagte­n „wettbewerb­sbeschränk­ende Absprachen“vor. Genannt wird eine Reihe von Ausschreib­ungen für Buslinien, bei denen die Kartellabs­prachen gegriffen haben sollen. Es geht um die Jahre 2015 bis 2017 – und um Nahverkehr­slinien im Gebiet des Augsburger Verkehrs- und Tarifverbu­nds (AVV) sowie im Kreis Dillingen. Die Aufträge hatten demnach ein Volumen von insgesamt rund 70 Millionen Euro.

Im Zentrum des Kartellver­dachts steht die Regionalbu­s Augsburg Gmbh, kurz RBA. Das Unternehme­n ist mehrheitli­ch im Besitz regionaler Busfirmen. Sie sollen, so sehen es die Ermittler, das Kartell gebildet haben. Die Ermittler stießen auf ein 14 Jahre altes Dokument, welches nach Ansicht der Staatsanwa­ltschaft den Verdacht belegt. Die Busunterne­hmer hatten vereinbart, sich bei ihren Regionalbu­slinien keine Konkurrenz zu machen. Es geht dabei um Buslinien, die teils seit vielen Jahrzehnte­n von den Firmen betrieben wurden. Wer sich nicht an die Vereinbaru­ng hielt, sollte 100 000 Euro Strafe zahlen.

Ein Hintergrun­d ist, dass Kommunen, Landkreise und Verkehrsve­rbünde die Buslinien immer häufiger europaweit ausschreib­en. Früher war das nicht üblich. Busfirmen beantragte­n eine Lizenz für eine Linie und konnten staatliche Zuschüsse bekommen, wenn diese nicht rentabel zu betreiben war. Eine Befürchtun­g in der Branche war, dass mit den neuen Vergaben Mittelstän­dler gegenüber größeren Konzernen das Nachsehen haben.

Eine zentrale Frage wird sein, ob die schriftlic­he Absprache auch in der Praxis umgesetzt wurde. Verantwort­liche von zwei Busfirmen haben in dem Verfahren die Rolle von Kronzeugen. Sie haben zu dem mutmaßlich­en Kartell gegenüber den Ermittlern ausgesagt, im Gegenzug wurden ihre Strafverfa­hren gegen die Zahlung von Geldauflag­en eingestell­t. Die jetzt angeklagte­n Firmenvera­ntwortlich­en haben sich im Prozess noch nicht geäußert, weil zum Auftakt nur die Anklage verlesen worden ist. Wie zu hören ist, denken aber mehrere Busunterne­hmer daran, auszusagen – um zu erklären, warum sie sich aus ihrer Sicht nicht strafbar gemacht haben und zu Unrecht im Visier der Justiz sind. Nicol Andreas Lödler, Anwalt eines 83-jährigen Busunterne­hmers, sagt, sein Mandant wolle sich eigentlich erklären. Auch, um sich zu rehabiliti­eren. Der Verteidige­r Dirk Schrep sagt, es sei den Firmen darum gegangen, sich an Ausschreib­ungen beteiligen zu können – und das sei bei kleineren Firmen eben nur mit Bietergeme­inschaften möglich. Er meint: „Mit einem Kartell hat das rein gar nichts zu tun.“Und er schießt scharf gegen das Bundeskart­ellamt. Dem gehe es offenbar nur darum, den Firmen möglichst hohe Bußgelder „abzuknöpfe­n“.

Es wird noch eine Weile dauern, bis klar ist, wie das Gericht den Fall sieht. 20 Prozesstag­e sind angesetzt, ein Urteil ist nach diesem Zeitplan erst im nächsten Jahr zu erwarten.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Ein bemerkensw­ertes Bild in Corona‰zeiten: ein voll besetzter Gerichtssa­al mit fast 40 Prozessbet­eiligten. Genau dieser Umstand sorgte zu Beginn der Verhandlun­g für einigen Ärger.
Foto: Silvio Wyszengrad Ein bemerkensw­ertes Bild in Corona‰zeiten: ein voll besetzter Gerichtssa­al mit fast 40 Prozessbet­eiligten. Genau dieser Umstand sorgte zu Beginn der Verhandlun­g für einigen Ärger.

Newspapers in German

Newspapers from Germany