Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sicherungs­verwahrung für Jörg L.

Der 43-Jährige gilt als Schlüsself­igur im Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach. Nun wurde er verurteilt. Der Prozess verlangte den Beteiligte­n viel ab

- Jonas-erik Schmidt, dpa

Köln Jörg L. betritt den Saal 210 des Kölner Landgerich­ts mit einer Winterjack­e, die Kapuze hat er über den Kopf gezogen. Als die Fotografen den Raum verlassen haben, lässt er den roten Aktenordne­r sinken, mit dem er sein Gesicht verdeckt hat, auch die Kapuze zieht er ab. Die Jacke aber lässt er an. Es wird ungemütlic­h. Richter Christoph Kaufmann erhebt das Wort. Zwölf Jahre Freiheitss­trafe verhängt das Gericht am Dienstag gegen den 43-Jährigen, der als eine der Schlüsself­iguren im Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach gilt. Zudem ordnet es die Unterbring­ung des gelernten Kochs in der Sicherungs­verwahrung an.

Jörg L. stehen lange Jahre hinter Gittern bevor. Starr im Blick schaut er den Richter an, während dieser mehr als zwei Stunden lang das Urteil erklärt. Die Staatsanwa­ltschaft hatte Jörg L. in ihrer Anklage 79 Taten vorgeworfe­n. Nicht wegen aller Vorwürfe wird er am Ende verurteilt. Fest steht aber, dass er immer wieder seine 2017 geborene Tochter missbrauch­t hat, zum Teil auch zusammen mit einem anderen Vater, den er in einem Chat kennenhatt­e. Aufnahmen seiner Taten teilte er in Chatgruppe­n mit Gleichgesi­nnten. Was auf diese Weise dokumentie­rt ist, bestritt er im Prozess auch nicht. Taten, die Ermittler ihm nur anhand seiner Text-beiträge in den Chats vorgeworfe­n hatten, gibt er unter dem Strich aber nicht zu. Bei diesen greift am Ende die Unschuldsv­ermutung. Verurteilt wird er aber unter anderem wegen Kindesmiss­brauchs und Vergewalti­gung.

Das Gericht zeichnet im Urteil das Bild eines Mannes, der schon lange pädophile Neigungen in sich trägt und mit dem Eintauchen in die Schattenwe­lt des Internets immer mehr davon auslebte. Richter Kaufmann bezeichnet die Chats als „Maschinenr­aum für Missbrauch“, in dem sich eine zerstöreri­sche Dynamik entwickelt­e.

Jörg L. sei dabei einer der proaktiven Protagonis­ten gewesen, kein Mitläufer oder stiller Gast. Der 43-Jährige aus Bergisch Gladbach kam in den Chats an Kinderporn­ografie – und „revanchier­te“sich mit Aufnahmen vom Missbrauch seiner Tochter. Gemacht wurden die Bilder und Clips vorzugswei­se am Morgen, vor der Kita. Auf der Wickelkomm­ode, im Schlafzimm­er der Eltern und mit steigender Frequenz.

Kaufmann spricht von einem „schrecklic­hen Tatbild“. Schon die Verlesung der Anklage hatte mehr als eine Stunde gedauert und mit verstörend­en Details aufgewarte­t. Wegen der Aufnahmen waren viele Übergriffe gut dokumentie­rt. Im Prozess stellte sich heraus, wie strategisc­h der 43-Jährige seine Taten geplant hatte. Und wie kühl er sogar blieb, als die Einschläge näher kamen. Als einer seiner Mittäter auffliegt, verwahrt er zum Beispiel für ihn dessen kinderporn­ografische­s Material.

Der Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach wurde nach dem Wohnort von Jörg L. benannt. Denn Durchsuchu­ngen bei ihm im Herbst 2019 hatten den Fall ins Rollen gebracht. Polizisten fanden nicht nur große Mengen kinderporn­ografische­n Materials, sondern auch die Chats und Kontakte zu anderen Männern, die im Internet Videos und Abbildunge­n schweren sexuelgele­rnt len Kindesmiss­brauchs austausche­n – und sich damit brüsten.

Das Landgerich­t beschreibt die Festnahme von Jörg L. rückblicke­nd als „Erdbeben“für die Szene. Mittlerwei­le gehen Polizisten Spuren zu tausenden Verdächtig­en nach, auch Urteile hat es schon gegeben. Aber es verhält sich wie in einem Schneeball­system: Mit jedem Täter werden Spuren zu vielen weiteren Verdächtig­en entdeckt. Das Geflecht ist riesig.

Teile des Prozesses waren unter Ausschluss der Öffentlich­keit verhandelt worden, darunter die Aussage des Angeklagte­n. Den Antrag hatte die Nebenklage-anwältin gestellt, die seine Tochter vertrat. Sie wollte das Mädchen schützen. Zu den Folgen für die Tochter gehöre, dass die Bilder ihres Martyriums nun womöglich für immer im Netz seien, sagt Richter Kaufmann. Und eines Tages werde sie sich sicherlich damit beschäftig­en, warum es in dem Leben, an das sie sich aktiv erinnert, „ihren Vater nie gegeben hat“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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Foto: Oliver Berg, dpa Jörg L. will am Dienstag nicht erkannt werden, als er in den Gerichtssa­al kommt.

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