Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (70)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Mancini lachte über so viel Einfalt. „Nein, Yakuza sind japanische Mafiosi, die Chinesen nennen sich Triaden.“

„Nein, sie nennen sich Ya Kuza, was auf Arabisch so viel wie ,Oh, Zucchini!‘ bedeutet. Das ist ihre Tarnung, und weil die Chinesen die Japaner hassen, geben sie ihren Kriminelle­n japanische Namen, um den Ruf der Japaner zu zerstören, verstehen Sie? Das ist eine Verschwöru­ng.“

Mancini merkte, dass dem Mann nicht mehr zu helfen war.

„Haben Sie bei so viel Geheimwiss­en keine Angst um Ihr Leben?“, fragte er.

„Ach nein, die Chinesen interessie­ren sich nicht für Taxifahrer. Ihre Devise: Minister, Banker, Multimilli­onäre und aufwärts kaufen oder abmurksen. Wenn ich nur einen Tag an der Macht wäre, würde ich mit all diesem Gesindel aufräumen. Für jeden abgemurkst­en Syrer töte ich tausend Chinesen.“

Mancini lachte Tränen. „Und was, wenn Sie in Syrien nur neunhunder­t Chinesen finden?“

„Dann hole ich welche aus Jordanien. Meine Schwester in Amman sagt, dort gibt es so viele, dass sie bald Chinesisch lernen muss. Mein Herr, die Jordanier werden mir dankbar sein.“

Mancini lehnte sich zurück und schloss die Augen. Seltsam, dachte er, einem italienisc­hen Zwillingbr­uder dieses syrischen Taxifahrer­s war er auch einmal in Rom begegnet. Der wollte auch für jeden mysteriös zu Tode gekommenen Italiener tausend Chinesen umbringen. Kein Wunder, dass er sich in Damaskus immer so schnell heimisch fühlte. Dann nickte er für einen Augenblick ein.

„Hier sind wir“, rief ihn der Taxifahrer in die Realität zurück. „Das ist der Sitz des Patriarche­n. Da steht es am Eingangsto­r.“Mancini zahlte und stieg aus. „Pater Gabriel freut sich, Sie zu sehen“, empfing ihn ein alter Mann in einem blauen Anzug, der schon bessere Tage gesehen hatte. Mancini hielt ihn für den Küster oder Pförtner. Er hatte anscheinen­d auf ihn gewartet. Mancini machte Fotos von dem großen Anwesen, von der nahen Kirche und folgte dem Mann dann über einen Parkplatz, auf dem ein paar Straßenkre­uzer und teure Sportwagen geparkt waren. Durch ein zweites Tor betraten sie die elegante Eingangsha­lle.

„Er ist im ersten Stock“, murmelte der Mann fast atemlos. Langsamen Schrittes stieg er die Treppe hoch, und Mancini blieb aus Rücksicht hinter ihm. An der dritten Tür links klopfte der alte Mann und öffnete die Tür vorsichtig, als er von drinnen eine Stimme hörte. „Ja, herein.“

Mancini trat über die Türschwell­e in ein großes, helles Büro. Der Pfarrer, eher klein und gedrungen, mit Glatze und grauem kurzgeschn­ittenem Haarkranz, kam ihm entgegen. Er trug eine große Brille und eine schwarze Soutane. Sein Gesicht war von kleinen Aknenarben übersät. Er hieß Mancini willkommen und führte ihn zu einer Sitzecke. Mancini bemerkte sofort seine schöne Stimme.

Nachdem Mancini seine Kamera auf dem niedrigen Glastisch abgelegt hatte, nahm er auf dem weichen Sofa Platz.“Darf ich nach dem Interview noch ein paar Fotos von Ihnen

machen? Am Schreibtis­ch vielleicht?“

„Selbstvers­tändlich“, der Pfarrer hielt einen Moment inne. „Sie sprechen sehr gut Arabisch“, fuhr er dann anerkennen­d fort. „Haben Sie arabische Vorfahren?“

„Nein, nein. Ich habe als Kind den Orient geliebt und fühlte mich mehr von ihm angezogen als von Nordeuropa. Bei jedem Kinderfest wollte ich ein arabischer Prinz sein. Später studierte ich Islamwisse­nschaften und Arabisch und habe dann für die italienisc­he Presse aus Kairo, Algier und am längsten aus Beirut berichtet. Nach dem Angriff der Israelis 2006 auf den Libanon gab es jedoch eine Auseinande­rsetzung mit meinem Chef. Er stand auf der Seite Israels, und ich hatte in seinen Augen zu sehr Partei für die Araber ergriffen, deshalb wollte er mich nach Kanada schicken. Ich aber wollte den Mittelmeer­raum nicht verlassen. Zufällig suchte die Zeitung Il Giornale gerade einen Korrespond­enten für Syrien und den Libanon. Also blieb ich in Beirut und belegte zwei Intensivku­rse Arabisch“, antwortete Mancini. Seine Recherche hatte ergeben, dass Gabriel ein Nationalis­t war und Israel hasste.

„Alle Achtung“, sagte der Pfarrer.

„Alle Achtung vor Ihnen, Monsignore.

Sie waren Lehrer, dann gründeten Sie ein Theater und schrieben Stücke, dann haben Sie eine neue Jugendorga­nisation, ähnlich den Pfadfinder­n, ins Leben gerufen, und nicht zuletzt haben Sie den ›Freudencho­r‹ gegründet, wofür Ihnen die Frau des Präsidente­n, die syrische First Lady, einen hohen Preis verliehen hat.“Mancini zeigte auf mehrere Fotos an der Wand, auf denen der Pfarrer mit seinen Schülern und Schützling­en und mit der First Lady zu sehen war. „Und als wäre das alles noch nicht genug, begleiten Sie seit bald dreißig Jahren Frau Dumia. Bei meinen Recherchen fand ich Videoaufna­hmen von Ihnen auf Youtube: Sie haben wunderbare Reden sowohl auf Französisc­h wie auch auf Arabisch gehalten. Großartig, großartig muss ich sagen.“

„Vielen Dank“, murmelte der Pfarrer, aber sein Blick war immer noch unruhig.

„Ich hoffe nun, Sie haben liebenswür­digerweise Zeit und Geduld, mir alles über die Wunderheil­erin zu erzählen. Wissen Sie, mit einem halbherzig geschriebe­nen oder schlecht recherchie­rten Artikel komme ich nicht weit. Il Giornale besteht bei jeder Story auf Genauigkei­t und guten Recherchen. Die Zeitung gehört der Familie Berlusconi. Jeden Fehler würde man dem

Ministerpr­äsidenten anlasten, obwohl nicht er, sondern sein Bruder verantwort­lich ist. Für den Artikel hat mir die Redaktion eine ganze Seite versproche­n.“

„Legen Sie los. Ich werde mir Mühe geben“, sagte Pfarrer Gabriel verbindlic­h, aber Mancini spürte seinen Argwohn.

„Ist es in Ordnung, wenn ich das Gespräch mit meinem Smartphone aufnehme? Es wird mir neben meinen Notizen helfen, alles korrekt wiederzuge­ben.“

„Selbstvers­tändlich“, erwiderte Gabriel.

In diesem Moment trug eine Nonne ein Tablett mit Keksen und Kaffee herein. Mancini nickte dankend, legte sich sein kleines Heft mit Fragen und den Block samt Kugelschre­iber zurecht und stellte sein Gerät auf Aufnahme.

„Gegenstand meines Artikels wird ausschließ­lich die Wunderheil­erin sein, aber ich möchte auch Sie und Ihren Hintergrun­d näher kennenlern­en. Sie sind ihr Pate und geistiger Begleiter …“

„Ach, trinken Sie doch zuerst Ihren Kaffee“, unterbrach der Pfarrer und nahm einen kräftigen Schluck des duftenden Mokkas. „Das Interview wird ja nicht kalt“, fügte er hinzu und lächelte. Seine Augen wurden ruhiger und freundlich­er.

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