Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Reise zu den Monstern der Unterwelt
Mit Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“startet das Musiktheater in die neue Spielzeit. Hier stoßen Instrumente des 18. Jahrhunderts auf allerneueste Videotechnik mit Virtual Reality
Endlich wieder szenische Oper. An die sieben Monate hat es gedauert, bis das am Staatstheater Augsburg wieder möglich ist. Nicht wenige Theatergänger sehnten diesen Tag in der Folge von drei Schauspielneuproduktionen herbei. Christoph Willibald Glucks Reform-oper „Orfeo ed Euridice“hätte bereits im Mai herauskommen sollen. Nun feiert sie an diesem Samstag unter anderen Umständen ihre Premiere im Martini-park. Ein wenig melodramatisch darf behauptet werden, dass der Opernstoff – wie schon öfter in der (Musik-)geschichte – mal wieder an einem Wendepunkt der Bühnenkunst erscheint: Wie groß ist die Macht der Musik? Und wie groß ist sie angesichts des Todes?
Die mythische Handlung der Oper ist, gerade weil sie eine sogenannte Reformoper im Wien des Jahres 1762 war, schnell erzählt. Einfach, geradlinig, konzentriert sollte es nunmehr zugehen – nach den irrsinnig impulsiven Verwicklungen der Barockoper. Orfeo holt seine durch Schlangenbiss vergiftete Braut Euridice aus dem Elysium zurück, nachdem er die Furien der zuvor zu durchschreitenden Unterwelt mit der Macht seines schönen Gesangs besänftigt hat. Zwar dreht er sich entgegen einer Auflage von Jupiter bei seiner Rückkehr an den
Averner See liebend nach Euridice um – was diese erneut sterben lässt, aber letztlich zeigen Jupiter und Amor so viel Mitgefühl mit dem verzweifelten Orfeo, dass sie ihm Euridice erneut wiedergeben. Der Liebe der Frischgetrauten steht nichts mehr im Weg.
Mit dem Stoff des Orfeo startete nicht nur Glucks Opernreform, mit diesem Mythos von der Macht der Musik war Ende des 16. Jahrhunderts die Operngeschichte überhaupt begonnen worden – und später, im 19. Jahrhundert, lag er in der Wiege der Operettengeschichte.
Auch am Staatstheater Augsburg startet mit der Neuproduktion in gewisser Weise eine neue Darstellungsform, interessanterweise nach vergleichbaren Versuchsanordnungen: Vor einigen Jahren brachte das Theater Bohuslav Martinus Oper „Die drei Wünsche“heraus, in die sehr früh das Medium Film eingebaut ist (1929!), dann – und bis heute – begegnete dem Publikum immer mal wieder der Einsatz einer Live-kamera, und nun wird die jüngste visuelle Technik für das Musiktheater ausprobiert: virtuelle Realität mit Vr-brille. Heißt: Wer sich die „Brille“aufsetzt, die viel mehr ist als eine Brille, der findet sich inmitten eines computeranimiert-bewegten dreidimensionalen Raums wieder. Vorne, hinten, links, rechts, oben, unten: eine künstliche, räumliche Welt, in der sich der Brillenträger bewegt, besser: bewegt wird. Das ist durchaus als spektakulär zu bezeichnen. Wer diese Technik noch nicht kennt, wird staunen. Musikdramaturgin Sophie Walz: „Unseres Wissens nach hat noch kein Theater diese Technik als ein Inszenierungsmittel eingesetzt.“
Überraschung soll bleiben. Nur so viel darf angekündigt werden: Anhand der Vr-brille reisen die Zuschauer von der Gemäldegalerie als Bühnenbild im Martini-park virtuell zunächst in die Unterwelt und dann weiter ins Elysium. Man könnte sagen: Jeder im Publikum ist quasi Orfeo – auch wenn er in dieser Rolle dann nicht die Furien mithilfe seines Gesangs besänftigen muss.
So avanciert Intendant André Bücker bei seiner „Orfeo“-inszenierung in die technische Zukunft auch blickt: Für Glucks Komposition wird historische Aufführungspraxis und mutmaßlicher Originalklang angestrebt. Dirigent Wolfgang Katschner, Spezialist für Alte Musik und Leiter der Berliner „lautten compagney“, besorgte solch ursprünglich besetzten Instrumente wie Laute und Zink und dirigiert die von ihm gewünschte Wiener Fassung des „Orfeo“, ergänzt um eine Euridice-arie aus der späteren Pariser Fassung von 1774.
Und was antwortet André Bücker auf die Frage: Was ist größer, die Macht der Musik im historischen Klanggewand oder die Macht des bewegten dreidimensionalen Bildes?
Der Intendant sagt: „Ich bin überzeugt, dass sich das gegenseitig ergänzt. Das Musiktheater will ja immer Bilder über die Musik hinaus liefern. Die Produktion wird eine besondere visuelle Dimension haben, bei der die Musik intensiver wahrgenommen wird.“
Also: Augen und Ohren aufgesperrt!