Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Gehweg bremst Rollstuhlfahrer und Kinderwagen
In Lechhausen ist ein neues Wohnhaus entstanden, doch für den Fußweg blieb kaum Platz. Welche Folgen das hat und wie die Stadt das Problem beheben will
Carmen Sturm möchte das unbedingt selbst ausprobieren: Entlang der Wohnanlage, die hier anstelle der Schauburg in der Kreitmayrstraße in Lechhausen entstanden ist, wird der Bürgersteig in Richtung Waterloostraße immer schmaler. Die 63-jährige Rollstuhlfahrerin ist gespannt, ob sie da noch entlangfahren kann und probiert es im Beisein eines Reporters aus. Es wird eine abenteuerliche Tour. „Hier habe ich höchstens noch fünf Zentimeter bis zur Bordsteinkante“, sagt sie an der engsten Stelle, „dann kippt mein Rollstuhl weg. Was haben die sich nur dabei gedacht?“Sturm sagt, sie habe einen relativ schmalen Rollstuhl. Insbesondere mit einem Elektrorolli gebe es hier aber kein Durchkommen.
Ein Anwohner, allerdings nicht selbst betroffen, hatte darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Bürgersteig für Rollstuhlfahrer, aber auch Menschen mit Kinderwagen kaum zu benutzen sei. Spd-stadträtin Sieglinde Wisniewski hatte deshalb bei der Stadt nachgefragt. Das Stadtplanungsamt gestand zu, der Bürgersteig sei sehr schmal. Es sei geplant gewesen, im Erdgeschoss der Wohnanlage ein Café mit Vorplatz zu schaffen, aber dafür habe es keinen Interessenten gegeben. Also seien auch da Wohnungen gebaut worden, die wenig Platz für den Bürgersteig ließen. Langfristig solle der Bereich verkehrsberuhigt werden. Dann wird es wohl keine Trennung in Straße und Bürgersteig mehr geben.
Der schmale Bürgersteig ist nur eines von vielen Hindernissen, die Carmen Sturm täglich im Verkehrsraum erlebt. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des städtischen Behindertenbeirats und kennt als langjährige Kassiererin des VDK Lechhausen die Örtlichkeiten sehr gut. Das erzählt sie dem Reporter an einem Grünstreifen in der Quellenstraße – in der Kreitmayrstraße ist nirgendwo Platz, sich zu unterhalten. Für sie ist es freilich gar nicht so einfach, die paar hundert Meter dorthin zurückzulegen, obwohl sie mit ihrem Rollstuhl gut umgehen kann. Einmal kommt sie nur mit fremder Hilfe auf den Bürgersteig.
Sturm beunruhigt, dass die Stadt wieder mehr Gehwegparken erlaubt. Dann wird es für Rollstuhlfahrer ebenfalls zu eng, oder die Gefahr steigt, dass Karosserien beim Vorbeifahren angeschrammt werden. Gefürchtet sind ebenso, wie schon zu sehen war, fehlende Bordsteinabsenkungen. Sie kann meist von einem hohen Bordstein herunterfahren, weil sie sich mit dem Fuß noch abstützen kann. Den Bordstein hinauf kommt sie aus eigener Kraft aber nicht. Andere Behinderte haben ohne abgesenkten Bordstein gar keine Chance, gibt Sturm zu bedenken.
Entweder kommen die Rollis nicht weiter, sagt Sturm, oder sie drohen umzukippen. Das kann durch Löcher im Asphalt, zu breite Fugen im Pflaster oder den geneigten Bürgersteig passieren. Bei letzterem gibt es wohl keine Abhilfe, denn die Neigung dient dazu, Oberflächenwasser abfließen zu lassen. Aber Löcher gehörten zugegossen; besser noch sei ein behindertengerechtes, gut verfugtes Pflaster.
Manchmal sehe man Löcher oder Spalten im Fahrbahnbelag zu spät. Sturm litt unter Kinderlähmung und ist seit etwa 20 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Ihr Mann starb kurz vorher mit Anfang 50. Als sie eben aus dem Krankenhaus kam und mit dem Rollstuhl noch ungeübt war, so erzählt sie, sei sie an einer Ampel umgekippt. Ein Mann habe das gesehen und laut zu lachen begonnen. Sie selbst habe auch lachen müssen, aber dann habe sie ihm gesagt: „Jetzt genug gelacht, helfen Sie mir bitte wieder auf“. Da habe er den Rollstuhl so gehalten, dass sie wieder hineinklettern konnte. In der Regel ist ein Sturz aus dem Rolli aber ganz und gar nicht lustig. Viele Gelähmte können sich nicht wieder aufrichten. Außerdem drohen Knochenbrüche, denn wegen des Bewegungsmangels leiden Rollstuhlfahrer besonders unter Osteoporose.
Auch ein Kiesweg ist für sie kaum zu überwinden. Deshalb habe sie es aufgegeben, das Grab ihres Mannes zu besuchen. Und sie klagt über im Weg stehende E-roller. Auch da braucht sie stets jemanden, der das Gefährt für sie auf die Seite räumt. Blinde haben übrigens oft die gleichen Probleme wie Rollifahrer.
Nach und nach fällt Sturm noch viel mehr ein: fehlende barrierefreie Toiletten, nicht barrierefreie Tramoder Bushaltestellen (Rollifahrer steigen etwa niemals am Rathaus oder an der Haltestelle Mozarthaus/
Kolping aus oder ein, weil die Rampe der Tram dort zu steil ist). Auch Arztpraxen oder Gaststätten sind für sie oft unerreichbar. Und es fehle in Augsburg an barrierefreien Wohnungen, obwohl die Stadt meine, sie baue genügend davon. Sie weiß, wovon sie spricht: Ihre eigene Wohnung ist nicht völlig barrierefrei, eine bessere zu finden, sei aber sehr schwierig. Sturm will aber nicht nur über die Stadt schimpfen: In den vergangenen Jahren sei viel geschehen, und ihr ist klar, dass Augsburg nicht alles auf einmal in Ordnung bringen kann. Der Behindertenbeirat werde in die Planungen eingebunden. Aber dann fügt sie energisch hinzu: „Es bleibt noch viel zu tun.“