Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Mehr Chancen für Studienbewerber ohne Topabi
Der Augsburger Modellstudiengang für Humanmedizin geht neue Wege – denn es werden nicht nur Schulabsolventen mit Bestnoten aufgenommen. Im zweiten Jahrgang sollen noch mehr Bewerber dazukommen
Das Interesse war enorm, als in Augsburg vor einem Jahr der neue Modellstudiengang für Humanmedizin startete. Rund ein Fünftel aller Interessenten für ein Medizinstudium in Deutschland bewarben sich damals an der Uni Augsburg – das waren mehr als 8000 junge Leute. Das lag wohl an der innovativen Form der Ärzteausbildung. Aber auch andere Gründe dürften eine Rolle gespielt haben: In Augsburg bekommen mehr geeignete Bewerber ohne Bestnoten im Abitur die Chance auf einen Medizin-studienplatz als an vielen anderen Unis. Jetzt werden die Chancen für diesen Bewerberkreis sogar noch besser. Das kündigt Medizindekanin Martina Kadmon an.
Über die Frage, ob allein gute Noten einen guten Arzt ausmachen, wurde in den vergangenen Jahren viel und kontrovers diskutiert. Der Andrang aufs Medizinstudium ist in Deutschland zudem so groß, dass selbst Einser-abiturienten nicht immer einen Platz bekommen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts musste die Zulassung zum Medizinstudium bundesweit neu geregelt werden. Die Folge: Die ersten 84 Augsburger Medizinstudenten haben vielfältige Qualifikationen für den Arztberuf.
Zwar gibt es ein bundesweit zentrales Vergabeverfahren für Medizinstudienplätze mit festgelegten Quoten, etwa für die Abiturbesten (30 Prozent). Für 60 Prozent der Bewerber dürfen jedoch die Universitäten weitere Auswahlkriterien festlegen. In Augsburg spielt neben der Abiturnote der „Medizinertest“eine große Rolle. Bewerber, die bei diesem Test sehr gute Resultate erzielen, studieren in der Regel sehr erfolgreich. Auch Interessenten mit einer medizinnahen Berufsausbildung können in Augsburg Punkte für die Zulassung sammeln – etwa Krankenschwestern, Notfallsanitäter, Medizinisch-technische Assistenten und Physiotherapeuten.
Professorin Kadmon sagt mit Blick auf das neue Studienjahr: „Die Zulassungskriterien sind gleich geblieben, aber von der Gewichtung her bekommen geeignete Bewerber ohne Bestnoten noch mehr Chancen in Augsburg.“Das sei bundesweit etwas Besonderes. Man habe die Rechtssprechung genutzt, um die Chancen für junge Menschen ohne Einser-abitur noch einmal zu erweitern.
Unklar ist derzeit, wie sich das Interesse am Augsburger Medizinstudium weiter entwickeln wird. Aktu
bewerben sich über 25000 Interessenten auf 84 freie Plätze für Studienanfänger in Augsburg. Diese Zahl hat laut Kadmon aber begrenzte Aussagekraft, weil es Änderungen im Bewerbungsverfahren gibt. Früher mussten Interessenten bestimmte Studienort-präferenzen angeben, können sie sich gleichzeitig an allen Studienorten mit staatlichen Universitäten in Deutschland bewerben. Unklar ist auch noch, wer konkret nach Augsburg kommt, wenn die Vorlesungen an der Uni am 2. November starten. „Für uns ist das derzeit wie eine Blackbox“, sagt Kadmon. Das deutschlandweite Zulassungsverfahren könne sich coronabedingt bis weit in den November hineinziehen.
Der Aufbau der neuen Augsburger Medizinfakultät läuft unterdessen planmäßig weiter, wie die Dekanin erläutert. Die Zahl der Medizinstudierenden soll mit dem zweiten Jahrgang auf insgesamt rund 170 steigen. Im Endausbau sollen es bis 2031 über 1500 werden. „Die Schlagzahl bei der Berufung von Professoren ist weiterhin hoch“, sagt Kadmon.
Derzeit laufen 17 Berufungsverfahren. Auch der Bau des großen neuen Medizincampus beim Unikliell nikum hat begonnen. Diesen Freitag ist Grundsteinlegung für die ersten beiden Gebäude. Der symbolische Akt findet auf den Tag genau zum 50-jährigen Bestehen der Universität Augsburg statt. Angesagt hat sich Wissenschaftsminister Bernd Sibler. Wegen der Pandemie soll es nur eine kleine Veranstaltung geben. Der größte Teil des Jubiläumsprogramms muss aufs kommende Jahr verlegt werden.
Trotz Corona ziehen zwei Vertreterinnen der Augsburger Medizinstudenten unter dem Strich eine positive Bilanz des ersten Studienjahres, sie haben aber auch Wünsche für die Zukunft. Svenja Steinhauser sagt, die vernetzte, fächerübergreifende Lehre im Modellstudiengang sage ihr sehr zu.
„Ich kenne Medizinstudenten aus anderen Städten, die sehr über den trockenen Lehrstoff klagen.“Dass die Gruppe der Medizinstudenten in Augsburg noch sehr klein und famijetzt liär sei, habe den allermeisten im Sommer gut durch das digitale Corona-semester geholfen. Zum Dauerzustand dürfe ein pandemiebedingt geschlossener Campus aber nicht werden.
Auch in der Unimedizin setzt man im kommenden Winter auf ein Hybrid-semester mit einer Mischung aus digitaler Lehre und Präsenzveranstaltungen mit Hygieneregeln. Ein Ziel der Studentenvertreter ist es, Neuankömmlingen eine Woche mit Programm zum Kennenlernen zu bieten, wenn auch mit reduziertem Angebot. Svenja Steinhauser und Nele Utermöhlen wünschen sich für ihre Kommilitonen auch eine größere Auswahl an vegetarischem Essen in der Kantine der Uniklinik. Bis die Medizinstudenten eine eigene Cafeteria bekommen, wird es noch dauern. Voraussichtlich bis 2024. Dann soll es ein attraktives Angebot im neuen Lehrgebäude geben.