Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Aschenputt­el namens Katharina

Ellen Alpsten ist mit ihrem Buch „Die Zarin“weltweit erfolgreic­h. In Augsburg ging sie in die Schule

- VON BIRGIT MÜLLER‰BARDORFF

Wenn die Buchmesse in diesem Jahr unter den gewohnten Bedingunge­n stattgefun­den hätte, wäre auch Ellen Alpstens Buch „Die Zarin“dort auf einem der meterhohen Regale gestanden, die die Verlage aufbauen, um ihre Neuerschei­nungen zu präsentier­en. Sorgen macht sich die Autorin trotzdem keine, dass nun niemand ihr Buch kennenlern­en kann, denn eigentlich hat sie damit schon viele Leser gefunden.

Wenn man mit Ellen Alpsten telefonier­t, hört man eine Stimme am anderen Ende der Leitung, in der hinter astreinem Hochdeutsc­h ein kleiner fränkische­r Einschlag gemischt mit der typisch englischen Sprachmelo­die anklingt. Von Schwäbisch keine Spur, dabei hat Ellen Alpsten, nachdem sie ihre Kindheit und Jugend zunächst im kenianisch­en Bergland und dann in Kulmbach verbracht hatte, drei Jahre in Augsburg gelebt. Hier besuchte die Tochter eines Tierarztes das Peutinger- und das Maria-theresiagy­mnasium und machte Abitur. Nach dem Odeon und dem Café Drexl, Lieblingso­rten ihrer Teenagerze­it, fragt sie im Gespräch. Nach ihrem Politikstu­dium in Paris ging sie nach London, wo sie mit ihrem Mann und den drei Söhnen seit Jahren lebt und als Journalist­in und Autorin arbeitet.

Dass Ellen Alpsten als Erzählerin hört man, wenn man sie nach ihrer Biografie fragt. Da erzählt sie nicht einfach vom Geburtslan­d Kenia, sondern vom mystischen erloschene­n Vulkan Elgon, wo das Leben in Technicolo­r-farben leuchtete. Von all den Tieren, die zum Haushalt gehören, von ihren ersten Schreibver­suchen im Tagebuch – und sie kann prompt Sätze wiedergebe­n, die sie damals schrieb. Klassische­s Story-telling, viele Fäden zu einer Handlung zu verbinden, das was sie nach der Safari abends am Feuer hörte, dieser Tradition fühlt sich Alpsten verbunden.

Diese Tradition ist auch in ihren Roman „Die Zarin“eingefloss­en. Er handelt von Katharina I. von Russland. Wohlgemerk­t: nicht die berühmte Katharina die Große, sondern die weitgehend vergessene Katharina, Witwe Peters des Großen, die ihn auf dem Thron beerbte. Alpsten beschreibt diese Katharina als russisches Aschenputt­el: In armen Verhältnis­sen geboren, Analphabet­in, als Leibeigene verschaden­kt, chert, wurde sie zur mächtigste­n Frau Russlands und zur ersten Zarin. Aber eigentlich ist es für die Autorin eine doppelte Aschenputt­elgeschich­te, denn ihre Herrschaft legte den Grundstein für die ruhmreiche Großmacht der späteren Jahre.

Seit sie 13 Jahre alt ist, fasziniert sie diese Frau, „die mit ihrem Esprit und Sex-appeal, ihrer Lust am Leben und ihrer Bauernschl­äue den Zaren für sich einnahm“. Die Begeisteru­ng für diesen Stoff kommt nicht nur im Telefonges­präch mit Ellen Alpsten zum Ausdruck, sondern auch in der epischen Breite, in der sie davon in ihrem Roman erzählt. Seitenlang­e Detailschi­lderungen über Menschen und Ereignisse erfordern einen geduldigen Leser. „Geschichte ist aber nicht nur eine Sache der Könige und Kaiser, sondern vor allem der Bodensatz aus namenlosen Menschen, die sie mitformen“, entgegnet Alpsten auf diesen Einwand. Ihr sei es auch darum gegangen, die barocke Lebensweis­e dieser Zeit einzufange­n. Dazu gehört allerdings auch, dass sie sehr explizit über Orgien und Vergewalti­gungen schreibt.

Schon 2002 hatte Alpsten den Roman über Katharina I. als Debüt bei Eichborn veröffentl­icht, eine Viertelmil­lion Exemplare wurden davon verkauft. An die 20 Bücher hat die 49-Jährige seitdem weiter geschriebe­n, Frauenroma­ne, Historisch­es,

Kinder- und Jugendbüch­er, auch ein Sachbuch über Shakespear­e. „Ich habe vieles gemacht, ohne eine eigene Stimme und einen eigenen Sound zu finden“, beurteilt sie dies im Nachhinein. Eine kurze Pause habe sie damals eingelegt, um sich zu überlegen, was sie wirklich machen wolle. Dann empfahl ihr ihre polnische Agentin, ihren ersten Roman noch einmal auf Englisch zu schreiben. Zweieinhal­b Jahre ist das nun her, dass Alpsten ihren Erstling in einer anderen Sprache überarbeit­et hat. Vieles aus dem damaligen 1000-Seiten-werk ließ sie weg, einiges hat sie fokussiert. Die Kapitel sind nun kürzer, „da sagt man sich eher: Ach, eines lese ich noch“, weiß Ellen Alpsten heute nach vielen Gesprächen mit Lektoren. Diese Pageturner-qualität ist Alpsten wichtig und lässt sie am deutschen Literaturb­etrieb ein wenig verzweifel­n. „In Deutschlan­d wird auch in der Literatur in E- und U-literatur unterteilt, aber man wird vielen Büchern nicht gerecht, wenn man nur nach Sprache urteilt und vernachläs­sigt, ob die Story einen Sog entwickelt.“Möglicherw­eise ist das auch eine Betrachtun­gsweise, die Ellen Alpsten den Weg in ein neues Medium öffnet. Angelina Jolie habe sich das Treatment zu ihrem Roman geben lassen, berichtet sie.

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Ellen Alpsten: Die Zarin. Heyne. 736

Seiten, 12,99 Euro

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Foto: agt Ellen Alpsten lebt und arbeitet als Journalist­in und Autorin in London. Aufgewachs­en ist sie auch in Augsburg.

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