Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (79)
AIn die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli giösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt. ber er verstand auch seine Frau und empfand Mitleid mit ihr, weil sie Angst um den einzigen Sohn hatte. Alle wussten, was Verbrechensbekämpfung in Italien bedeutet. Die Zahl der ermordeten Richter, Staatsanwälte, Politiker, Journalisten und Polizisten war höher als die Zahl der getöteten Verbrecher.
Sie stritten lange, und als die Mutter ihn hysterisch vor die Wahl stellte: „Entweder ich oder die Polizei“, kam Marco nicht mehr nach Mailand. Es vergingen zwei Jahre, bis der Vater zu Weihnachten eine Versöhnung erreichte. Allmählich erkannte die Mutter, wie gut es ihrem Sohn ging. Und zur Belustigung des Vaters war Marco inzwischen mit der zehn Jahre jüngeren Alessia verheiratet, einer Mathematikerin, die im Gymnasium J. F. Kennedy unterrichtete.
Bald darauf besuchten die Eltern das glückliche Paar in seiner Wohnung in Rom. Marco und Alessia wohnten damals in der via Casini, nicht weit vom Gymnasium Kennedy.
Das einzige Manko in den Augen der Mutter war, dass Alessia eine radikale Vegetarierin war. „Wie kann man nur? Wie kann man nur?“, sagte sie bei jeder Gelegenheit.
Als Marco und Alessia sich nach vier Jahren Ehe trennten und später scheiden ließen, behauptete die Mutter, sie habe schon lange gewusst, dass diese Ehe nichts tauge. Die Trennung hatte aber vor allem damit zu tun, dass Marco mit seinem Beruf verheiratet war und kaum noch nach Hause kam. Und Alessia? Sie war die Geduld in Person, aber sie hatte die Lust verloren, mit einem Polizisten zusammenzuleben, der nur kurz bei ihr auftauchte, um dann wieder für Wochen zu verschwinden.
Sein Vater lächelte nur. Marco war geschickt und erzählte den Eltern von harmlosen Delikten, mit denen er angeblich beschäftigt war, während er seine Einsätze gegen die Mafia im In- und Ausland verschwieg. Die Fälle entnahm er einem Buch mit Gauner- und Mordgeschichten. Die dummen Kommissare darin brauchten hundert Seiten, um den noch dümmeren Verbrechern auf die Schliche zu kommen, während man sie als Leser bereits nach zwanzig Seiten identifiziert hatte.
Inzwischen waren seine Eltern alt und gebrechlich, aber sie lebten immer noch in ihrer Wohnung. Eine fünfzigjährige Witwe aus Paullo war bei ihnen eingezogen und kümmerte sich rund um die Uhr um sie.
Ein vergnügtes Hupen des Busfahrers, mit dem er einen Kollegen begrüßte, rief Mancini in die Gegenwart zurück, und er bemerkte, dass sie kurz vor dem Ziel waren.
Als er aus dem Bus stieg, hörte er den Muezzin zum Mittagsgebet rufen. Ein Bedürfnis zu beten hatte er nicht, wohl aber sehnte er sich nach einem deftigen Sandwich mit Falafel. Und so entschied er sich, erst noch einen Imbiss am Dorfplatz aufzusuchen, bevor er zum Hotel ging.
28. Eine hörbare Stille Barudi fuhr nicht schnell. Immer wieder hielt er auf Autobahnparkplätzen kurz an, um zu überprüfen, ob ihn jemand verfolgte, dann fuhr er weiter Richtung Norden.
Er kannte das Dorf Malula, wie die meisten Damaszener. Zweimal hatte er längere Sommerferien dort verbracht, einmal mit Basma allein, einmal mit ihr und Scharif, den Basma so abgöttisch geliebt hatte. Das Dorf und seine Umgebung waren fast übertrieben schön, als hätte Gott die Gegend als Kulisse für seine Filme auserwählt.
Scharif war meistens den ganzen Tag über verschwunden und spielte mit den Dorfjungen. Abends kam er erschöpft und glücklich zurück, stolz, als Städter all die Mutproben und Herausforderungen der Dorfkinder bestanden zu haben. Basma heuchelte Begeisterung, aber sie hatte große Angst um ihren Jungen, der immer wieder mit Schrammen nach Hause kam.
Eine merkwürdige Erinnerung tauchte in Barudis Gedächtnis auf. Scharif, der sich in Damaskus vor einer Fliege oder Wespe ekelte, der vor dem Essen immer freiwillig seine Hände wusch, aß nun bei den Bauern, die ihm zusammen mit ihren eigenen Kindern großzügig auftischten.
Das geschah so oft, dass Basma sich revanchierte und einmal in der Woche seine Spielkameraden zum Mittagessen einlud, um ihnen Damaszener Leckereien zu servieren. Auch das machte Scharif beliebt bei den Bauernkindern.
Sagenhaft, wie schnell sich Kinder anpassen und zurechtkommen, dachte Barudi, als er die Autobahnausfahrt nach Malula nahm.
Mancini saß bereits im Restaurant des Hotels Malula. Er winkte Barudi lachend zu. „Hast du irgendeinen lästigen Schatten?“, fragte er.
„Nein, Gott sei Dank nicht“, erwiderte Barudi und bestellte etwas zu essen. Auch Mancini griff noch einmal zu.
„Ich habe den Bericht gelesen, aber ich möchte gern hören, was dein Eindruck ist“, lenkte Barudi das Gespräch auf ihre Arbeit.
„Schwer zu sagen. Diese Dumia scheint tatsächlich über heilende Kräfte zu verfügen. Irgendetwas lässt Olivenöl aus ihren Händen fließen. Sogar ihre Ärmel werden nass! Das habe ich fotografiert. Aber sie weiß, dass sie keine Heilige ist. Somit ist sie an einem Betrug beteiligt. Anständig dagegen ist der sehr begabte Pfarrer. Allerdings macht ihn seine Religiosität zu einer leichten Beute des Gaunerpaares. Ungewollt wird er zu ihrem Komplizen. Von zwei Männern, einem Nachbarn und einem Taxifahrer, habe ich am Rande merkwürdige Informationen über den Ehemann bekommen. Ich habe sie im Protokoll markiert. Vielleicht könnten deine Assistenten hier weiter nachforschen. Der Ehemann ist ein Spieler und hat erhebliche Schulden.“
„Und Bischof Tabbich?“
„Er hat das Gespräch wegen eines anderen Termins abgesagt.“
„Ach, wie seltsam. Und waren viele Anhänger der Wunderheilerin da?“
„Nein, nur ein paar armselige Gestalten. Anscheinend ist sie für die große Masse uninteressant geworden. Ich hatte fast den Eindruck, dass man die Leute eigens herbeigerufen hat. Wie ich der Broschüre entnehmen konnte, hat das letzte Gespräch mit der heiligen Maria im Jahr 2003 stattgefunden, und Jesus hat sich seit 1993 nicht mehr bei der Frau gemeldet.“
„Ich dachte, sie würde ihre ganze Sippe herholen“, entgegnete Barudi, „wenn ein bedeutender Journalist aus Italien kommt. Sie hat zwei Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Der eine ist ein stadtbekannter Schläger, mit vierzig hat er bereits über zehnmal im Gefängnis gesessen, und immer wegen Gewalttätigkeit.
Der andere ist ein bekannter Schönheitschirurg. Er hat die Hälfte aller Frauennasen in Damaskus verkleinert. Aber noch einmal kurz zurück zu unserem Thema. Mir kommt dieser Pfarrer Gabriel sehr merkwürdig vor, irgendwie kann ich ihn noch nicht einordnen. Aber wie dem auch sei. Ich möchte dir gratulieren.