Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Sie leiten einen Trachtenverein mitten in Augsburg
Toni Kürzinger und Ulrike Riedl stehen an der Spitze des Lechhauser Volkstrachtenvereins. Seit ihrer Kindheit sind sie dort aktiv. Warum ihnen Corona zu schaffen macht
Mit seiner Trachtenjacke, der Lederhose und den polierten Haferlschuhen macht Toni Kürzinger was her: In Bayern gilt einer wie der 29-Jährige als „fescher Bursch“. Und auch seine Tante Ulrike Riedl, 48, kann sich im Dirndl sehen lassen. Wer die beiden aber auf dem Dorf wähnt, geht fehl. Sie führen seit Kurzem einen Verein, der mitten in der Großstadt ansässig ist: den Oberbayerischen Volkstrachtenverein Augsburg-lechhausen. Oberbayerisch im schwäbischen Augsburg? Was zunächst erstaunt, ist zweifach legitimiert: Denn erstens hat der Verein seine Wurzeln im tiefsten Oberbayern – er wurde 1905 von Zuwanderern aus dem Miesbacher Raum gegründet, die zum Arbeiten bei der MAN in den Raum Augsburg gekommen waren. Und zweitens war Lechhausen damals noch kein Stadtteil, sondern ein selbstständiger Ort, der zu Altbayern zählte.
Ein bisschen wie im altbayerischen Dorf fühlt man sich auch beim Betreten des „Saalbau Krone“, dem Vereinslokal und Sitz der Trachtler. Das Haus sei ein paar Jahrhunderte alt, weiß das Führungsduo. Auch im Inneren erinnern Fotos, Requisiten und die bodenständige Einrichtung von Saal und Wirtsstube an frühere
Zeiten. Toni Kürzinger fühlt sich hier zu Hause. Schon als er noch in den Windeln lag, haben ihn seine Eltern mit zu den Trachtlern genommen. Die Verbundenheit zum Verein werde von einer Generation an die nächste weitergegeben, sagt der junge Mann und rückt seinen Hut zurecht. Ohne dieses Hineinwachsen wäre es für ihn wohl schwierig gewesen, gerade in der Stadt ausgerechnet einem Trachtenverein ein Leben lang die Treue zu halten. Ulrike Riedl ergänzt die Ausführungen ihres Neffen mit einem: „Wir sind hier alle hineingeboren worden und haben nichts anderes gekannt.“
Bei den beiden agiert aber nicht nur Traditionsbewusstsein als Triebfeder für ihr Engagement, sondern auch ein gewisser Familienstolz. Schließlich ist mittlerweile die sechste Generation der Familie im Verein aktiv, und seit 1951 steht immer ein Vertreter der Hinterbrandners an der Spitze. Das ist auch jetzt der Fall, denn Ulrike Riedl ist eine geborene Hinterbrandner und Toni Kürzinger der Sohn ihrer Schwester. Der 29-jährige Bankkaufmann fühlt sich geehrt, dass die Mitglieder ihn zum Vorsitzenden gewählt haben: „Ich war schon vor neun Jahren als Stellvertreter im Gespräch, doch da meinten meine Eltern, ich solle erst mal meine Ausbildung beenden.“Kürzinger will neue Impulse setzen und das Vereinsleben untereinander wieder mehr ausbauen. „Wir werden aber nichts Grundlegendes über den Haufen werfen“, verspricht er. Das sieht auch Riedl so, für die Heimatabende und Veranstaltungen dazugehören wie das Dirndl und die Lederhose. „Ein Trachtenverein bleibt ein Trachtenverein.“
Die Lechhauser Trachtler haben etliche Krisen überlebt – wie etwa die beiden Weltkriege. Aktuell macht ihnen die Corona-pandemie schwer zu schaffen, kam doch im Frühjahr das Vereinsleben bis auf ein paar Einträge auf der Facebookseite und Whatsapp-nachrichten fast völlig zum Erliegen. Zuletzt seien die Aktivitäten wieder ein Stück weit hochgefahren worden, allerdings nur im internen Kreis und nicht für die Öffentlichkeit. Unter anderem fällt auch der herbstliche Heimatabend Corona zum Opfer. Die fehlenden Einnahmen aus Eintrittsgeldern und Bewirtung tun dem Verein laut Kürzinger weh. „Wir müssen unsere Pacht bezahlen.“Seit einigen Jahren nutzen die Lechhauser Trachtler die „Krone“nur für sich, das öffentliche Gasthaus gibt es nicht mehr. Hinzu kommt, dass den rund 100 Mitglieder starken Verein mit eigener Trachtenkapelle Nachwuchssorgen plagen. Einige kinderreiche Familien seien wegen Corona auf Abstand gegangen, bedauern die Vorsitzenden.
Hinzu kommt: Die gelernte Industriekauffrau Ulrike Riedl hat die Konkurrenz in der eigenen Familie. „Ich habe einen Trachtler aus Gersthofen geheiratet. Mein Mann und meine Kinder sind dort aktiv. Aber wenn es bei uns brennt, helfen sie mit.“Toni Kürzinger ist ebenfalls nicht mit einer Frau aus dem eigenen Verein verbandelt, sondern momentan Single. Eine Trachtlerin sei für ihn keine Voraussetzung, stellt er klar. Aber Verständnis für den Verein sollte sie mitbringen.
Die beiden könnten noch lange übers Vereinsleben sinnieren, etwa dass sich die Feste und Feiern am katholischen Kirchenjahr orientieren. Oder dass das fesche Gewand, das sie fürs Foto tragen, nicht die eigentliche Miesbacher Festtracht ist, sondern nur eine Alltagsvariante. „Das Anziehen der Festtracht ist sehr aufwendig. Ich hätte jemanden gebraucht, der mir hilft“, sagt Ulrike Riedl und lacht. Vermutlich wird sie ihr Dirndl, wenn sie wieder zu Hause ist, in den Schrank hängen. „Mich gibt es auch in Jeans und Turnschuhen.“