Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Von der Second Lady zur First Lady
Porträt Als Frau des kommenden Us-präsidenten stellt Jill Biden einen Kontrast zur Trump-ära dar. Die 69-Jährige gilt als einflussreiche politische Beraterin ihres Mannes
Ausgerechnet am „Superdienstag“, dem entscheidenden Tag der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten– Vorwahlen, stahl Jill Biden ihrem Mann die Schau: Während Joe Biden seine Wahlkampfrede hielt, versuchten zwei militante Veganerinnen die Bühne zu stürmen: Die promovierte Lehrerin zeigte ihre jahrzehntelang geübte Autorität und stoppte die jungen Protestlerinnen. Joe Biden scherzte: „Ich bin wahrscheinlich der einzige Präsidentschaftsbewerber, dessen Ehefrau gleichzeitig der Secret Service ist.“
Tatsächlich spielt die 69-Jährige eine extrem wichtige Rolle im Leben des ehemaligen Vizepräsidenten. „Ich bin der Ehemann von Jill Biden“, stellte sich der acht Jahre ältere Demokrat schon als Vizepräsident unzählige Male in Reden dem Publikum vor. Vertraute der Bidens sagen, für Joe sei Jill die letzte Instanz, wenn es um politischen Rat gehe und sie habe dabei mindestens so viel Einfluss wie Ex-präsident Barack Obama. Die New York Times nannte Jill „den größten Champion“ihres Mannes.
Vielleicht geht es heute vielen mit Joe Biden so, wie damals der jungen Studentin im März 1975, als sie ihren späteren Mann das erste Mal sah. Bidens Bruder Frank hatte das „Blind Date“eingefädelt, um den jungen Senator zu verkuppeln, der mit seiner tragischen Lebensgeschichte nach dem Unfalltod seiner Frau und kleinen Tochter damals traurige Berühmtheit in ganz Amerika erlangt hatte. Doch als Jill damals in den wilden
Siebzigern ihre Tür öffnete und Biden vor ihr stand, dachte sie nur: „Gott sei Dank ist es nur ein Date“, wie sie kürzlich erzählte. Damals habe sie sich nur mit coolen Jungs mit Schlaghosen und Clogs verabredet und war geschockt, als sie den Blick auf den perfekten Anzug und die polierten Halbschuhe des verwitweten Senators von Delaware warf.
Ganze fünf Heiratsanträge und zwei Jahre brauchte der junge Politiker, bis sich die angehende Lehrerin entschied, den in der Öffentlichkeit stehenden alleinerziehenden Vater zweier Söhne 1977 das Jawort zu geben. Vier Jahre später kam die gemeinsame Tochter Ashley auf die Welt, die heute als ökosozial aktivistische Mode-designerin arbeitet.
Wenn alles glattgeht, wird die frühere „Second Lady“, wie die Vizepräsidentinnen-frau in den USA tatsächlich genannt wird, „First Lady“. Traditionell wird sie nach 43 Jahren Ehe die Bibel halten, wenn Joe Biden im Januar als 46. Us-präsident vereidigt werden soll. Dabei stellt Jill Biden den Gegenentwurf zu Vorgängerin Melania Trump dar, bei der sich das Medieninteresse nur darauf richtete, ob sie ein Kleid von Gucci oder Ralph Lauren trug. „Dr. Biden“, wie Us-medien Jill zur Unterscheidung von „Mr. Biden“nennen, hat sich dagegen bei den Demokraten einen Namen als scharfzüngige Wahlkämpferin gegen die Lügen und Angriffe Donald Trumps gemacht. „Diese Wahl ist eine Abstimmung über Charakter“, lautete ihr Slogan. Michael Pohl