Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Jogginganzug zieht runter
Karl Lagerfeld ist tot. Sein bemerkenswerter Satz, wer eine Jogginghose trage, habe die Kontrolle über sein Leben verloren, kann von der allseits verstärkt auftretenden Bequemhosen-spezies getrost abgetan werden. Aussterbendes Avantgardistengeschwurbel. Schließlich lebt Mode. Verändert sich ständig. Wer hört da auf einen Toten? Allerdings hat Lagerfeld Nachfolger. Lebende. Jil Sander zum Beispiel. Sie sagte kürzlich: „Sich radikal leger zu kleiden, zieht runter.“
Gut, die Frau ist auch schon älter. Und manch Junger kann jetzt wieder abwinken. Alles altmodisch. Aber mal ehrlich: Zieht uns in diesen Tagen nicht schon genug runter? Sind das wirklich Zeiten für schwarze, schmucklose, schlichte Stoffe? Schreien diese Tage nicht vielmehr geradezu nach Farbe, nach Muster, nach Licht und Glanz?
Klar, die Anlässe fehlen leider aktuell oft, bei denen das fantastische Kleid, der gut sitzende Blazer, der schöne Schal, die tollen Schuhe stolz präsentiert werden können. Doch was spricht dagegen, in der Videokonferenz mit den Kollegen gut gekleidet zu kommunizieren? Was spricht dagegen, beim Einkauf nicht im nachlässigen Schlabberlook oder gar im Pyjama – wie offenbar schon geschehen – aufzukreuzen, sondern bewusst gut angezogen? Was spricht dagegen, zu Hause für sich mal die hübsche Hose anzuziehen? Was spricht dagegen, elegant spazieren zu gehen?
Für viele ist Kleidung mehr als möglichst funktionale Körperbedeckung. Sie sollten sich gerade jetzt die Freude an kreativen Looks nicht nehmen lassen. Kleidung wirkt. Auch auf die Seele. Lagerfeld mag die Sache überspitzt haben. Designerin Sander trifft es besser. Optimismus ist gefragt. Zuversicht. Mut. Warum nicht mit etwas ganz Äußerlichem beginnen? Mit der Kleidung.