Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Dr. Jill und Mister Doug
Jill Biden und Douglas Emhoff sind seit der Us-wahl fast so berühmt wie ihre Ehepartner, Joe Biden und Kamala Harris. Beide sind erfolgreich, beide verteidigen ihre Partner notfalls mit allen Mitteln – und beide könnten für die Politik eine wichtige Rolle spielen
Des Moines Draußen liegt knöchelhoher Schnee, drinnen sitzen gerade einmal sechs Frauen und zwei Männer um den Wohnzimmertisch irgendwo in einem Vorort von Des Moines im gottverlassenen Agrarstaat Iowa. Es gibt Kaffee, Tee und bunte Mini-cupcakes. Eigentlich muss Jill Biden längst weiter, doch sie nimmt sich Zeit für die kleine Runde. Sie spricht über bessere Bildungschancen für alle, den Kampf gegen Krebs und über ihren Mann. „Joe ist der beste Kandidat, weil er mit Menschen umgehen kann“, sagt sie lächelnd, bevor sie sich einzeln von den Gästen und drei Journalisten verabschiedet.
Es ist Februar, der offizielle Auftakt des Vorwahlkampfs der Usdemokraten. Mehr als 20 Frauen und Männer bewerben sich um die Präsidentschaftskandidatur, und für Joe Biden, den erfahrenen Ex-senator und früheren Obama-vize, sieht es gar nicht gut aus. Die Auftritte des 77-Jährigen wirken kraftlos und hölzern. Es scheint, als habe der allgemeine Favorit die Strapazen des Rennens unterschätzt. Zwei Tage später wird er in Iowa bei der ersten parteiinternen Abstimmung – dem sogenannten Caucus – auf dem demütigenden vierten Platz landen. Als er sich um kurz nach zehn Uhr abends zeigen muss, geht seine Frau voran. Sie reicht ihm die Hand an der Treppe zur Bühne, winkt in die Kameras und stellt sich zunächst vor ihm ans Rednerpult.
Eigentlich hat Jill Biden, die Tochter eines Bankangestellten, ein ambivalentes Verhältnis zur Politik. Sie mag weder Machtspiele noch Scheinwerferlicht und möchte ihr eigenes berufliches Leben behalten. Als Joe Biden Vizepräsident von Barack Obama war, hat die Lehrerin auf neugierige Fragen ihrer Schüler geantwortet, sie sei nur „eine seiner Verwandten“. Doch die Kandidatur ihres Mannes gegen Donald Trump hat sie von Anfang an mit voller Kraft unterstützt. Vor allem in ihrer Heimat, dem entscheidenden Swing State Pennsylvania, hat die 69-Jährige gefühlt mehr Wahlkampfauftritte absolviert als er. Unter skeptischen Parteifreunden warb sie persönlich für ihren Mann, dem sie am ehesten zutraute, den Spalter im Weißen Haus zu bezwingen. „Ich bin der Mann von Jill“, hat sich Joe Biden öfter vorgestellt. Es war nur ein halber Scherz.
Wenn Joe Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris am 20. Januar endlich in Washington das Ruder übernehmen, wird das nach den vier düsteren Trump-jahren eine Zäsur sein. Doch die ganze Dimension
des Umbruchs wird erst deutlich, wenn man auch die Ehepartner einbezieht. Die promovierte Pädagogin Jill Biden bringt ein ganz anderes Gewicht in den East Wing der Regierungszentrale als das Exmodel Melania Trump. Als erste First Lady will die Englischlehrerin weiter in ihrem Beruf arbeiten. Und auch Doug Emhoff, Kamala Harris’ Ehemann, bietet als selbstbewusster und erfolgreicher Anwalt einen gewaltigen Kontrast zu Karen Pence, die sich von ihrem Mann Mike „Mutter“nennen lässt. Emhoff, 56, wird der erste Mann in der Us-geschichte sein, der als Lebenspartner der Vizepräsidentin den Titel des „Second Gentleman“tragen wird.
Das neue Spitzen-quartett spiegelt auch die Diversität des Landes: Harris hat einen jamaikanischen Vater und eine indische Mutter. Emhoff stammt aus einer jüdischen Familie in Brooklyn. Joe Bidens Vorfahren wanderten aus Irland ein. Der Großvater seiner Frau kam aus Sizilien. Beide Ehepaare sind Patchwork-familien mit Kindern anderer Partner. Auf den ersten Blick scheinen die natürlich-herzliche Jill Biden und der coole Westküsten-anEmhoff wenig gemein zu haben. Doch beide brechen die klassischen Rollenmuster auf. Und beide haben sich im Wahlkampf für ihre Partner geprügelt. Doch davon später mehr.
Als Jill Biden 1975 bei einem Blind Date ihren künftigen Mann kennenlernte, war Joe Biden schon ein politischer Star. Persönlich aber hatte das Schicksal den jüngsten Senator aller Zeiten mit dem Unfalltod seiner ersten Frau Neilia und der wenige Monate alten Tochter Naomi schwer getroffen. Fünf Mal musste er um die Hand seiner neuen Liebe anhalten. Jill Biden zögerte. Sie scheute das Washingtoner Parkett, fürchtete um ihre berufliche Eigenständigkeit und hatte Angst, der Rolle als Stiefmutter der beiden Söhne Beau und Hunter nicht gewachsen zu sein. An ihren Gefühlen aber zweifelte sie nicht.
Nach der Hochzeit und der Geburt der gemeinsamen Tochter Ashley arbeitete Jill Biden weiter als Englischlehrerin. Nebenbei promovierte sie und erwarb mit 55 Jahren den Doktortitel. Angeblich hatte sie es satt, auf gemeinsamen Einladungen immer nur als „Mrs.“(Frau) an zweiter Stelle hinter dem Senator genannt zu werden. So jedenfalls hat es ihr Mann berichtet. Jetzt steht dort oft: „Dr. Jill Biden“. Während ihrer Zeit als Second Lady bat sie die ihr zugeteilten Personenschützer, sich so unauffällig wie möglich zu kleiden. Die Frau mit dem gewinnenden Lächeln wollte weiter ihr normales Leben leben. Doch der Krebstod des Stiefsohns Beau 2015 warf sie fast aus der Bahn. „Wir haben die schlimmste Erfahrung gemacht, die es im Leben gibt“, sagt sie heute: „Zusammen können wir mit allem fertig werden.“
Im Weißen Haus will sie sich vor allem um bessere Bildungschancen und die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen kümmern. Im März aber verhinderte sie den Angriff auf einen Mann – ihren Mann. Der stand an einem Rednerpult in Los Angeles, als eine militante Tierschützerin auf den Kandidaten zustürmte. Jill Biden packte die Frau fest am Arm und drängte sie ab. Woher diese mutige Entschlossenheit komme, wollte nachher ein Reporter wissen. „I’m a good Philly girl“– auf deutsch: „Ich bin ein gutes Mädchen aus Philadelphia“–, antwortete die Langstreckenläuferin trocken mit Bezug auf ihre Heimatstadt, auf deren Straßen es bisweilen etwas rauer zugeht.
Auch Doug Emhoff hat sich für seine Frau im Vorwahlkampf mächwalt tig in die Bresche geworfen – und das durchaus im Wortsinn. In einem Podiumsgespräch in San Francisco im vergangenen Jahr war ein Demonstrant im schwarzen Kapuzenshirt auf das Podest geklettert und hatte Kamala Harris das Mikrofon entrissen, um seine Parolen loszuwerden. Sicherheitskräfte hatten den Mann schon abgedrängt, als sich ein Zuschauer aus der ersten Reihe auf die Bühne schwang und dem Protestler wütend das Mikro entwand. Das war Emhoff.
Im normalen Leben kämpft der 56-Jährige mit feineren Bandagen.
Seit Jahrzehnten vertritt er als Anwalt in Kalifornien Unternehmen der Unterhaltungsbranche. Zuletzt stieg er 2017 als Partner bei DLA Piper ein, einer der größten Anwaltsfirmen der Welt. Der Löwenanteil des auf sechs Millionen Dollar geschätzten Vermögens des Ehepaars Harris/emhoff dürfte von ihm stammen. Doch sein soziales Gewissen hat er offenbar nicht verloren. „30 Jahre hat mich umgetrieben, dass sich die einen einen tollen Anwalt leisten können und die anderen nicht“, erklärte er kürzlich.
Wer Emhoff begegnet, wähnt sich zunächst einem leicht überdrehten, betont lockeren Start-upunternehmer gegenüber. Mit blauem Sakko, T-shirt, Jeans und weißen Sneakern steigt er an einem sonnigen Oktobernachmittag in Fairfax County vor den Toren Washingtons aus der Limousine. Es ist sein 56. Geburtstag und man ahnt, dass Emhoff den Tag unter anderen Umständen mit Kamala in einem schicken Restaurant in Santa Barbara verbringen würde, wo das Paar vor sechs Jahren geheiratet hat. Doch nun freut er sich demonstrativ, auf einem schmucklosen Parkplatz vor 200 Zuhörern für seine Frau werben zu können. Engagiert spricht er über Obamacare, die wegweisende Gesundheitsreform Barack Obamas in dessen Zeit im Weißen Haus, über die Klimakrise und die Bedeutung der bevorstehenden Wahl. Die Menge weiß von seinem Geburtstag – und 200 Menschen stimmen für ihn „Happy Birthday“an.
Der Vater zweier erwachsener Kinder aus erster Ehe hat die politischen Ambitionen seiner Frau von Anfang an unterstützt. Eigentlich wollte Harris selbst als Präsidentschaftsbewerberin antreten, musste jedoch im vorigen Dezember nach einer vermurksten Kampagne aus dem Rennen aussteigen. Emhoff postete bei Twitter ein Foto von der Politikerin auf seinem Schoß. „Ich halte Dich. Wie immer“, schrieb er mit einem Herzchen dazu. Als Biden im Sommer Harris als seine Vizepräsidentin im Fall eines Sieges auswählte, nahm sich ihr Mann Urlaub und stieg voll als Wahlhelfer ein. „Ich bin so stolz auf dich“, schrieb er nach der gewonnenen Wahl im Internet. Auf dem Foto dazu umarmt er wieder seine Frau. Doch dieses Mal stehen beide auf einer Wiese, und Emhoff setzt zwei Herzchen dazu.
Ein erfolgreicher Anwalt, der seine Frau auf solche Weise unterstützt, tradierte Stereotype aufbricht und nun ganz aus der Kanzlei aussteigt, weil sein Job mit der Aufgabe des Second Gentleman kollidieren könnte – das ist der Stoff, aus dem Idole gemacht werden. In den Online-netzwerken hat Emhoff einen regelrechten Fanklub, und die Washington-post-journalistin Lisa Bonos widmete ihm eine bewundernde Kolumne. Die Ehe von Harris und Emhoff, schrieb sie, inspiriere ganz viele Frauen, „die noch nach ihrem Doug suchen“.
Der künftige Second Gentleman nimmt den Kult derweil gelassen. Ob er künftig als Berater der Vizepräsidentin wirken wolle, wurde er kürzlich gefragt. Er schüttelte den Kopf: „Ich bin ihr Partner, ihr Freund und ihr Ehemann. Dafür bin ich da.“
„Wir haben die schlimmste Erfahrung gemacht, die es im Leben gibt.“
Jill Biden über den Tod ihres Stiefsohns
„Ich bin ihr Partner, ihr Freund und ihr Ehemann. Dafür bin ich da.“
Doug Emhoff über seine Rolle