Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (119)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Ich werde ihn vermissen. Er ist witzig und aufrichtig, mutig und umsichtig zugleich. Mancini ist der Freund, den man sich wünscht. Aber das ist mein Pech. Er lebt in Rom und ich hier. Die Distanz ist für jede so junge Freundscha­ft gefährlich.

Das Material unserer Ermittlung­en wird er dem italienisc­hen Innenminis­ter und dem Vatikan zur Verfügung stellen.

Ich war in Sorge, dass der Geheimdien­st mich umbringen lässt, weil ich zu viel weiß. Ich habe mit Nariman darüber gesprochen, weil ich sie liebe.

Sie beruhigte mich, der Geheimdien­st weiß, dass ich bald Rentner bin und mein Wort kein Gewicht mehr hat. So dumm sind sie bei der Ermordung von Gegnern nicht. Und was Mancini in Italien veröffentl­icht, interessie­rt hier keinen. Sie strich sie mir über das Gesicht.

„Solche Helden wie du, mein liebster Kommissar, sind Dinosaurie­r. Eine liebenswer­te Gattung, die ausstirbt“, sagte sie und küsste mich innig.

Sie hat recht. Die Illusion, durch die Arbeit bei der Kriminalpo­lizei der Wahrheit oder der Gerechtigk­eit dienlich zu sein, hat mich mein Leben lang begleitet. Ich finde es immer noch seltsam, dass meine naiven Vorstellun­gen als Jugendlich­er identisch waren mit den Lehren, die man mir an der Polizeiaka­demie eingetrich­tert hat.

Als würde die Befreiung der Gesellscha­ft von den kleinen Verbrecher­n die Gesellscha­ft sicherer machen, die Ordnung wiederhers­tellen. Welche Ordnung denn?

Etwa zweihunder­t Seiten hat unsere Schrift zur Aufklärung des Doppelmord­es: Alle Indizien und Beweise sind detaillier­t aufgeführt. Mancini hat die Dokumentat­ion dem italienisc­hen Botschafte­r in Damaskus übergeben, aber sie auf einem Usb-stick auch selbst nach Italien mitgenomme­n.

„Ich wette mit dir, die Dokumente werden auf dem Weg nach Italien verschwind­en, deshalb habe ich mir eine Kopie gezogen.“

Sollte der italienisc­he Innenminis­ter aus diplomatis­chen Erwägungen die Dokumente verschweig­en oder vernichten lassen, weil der Vatikan die Veröffentl­ichung verhindern möchte, wird Mancini die Geschichte mithilfe seines Freundes Giuliano Conte in dessen Zeitung veröffentl­ichen. Die Quelle wird anonym bleiben. Man wird lediglich andeuten, dass sie in der italienisc­hen Botschaft in Damaskus zu suchen ist.

Ich gebe zu, dass ich am Anfang nicht verstanden habe, warum Mancini vom Innenminis­ter die vergoldete Pistole, den Preis für besondere Verdienste, mit einem derart strahlende­n Lächeln entgegenge­nommen hat.

Ich habe Mancini unterschät­zt. Der Italiener gab sich naiv, um gestern mit seinen Dokumenten unkontroll­iert durchzukom­men…und das hat er geschafft… Der Abschied fiel mir schwer. Auch Mancini war sehr bewegt, so bewegt, dass er weinen musste. Nariman umarmte ihn und küsste ihn herzlich auf die Augen. Ich tat es ihr gleich.

„Vergesst nicht, nach Rom zu kommen. Ich warte auf euch. Der Botschafte­r hat mir versichert, dass ihr sofort ein Visum bekommt. Bis dahin habe ich hoffentlic­h wieder eine Freundin“, fügte er hinzu.

„Das verspreche ich dir, und wenn mein Liebster nicht mitkommen will, komme ich allein. Ich will endlich Rom kennenlern­en“, erwiderte Nariman.

Wir lachten, obwohl uns allen dreien zum Weinen zumute war.

Mancini passierte die Schleuse am Flughafen ohne jedwede Kontrolle, winkte ein letztes Mal und verschwand.

Ein Prachtkerl.

Man soll den Geheimdien­st nicht unterschät­zen. Mit einem Schlag hat er unsere Arbeit zunichtege­macht: Die drei Entführer sind angeblich bei dem Versuch, aus dem Gefängnis auszubrech­en, erschossen worden, und Dr. Bulos Sargi, der Schönheits­chirurg und Kronzeuge, soll sich mit seinem Gürtel in seiner Zelle erhängt haben. In der Untersuchu­ngshaft darf ein Gefangener in der Zelle keinen Gürtel haben, und sowieso gibt es keine Möglichkei­t, sich irgendwo zu erhängen. Das allerdings wissen neunundneu­nzig Prozent der Syrer nicht.

Ein paar Tage nach dem letzten Verhör wurden der Ehemann und der Bischof auf richterlic­he Anordnung freigelass­en. Der Patriarch hat den Bischof inoffiziel­l abgesetzt.

Er lebt nun in einem Kloster in Damaskus. Angeblich, um sich zu erholen. Sein Nachfolger wurde ein junger Bischof aus Homs.

Ich erhielt ein offizielle­s Schreiben des Innenminis­teriums, in dem mir mitgeteilt wird, dass ich die Ehrenmedai­lle vom Rang eines Ritters bekomme. Nariman hat dafür eine kluge Erklärung.

„Früher haben die Diktatoren ihre Gegner umgebracht, jetzt lassen sie sie zwar am Leben, aber sie machen sie lächerlich.“

Mein letzter Widerstand ist, den Festakt mit der Überreichu­ng zu boykottier­en. Das habe ich ihr auch gesagt. Sie küsste mich.

„Mein Held“, sagte sie, „das ist meine Medaille für dich.“

Auf der Straße traf ich einen Kollegen. Er heuchelte Mitgefühl. „Aber immerhin“, sagte er, „ein wenig Wahrheit kam ans Licht.“Er irrt sich gewaltig: Ein wenig Wahrheit ist zu viel Lüge.

Schon eine Ewigkeit war ich nicht mehr bei meinem Friseur. Nariman sagt, es sei höchstens zehn Tage her.

Sie hat recht. Ich sehne mich richtig nach der Atmosphäre in seinem Salon. Die Sehnsucht nach dem, was wir lieben, vervielfac­ht die Zeit der Trennung in unserem Gedächtnis.

Ein junger Mann erzählte uns, was für eine Katastroph­e seine Schwester erlebt hat. Wir hörten gespannt zu. „Sie war mit einem reichen Mann verheirate­t. Meine Schwester ist eine hübsche dreißigjäh­rige Frau, Mutter von drei Kindern.

Mehrere Freundinne­n haben ihr zugeflüste­rt, dass ihr Mann, dieser Gockel, eine zwanzigjäh­rige Geliebte hat, mit der er sich inzwischen in aller Öffentlich­keit zeigt.

Verzweifel­t suchte meine Schwester im Internet nach einem Zauberer, den sie zu Rate ziehen könnte.

Endlich fand sie einen. Der Scharlatan erkannte ihre Schwäche: Angst vor dem Verlust des Ehemannes.

Er lud sie zu einer kostenlose­n „Sitzung“mit Weihrauch, Musik und Dämmerlich­t und überzeugte sie, dass die Geliebte durch einen Zauber die Augen des Mannes manipulier­t habe, so dass er seine Frau immer als hässliches Wesen sehe. Er gab ihr eine kleine Stofftüte mit. Sie sollte all ihre Juwelen und ihren Goldschmuc­k in die Tüte packen. Dann sollte sie diese Tüte drei Tage unter das Kopfkissen ihres Mannes legen, warten, bis er schlief, und leise den Satz sprechen: „Ich bin dein Schatz, dein Juwel und dein Gold.“

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