Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Sie retteten eine Frau aus einem brennenden Auto
Die 30-Jährige verunglückt bei Jettingen-scheppach. Ihr Auto fängt Feuer, sie kann sich nicht selbst aus dem Wrack befreien. Da kommen Siegfried Müller und Heinrich Helwer des Wegs
Zwei Männer sind zu Helden geworden. Zu Lebensrettern, weil sie eine Frau aus ihrem brennenden Auto befreit haben. Der Wintereinbruch am Dienstagmorgen hatte auch die Umgehungsstraße bei Jettingen-scheppach im Kreis Günzburg verschneit, wo die 30-Jährige gegen 5 Uhr in Höhe des Torflehrpfads unterwegs war, als sie die Kontrolle verlor, gegen einen Baum prallte und sich mit dem Wagen überschlug. In Sträuchern zum Liegen gekommen, geriet das Auto sofort in Brand. Selbst befreien konnte sich die Frau nicht. Doch Siegfried Müller und Heinrich Helwer kamen zum Glück gerade des Weges.
Letzterer hatte Müller und weitere Leiharbeiter der Thannhauser Fleischwerke Zimmermann bei Augsburg aufgegabelt, um sie im Auftrag seines Arbeitgebers, der Verkehrsbetriebe Menken aus Gersthofen, zur Schicht zu bringen. Es sei erst seine zweite Tour mit den Männern gewesen, erzählt Helwer, er habe sie nicht näher gekannt. Weil es unterwegs geschneit habe, entschloss er sich, möglichst weit auf der Autobahn zu fahren, ab Zusmarshausen sei das Schneetreiben immer stärker geworden. Nach dem Verlassen der A 8 bei Burgau ging es über Land weiter Richtung Thannhausen. Auf einmal habe er bei Jettingen-scheppach am Straßenrand die Böschung gesehen, wo es brannte. Erst als er ganz nah war, habe er das Auto bemerkt, das noch auf dem Dach lag. Und da seien er und Müller hingelaufen, um zu schauen, ob noch jemand im Wrack ist – tatsächlich. Die anderen seien derweil im Fahrzeug geblieben. „Wir haben versucht, die Frau rauszuholen.“
Während Helwer sich mühte, eine der Türen zu öffnen, zertrümmerte Müller die bereits geborstene Heckscheibe, kroch in das Auto, entfernte eine Nackenstütze und zog die Frau nach draußen – während der Motorraum weiter brannte. „Wir haben nicht groß darüber nachgedacht“, sagt Helwer, „wir haben intuitiv gehandelt und nicht abgesprochen, wer was macht.“Er habe zwar im Fernsehen mal eine Sendung mit Tipps der Feuerwehr gesehen, wie man sich in solchen Situationen verhalten soll, aber er sei zum ersten Mal in einer derartigen Lage gewesen. Und da sei doch alles anders. „Respekt und Dank an Herrn Müller, dass er da rein ist.“
Für ihn, sagt der 63-Jährige aus Gersthofen, sei es ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, dass die Frau bis auf Schmerzen durch den Airbag-aufprall unverletzt aus dem Auto gekommen sei und selbst Weihnachten feiern kann. „Ich habe zu Hause erst mal eine Kerze angezündet, das muss man erst alles verarbeiten.“Hätten sie Hilfe gehabt, hätten sie den Wagen vielleicht drehen können, sagt Helwer, um besser an die Frau heranzukommen. Aber zu zweit sei das schlicht nicht möglich gewesen.
Siegfried Müller, der seit Kurzem über die Firma Gottwald an die Fleischwerke ausgeliehen wird, sagt, er habe zuerst an ein Lagerfeuer gedacht, als er die Flammen sah. Erst beim Näherkommen habe er realisiert, was passiert war. Als sie bei der Frau waren, habe sie um Hilfe geschrien. Der Türrahmen des Autos sei so verzogen gewesen, dass es nicht geklappt habe, anders als über den Kofferraum an sie heranzukommen. Auch er sei zum ersten Mal in solch eine Situation geraten, und ja, er habe sich in Gefahr gebracht. „Aber ich hätte mir immer Vorwürfe gemacht, wenn der Frau etwas passiert wäre. Meine innere Stimme, mein Instinkt hat mir einfach gesagt, dass ich da rein muss.“
Er mag sich gar nicht vorstellen, was gewesen wäre, hätten mehr Leute in dem Auto gesessen. Die habe schließlich gedrängt, da es brannte. „Und wäre die Frau korpulent gewesen, hätte ich sie nicht rausziehen können.“Ihr Lebensgefährte arbeite auch bei den Fleischwerken, wo Müller im Versand tätig sei. Das habe er aber erst erfahren, als der Mann zu ihm gekommen sei, um sich zu bedanken. Das wolle seine Partnerin auch noch tun. Die Straßenverhältnisse seien jedenfalls „kriminell“, die Strecke sei nicht geräumt gewesen, sagt Müller. Schneller als 30 oder 40 Stundenkilometer habe man nicht fahren können. Nach Angaben der Polizei soll die Frau ihre Fahrweise den Wetterverhältnissen nicht angepasst haben und zu schnell gewesen sein.
Erst als sie befreit war und sie zusammen auf die Einsatzkräfte warteten, hätten Autos angehalten, aber die Situation sei vorher kaum zu überblicken gewesen. Müller will daher keinem Vorwürfe machen, wie der 56-jährige Augsburger sagt.
Der Chef der Burgauer Polizei, Stefan Eska, sagt, er werde prüfen, ob die beiden Männer eine Auszeichnung erhalten können. „Denn hätten sie nicht so gehandelt, wäre die Frau verbrannt.“Und sie hätten sich selbst einem gewissen Risiko ausgesetzt. Nur Minuten später stand der Wagen schließlich komplett in Flammen. Auch die Arbeitgeber der beiden wollen schauen, ob und wie sie die Tat würdigen können, ebenso die Fleischwerke prüfen das. Michael Menken, Geschäftsführer der Verkehrsbetriebe Menken, sagt sogar, dass nicht nur Heinrich Helwer, sondern auch Siegfried Müller eine Anerkennung bekomme. Und auch Günzburgs Kreisbrandrat Stefan Müller will sehen, für welche Ehrung die Retter vorgeschlagen werden, ob vielleicht sogar die Lebensrettungsmedaille des Innenministeriums infrage kommt. „Das war Zivilcourage vom Feinsten, Hut ab.“In letzter Minute sei die 30-Jährige gerettet worden. Wegen der Straßenverhältnisse hätten die Rettungskräfte etwas länger gebraucht. Und als sie eintrafen, wäre es vielleicht zu spät gewesen. Mindestens hätte die Frau schwerste Brandverletzungen erlitten.
Grundsätzlich hätte der Wagen explodieren können, auch wenn Motorraum und Tank auf zwei entgegengesetzten Seiten liegen. Ein Vollbrand berge immer die Gefahr einer Explosion. Glück im Unglück, wenn man so will: Hätte es nicht gezeit brannt, hätte man die Frau in ihrem Auto womöglich lange nicht gefunden, sagt Müller. Man könne von keinem Bürger verlangen, sich selbst in Gefahr zu bringen – aber zumindest, dass der Notruf gewählt werde. Auch wenn es in einer solchen Situation schwierig ist: „Man muss cool bleiben, überlegen und mit dem gesunden Menschenverstand abwägen, was man tut.“Ein Feuerlöscher könne bei einem Fahrzeugbrand nur wenig ausrichten, höchstens beim Reifen oder wenn der Motorraum gerade erst angefangen hat zu brennen. Schaumlöscher frören im Winter ein, da bleibe nur ein Pulverlöscher. So oder so habe das Retten von Menschen Vorrang.
Gut sei, dass viele neuere Autos inzwischen einen Notrufassistenten hätten. Wenn man den Knopf drücke, werde eine Verbindung zur Rettungsleitstelle aufgebaut – die dann auch über das verbundene Handy übermittelt bekommt, wo der Wagen ist, wie viele Gurte angelegt sind und somit weiß, wie viele Leute im Auto sitzen.
Was die 30-Jährige angeht, sagt der Günzburger Kreisbrandrat: „Das Mädle kann noch mal Geburtstag feiern.“