Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kampf gegen Mietensteigerung verloren
Immobilien Am Dienstag will die Bundesregierung zu ihrer Wohnraumoffensive Bilanz ziehen. Doch ihre Ziele hat sie verfehlt. Preise und Mieten klettern weiter
Berlin Wer in München, Berlin, Frankfurt am Main oder Köln eine Wohnung sucht, muss sich auf Frust und reihenweise Absagen einstellen. Das Ausweichen in das Umland macht die Sache nicht viel einfacher, weil auch die Speckgürtel begehrt sind. Leute mit durchschnittlichem Einkommen oder weniger brauchen viel Glück, einen Vermieter mit Herz oder gehen leer aus.
Eigentlich ist die Große Koalition mit ihrem Bauminister Horst Seehofer (CSU) angetreten, den Markt abzukühlen und mehr Wohnungen zu vertretbaren Mieten zu schaffen. Im September 2018 rief sie einen Wohngipfel zusammen, um den Irrsinn zu stoppen. Doch erreicht hat sie nicht viel. Die Zahlen sprechen Bände.
Trotz einer tiefen Wirtschaftskrise gehen die Preise für Häuser und Wohnungen weiter nach oben und in der Folge darauf auch die Mieten. Die Marktkenner des Internetportals Immowelt rechnen damit, dass sie im laufenden Jahr in den meisten deutschen Städten steigen. Die Ausnahme davon ist Berlin, weil in der Hauptstadt der Mietendeckel greift. Allerdings ist durch den radikalen Eingriff das Angebot an verfügbaren Mietwohnungen um ein Viertel gesunken. Dass der Handlungsbedarf groß ist, bestreitet niemand in der Koalition. Zwischen 2009 und 2019 sind die Mieten in den großen Städten sprunghaft nach oben geschossen. In Berlin haben sie sich verdoppelt, in München um 60 Prozent gestiegen und in Nürnberg und Stuttgart um die Hälfte geklettert.
Die Bemühungen der Bundesregierung, aber auch der Länder, haben dennoch keine Trendwende eingeleitet. Der Wohnungsneubau bleibt hinter dem selbst gesteckten Ziel von 1,5 Millionen Einheiten in der zu Ende gehenden Legislaturperiode zurück. Im Schnitt hätten dafür jedes Jahr 375000 Wohnungen hinzukommen müssen. In den Jahren 2018 und 2019 wurden aber jeweils nicht einmal 300 000 geschafft. Bauland in den Ballungszentren wird jedes Jahr teurer, während der Bestand an Sozialwohnungen drastisch sinkt.
Nach den Zahlen des Mieterbundes gab es 2006 hierzulande noch zwei Millionen Sozialwohnungen, während es derzeit nur noch 1,14 Millionen sind. Die Koalition wollte den Verlust stoppen und stellte den Ländern Milliarden dafür zur Verfügung. Doch Deutschland verliert weiter Sozialwohnungen, weil sie üblicherweise nach 15 bis 25 Jahren aus der Preisbindung fallen. Dann können sie die Eigentümer in den meisten Fällen wieder frei am Markt vermieten. Die Halbierung des Bestands zeigt, dass in den vergangenen 15 Jahren viel zu wenig neue Sozialwohnungen errichtet wurden.
„Die Bilanz der Wohnraumoffensive macht deutlich, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer als Bauminister in den wichtigsten Fragen keine Erfolge erzielt hat“, sagte Mieterbund-präsident Lukas Siebenkotten unserer Redaktion. Aus seiner Sicht braucht es ein effektives Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen, ein soziales
Bodenrecht und deutlich mehr bezahlbaren Wohnraum. Weil der Mieterbund-chef nicht davon ausgeht, dass die Bundesregierung die Forderungen schnell umsetzt, fordert er einen sofortigen bundesweiten Mietenstopp für die kommenden sechs Jahre. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Paritätische Wohlfahrtsverband unterstützen den Vorschlag.
Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, hält ihn in den Großstädten ebenfalls für dringend angebracht. „Wenn Menschen mit kleinen Einkommen mehr als ein Drittel des Familieneinkommens für Miete ausgeben müssen und dafür vielleicht noch nicht mal was Vernünftiges bekommen, haben wir ein Problem“, sagte er unserer Redaktion.
Er verlangte, dass die großen Immobilienkonzerne in öffentliches Eigentum überführt, also verstaatlicht werden. Die Städte und Genossenschaften sollen außerdem den Neubau energisch in die Hand nehmen. „Wo man die Wohnungen dem Markt überlässt, explodieren die Mieten“, sagte Riexinger.
Deutschland verliert weiter Sozialwohnungen