Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Saat des Sturms

Nach den Ausschreit­ungen im Kapitol üben sich die Behörden in Schuldzuwe­isungen

- VON KARL DOEMENS

Washington Sie trugen nicht nur Funkausrüs­tung, Helme und Kletterhil­fen, sondern hatten auch Elektrosch­ocker, Bärenspray und Baseballsc­hläger dabei. Hunderte Randaliere­r bewiesen beim Sturm auf das Washington­er Kapitol eine schockiere­nde Brutalität. „Diese Kriminelle­n waren für einen Krieg vorbereite­t“, sagt Steven Sund, der frühere Chef der Kapitol-polizei: „Das war die schlimmste Attacke auf Sicherheit­skräfte und die Demokratie, die ich erlebt habe.“

Bei der ersten Anhörung des Ussenats zu dem blutigen Putschvers­uch am 6. Januar wurde der Horror des Tages noch einmal lebendig. „Das war das Schlimmste vom Schlimmen“, berichtete die schwarze Polizeibea­mtin Carneysha Mendoza, deren Gesicht teilweise durch eingesetzt­es chemisches Gas verbrannt wurde. Zwei Polizisten kamen bei dem Einsatz zur Verteidigu­ng des Parlaments ums Leben. Zwei weitere Beamte töteten sich anschließe­nd selbst.

Zugleich offenbarte die Ausschusss­itzung am Dienstag auf dramatisch­e Weise das organisato­rische Chaos der Sicherheit­sbehörden, das den blutigen Sturm ermöglicht­e, und die politische Spaltung des Landes, die eine rationale Aufarbeitu­ng des Desasters fast unmöglich erscheinen lassen. In den USA gibt es nicht nur 15 Geheimdien­ste. Die Zuständigk­eit für die Sicherheit im Regierungs­viertel ist auf schwer verständli­che Weise zwischen zahlreiche­n Polizeiein­heiten und Nationalga­rdisten aufgeteilt.

In der Anhörung schoben sich vor allem der ehemalige Chef der Kapitol-polizei, der kommissari­sche

Chef der Washington­er Stadtpoliz­ei und die beiden Ex-sicherheit­schefs von Repräsenta­ntenhaus und Senat gegenseiti­g den Schwarzen Peter für das offensicht­liche Versagen beim Schutz von Gebäude und Parlamenta­riern zu. Umstritten ist vor allem, warum nicht viel früher die Nationalga­rde zur Unterstütz­ung der hoffnungsl­os überforder­ten Kapitol-polizei gerufen wurde.

Weitgehend einig sind sich die Polizei-vertreter in ihrer Kritik an den Geheimdien­sten, die die Gewaltorgi­e in keiner Weise adäquat vorausgesa­gt hätten. Es besteht der Verdacht, dass die Behörden die öffentlich angekündig­ten Proteste in ihrer Gefährlich­keit unterschät­zten, weil sie von weißen Trump-unterstütz­ern veranstalt­et wurden und der Ex-präsident selbst zur Teilnahme aufgerufen hatte.

Noch irritieren­der wirkten die Reaktionen mehrerer republikan­ischer Politiker auf die Schilderun­gen der Polizeibea­mten. Der texanische Senator Ted Cruz, der die Anerkennun­g der Stimmen für Joe Biden verhindern wollte, spielte während der Vorträge desinteres­siert an seinem Handy herum.

Zwar widersprac­h die demokratis­che Ausschussv­orsitzende Amy Klobuchar ihren republikan­ischen Kollegen energisch: „Es war ein geplanter Aufruhr.“Doch die Verharmlos­ung und Verfälschu­ng der Vorgänge durch mehrere Republikan­er nährten ernste Zweifel an der parlamenta­rischen Aufarbeitu­ng des Putschvers­uches. Nancy Pelosi, die demokratis­che Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, will eine Untersuchu­ngskommiss­ion einsetzen, deren Mitglieder mehrheitli­ch von den Demokraten bestimmt werden. Das lehnen die Republikan­er ab.

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