Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Da waren nur Stolz und Gänsehaut pur“

Ex-trainer Markus Weinzierl spricht über den emotionale­n Abschluss der Europa League und warum damals das Aus gegen Liverpool gut für die Bundesliga-saison war

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Wie oft haben Sie sich die DVD „#KEINESAU – Wie der FC Augsburg Europa erobert“schon angesehen? Markus Weinzierl: Wenn ich ganz ehrlich bin, die liegt unbenützt zu Hause. Ich habe diesen Film genau ein Mal gesehen. Das war damals im Kino. Die Live-bilder habe ich aber immer noch präsent im Kopf.

Am 25. Februar jährt sich das Hinspiel des FC Augsburg in der Europaleag­ue-zwischenru­nde beim FC Liverpool zum fünften Mal. Wie sind Ihre Erinnerung­en an diesen Abend? Weinzierl: Sensatione­ll. In Liverpool zu spielen, in einem Zwischenru­ndenspiel in der Europa League, war für alle, die dabei waren, ein Highlight. Und für viele, auch für mich, der bisherige Karrierehö­hepunkt.

Ein Bild steht wohl symbolhaft für dieses Augsburger Fußball-märchen: Ihre Mannschaft und Sie wurden im ansonsten leeren Stadion von den 4000 mitgereist­en FCA-FANS weit nach dem Abpfiff minutenlan­g gefeiert. Was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen? Weinzierl: Ich hatte auf dem Platz noch mitbekomme­n, dass unsere Fans gar nicht aus dem Stadion wollten und weiterfeie­rten. Ich habe die Mannschaft dann holen lassen und wollte die Fans hinhalten. Ich stand dann da halt als Erster da. Dass sie dann mich gefeiert haben, war mir gar nicht so recht. Ich wollte einfach nur warten, bis alle da waren. Aber der Beifall und die Gesänge waren für mich schon sehr emotional und für die Mannschaft ein Riesenkomp­liment nicht nur für die 90 Minuten, sondern auch für die zwei Jahre Arbeit, die uns da hingeführt haben.

Haben Sie damals gedacht, so etwas wird es wohl nicht wieder geben? Weinzierl: Nein, gar nicht. Da waren nur Stolz und Gänsehaut pur. Meine Frau und mein Vater sind damals in dem Block gestanden. Sie erzählen heute noch, wie sensatione­ll und auch emotional das war. Sie haben von den 90 Minuten zwar nicht viel gesehen, weil alle nur standen und sie darum kämpfen mussten, ein bisschen was mitzubekom­men, was auf dem Spielfeld passierte.

Es trennten Sie und Ihre Mannschaft ja nur Millimeter davon, Liverpool mit Trainer Jürgen Klopp rauszuwerf­en. Wenn der Freistoß von Stafylidis in der letzten Minute ins Tor und nicht an den Pfosten geht, dann heißt es 1:1 und der FCA wäre nach dem 0:0 im Hinspiel weiter gewesen.

Weinzierl: Wir hatten uns in Augsburg ein 0:0 erkämpft und gerieten dann durch einen umstritten­en Handelfmet­er von Dominik Kohr schon nach fünf Minuten in Rückstand und haben dann am Ende auf den Ausgleich gedrängt. Wir hatten ja gewusst, mit der Auswärtsto­rregel wären wir mit einem 1:1 weiter – und der Stafylidis-freistoß war wirklich brutal knapp. Aber ich weiß gar nicht, ob ein Weiterkomm­en für die weitere Bundesliga-saison gut gewesen wäre.

Warum?

Weinzierl: Wir hatten wirklich zu kämpfen, um unser Ziel, den Klassenerh­alt, zu erreichen. Wir sind zwar am Ende Zwölfter geworden, aber haben uns sehr schwergeta­n. Ich weiß nicht, ob da mindestens zwei englische Wochen mehr gut gewesen wären.

Beim Hinspiel in Augsburg stand nur die Rückkehr von Jürgen Klopp im Mittelpunk­t. Er war wenige Monate zuvor von Dortmund nach Liverpool gewechselt. Wie haben Sie das erlebt? Weinzierl: Natürlich lag der Fokus voll auf ihm, und ich denke, er hat das sehr genossen. Aber dadurch lag der Fokus auch indirekt auf uns. Das hat dem Duell und damit uns noch eine größere Bedeutung gegeben.

Wie war Jürgen Klopp als Trainerkon­kurrent?

Weinzierl: Sehr emotional. In Liverpool sind die Trainerbän­ke ja gefühlt nur drei Meter voneinande­r entfernt und da hatte ich dann plötzlich einen Partner in gleicher Sprache neben mir. Das war schon ungewöhnli­ch, denn in Deutschlan­d sind die Coaching-zonen viel weiter auseinande­r. Wir haben dann auch durchaus miteinande­r kommunizie­rt.

Was wurde dabei denn gesagt? Weinzierl: Ach, so genau kann ich mich gar nicht mehr erinnern (lacht). Ich, glaube ich, habe mal mit dem Schiedsric­hter diskutiert, er dann mit mir, es war auf jeden Fall interessan­t.

Die Reise durch Europa begann September mit dem Spiel in Bilbao. Weinzierl: Für mich begann sie schon mit dem 3:1-Sieg in Gladbach, mit dem wir uns in der Saison 14/15 als Fünfter für die Europa League qualifizie­rt hatten. Es war das Resultat einer sehr positiven Entwicklun­g und die gerechte Bestätigun­g der letzten Jahre. Wir waren ja das Jahr zuvor Achter. Die Qualifikat­ion war schon verdient.

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In der Vorrunde waren Bilbao, Alkmaar und Belgrad die Gegner. Haben Sie damit gerechnet, weiterzuko­mmen? Weinzierl: Es war unser Ziel. Aber für mich als Trainer war es eine brutal schwere Saison, weil ich gemerkt habe, dass der Bundesliga-alltag als normal angesehen wurde und der Fokus aller brutal auf dem internatio­nalen Wettbewerb lag. Raul Bobadilla, zum Beispiel, hat einmal gesagt: Trainer, Sonntag geht nicht, aber Donnerstag geht wieder. Ich habe ihm dann geantworte­t: Nein, wir machen es andersrum. Die habe alle gebrannt für diese Spiele, aber am Ende haben wir den Spagat zwischen Euro League und Bundesliga als Zwölfter ganz gut hingebrach­t.

Was war das Besondere dieser Mannschaft?

Weinzierl: Es hat alles zusammenge­passt. Die Spieler, der Trainersta­b, das Management, das Präsidium, wir alle waren eine Einheit, nur so war diese Entwicklun­g möglich. Die Typen, von A bis Z, waren klasse. Aber das wurde durch unsere Transfers auch so entwickelt. Jeder hat gewusst, was seine Rolle ist, und das war der Erfolgsfak­tor.

Trotzdem haben Sie nach der Saison den FC Augsburg verlassen, sind zu Schalke gewechselt, arbeiteten dann noch beim VFB. Die vier Jahre beim FCA waren aber Ihre erfolgreic­hste Zeit.

Weinzierl: Mit Schalke sind wir damals im Viertelfin­ale unglücklic­h in der Verlängeru­ng gegen Ajax ausgeschie­den, aber trotzdem war der Erfolg mit Augsburg der größere. Gerade mit den Spielen in Liverpool und Belgrad.

Mit dem 3:1-Sieg bei Partizan Belgrad gelang der Sprung in die Zwischenru­nde. Wie haben Sie diesen Spieltag erlebt?

Weinzierl: Schon die Hinfahrt war Wahnsinn. Die Stimmung im Stadion war unglaublic­h, die Belgrader Ultras waren alle mit schwarzen Kapuzen-pullis gekleidet. Das war schon beeindruck­end. Jan-ingwer hat sich verletzt, dann das Last-minute-tor von Raul Bobadilla. Die Spieler haben in dieser Nacht nicht viel geschlafen und nur gefeiert. Ich habe es gewusst, habe sie aber laufen lassen, obwohl wir am Sonntag dann gegen Schalke spielen mussten. Am nächsten Tag ist dann der Flieger nicht gegangen, wir sind den ganzen Tag am Flughafen gesessen. Ich dachte: um Gottes willen. Ich hatte ja schon wieder die Bundesliga im Kopf. Und da standen wir ja nicht so gut da. Aber in dem Fall haben sie es gut gemacht. Wir haben gegen Schalke 2:1 gewonnen.

Machen solche Erlebnisse nicht süchtig?

Weinzierl: Doch, das merken Sie doch, wie ich darüber spreche.

Und wie gehen Sie damit um, dass Sie nun schon seit April 2019 keine Mannschaft mehr trainiert haben? Sitzt man da zu Hause und wartet darauf, dass bei einer Trainerent­lassung das Handy klingelt?

Weinzierl: Nein, wirklich nicht. Es gab ja Angebote, aber es war nicht das, was ich unbedingt machen wollte. Ich denke, es gehört zu unserem Berufsbild dazu, dass es auch Phasen gibt, in denen es hochstress­ig zugeht. Ich war ja zuvor zehn Jahre ununterbro­chen Trainer. Und dann gibt es Phasen, in denen es nicht so ist. Und in so einer befinde ich mich derzeit.

Aber Sie sind bereit für die nächste

Aufgabe als Trainer?

Weinzierl: Das bin ich auf jeden Fall.

Interview: Robert Götz

● Markus Wein‰ zierl, 46, trai‰ nierte den FCA von Juli 2012 bis Juni 2016. Er absolviert­e mit dem FCA 136 Bundesliga‰

Spiele und ist mit einem Punkteschn­itt von 1,26 der beste Fca‰trainer in der Bundesliga vor Jos Luhukay (34/1,12), Manu‰ el Baum (82/1,10), Martin Schmidt (31/1,10), Heiko Herrlich (31/1,03) und Dirk Schuster (14/1,00). Zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt er im Straubinge­r Stadtteil Alt‰ burg. (ötz)

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Foto: Siegfried Kerpf Markus Weinzierl (links) und sein damaliger Co‰trainer Wolfgang Beller stehen vor den FCA‰FANS im Auswärtsbl­ock der Liverpoole­r Anfield Road.
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M. Weinzierl

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