Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Statt Zeugnissen: Wie gut sind Lernentwicklungsgespräche?
Individuelle Rückmeldungsgespräche statt kommentarloser schriftlicher Noten – das Lernentwicklungsgespräch ersetzt an immer mehr Schulen in Bayern das Zeugnis zum Halbjahr. In Bayern als Schulversuch gestartet, ersetzen mittlerweile 91,3 Prozent der Grundschulen das Halbjahreszeugnis durch ein Lernentwicklungsgespräch (LEG). Am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik der Universität Augsburg untersuchte Prof. Dr. Andreas Hartinger mit Prof. Dr. Sonja Ertl (Friedrich-alexander-universität Erlangen-nürnberg) nun, inwieweit gute LEG zum Lernen motivieren.
„Die Qualität der Gespräche beeinflusst Motivation und Lernbereitschaft der Kinder deutlich, was insofern ziemlich beeindruckend ist, als es ja nur eine 20-minütige Situation einmal im Schuljahr ist“, berichtet Hartinger. Für die Studie analysierte er die LEG von knapp 400 Zweitklässlerinnen und Zweitklässlern. Individueller Fortschritt
Im Lernentwicklungsgespräch setzt sich die Klassenlehrkraft mit der Schülerin oder dem Schüler und den Eltern zusammen und bespricht mit ihnen den aktuellen Lernstand des Kindes, seine Stärken und Schwächen, Kompetenzen, aber auch das Lern- und Sozialverhalten. Gesprächsgrundlage ist in der Regel ein altersgerecht aufbereiteter Selbsteinschätzungsbogen oder eine Lernlandkarte.
„Am förderlichsten für Anstrengungsbereitschaft sind positive Rückmeldungen und Bewertungen, die Bezug auf die individuelle Entwicklung des Kindes nehmen“, erklärt Hartinger. Ein Kind, das in einem Diktat beispielsweise zehn Fehler hat, habe eine tolle Leistung erbracht, wenn es vorher 25 Fehler hatte. Die Note drei, die das Kind für dieses Diktat gegebenenfalls erhält, sei zwar objektiv mess- und mit anderen Noten vergleichbar, die individuelle Entwicklung des Kindes, seinen Lernfortschritt, aber bilde sie nur unzureichend ab.
„Von den Lehrpersonen in unserer Studie wurde einiges auch sehr gut genutzt. Sie betonten die Stärken ihrer Schülerinnen und Schüler deutlich mehr als deren Schwächen, so dass die Kinder motiviert und positiv gestimmt aus den Gesprächen gingen“, so Hartinger.
Die individuelle Lernentwicklung wird dagegen nicht so häufig in den Vordergrund gestellt. Hier ist laut Hartinger „noch Luft nach oben“. Qualitätskriterien für diese Gespräche lassen sich aus der
Feedback-forschung herleiten. Wichtig sind neben lernunterstützenden Rückmeldungen, das Einbeziehen der Selbsteinschätzung des Kindes und das Vereinbaren passender Ziele für das weitere Lernen. Hartinger und Ertl untersuchten, wie gut das in den beobachteten LEG der Fall war.
Ausschlaggebend war dabei – und damit nimmt ihre Studie eine neue Sichtweise bei der Beurteilung der Gespräche ein – die Perspektive der teilnehmenden Kinder. Sie wurden gebeten, Aussagen wie zum Beispiel „Im LEG hat meine Lehrerin mich gefragt, was ich gut kann“oder „Das, was wir ausgemacht haben, wird mir beim Lernen helfen“einzuschätzen.
Die untersuchten Lernentwicklungsgespräche wurden von den Kindern überwiegend positiv beurteilt. „Und das“, sagt Hartinger, „ist entscheidend. Denn wenn Menschen Situationen oder ein Gespräch als echt, in unserem Fall gut und lernunterstützend, wahrnehmen, dann wirkt das Gespräch auch lernunterstützend. Das Kind soll ja motiviert werden, nicht die Eltern oder die Lehrperson.“Kontinuierliches Feedback
Auch die generelle Anstrengungsbereitschaft der Kinder und ihr Motivationsstil, also die Gründe für Mitarbeit und Lern-anstrengung wurden abgefragt, um Effekte der LEG darauf herauszufinden. Als qualitätsvoll wahrgenommene Gespräche resultierten in stärkerer intrinsischer Motivation und einer größeren Anstrengungsbereitschaft. Wenn die Kinder die vereinbarten Ziele als passend für sich wahrgenommen haben, so hatte das noch einen zusätzlichen Effekt: Sie führten ihre schulischen Leistungen – sowohl schlechte als auch gute – stärker auf ihre eigenen Anstrengungen zurück. Allerdings fanden Hartinger und Ertl auch deutliche qualitative Unterschiede bei den untersuchten LEG, was daran liegen kann, dass es seitens des Kultusministeriums nur wenige formale Kriterien für die Gesprächssituation und bislang auch nur wenige Fortbildungsangebote dazu gibt. Wichtig für nachhaltige Effekte solcher Rückmeldungen sei außerdem, dass lernförderliches Feedback nicht ausschließlich im Halbjahresgespräch gegeben werde, sondern regelmäßig in das gesamte Unterrichtsgeschehen integriert werde. Auch das Arbeiten mit Lernzielen und die Selbstreflexion und Selbstbewertung müssten Kinder erst lernen. Auch wenn das Lernentwicklungsgespräch zum Halbjahr ein guter und wichtiger Schritt sei, sei kontinuierliches Üben im Schuljahr erforderlich. ch