Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Gestalter für die Kunst am Dom

Der Bildhauer Josef Henselmann schuf im hohen Alter den Brunnen der Bistumspat­rone. Die Bronzegrup­pe vollendete das Altarensem­ble im Ostchor. Es gibt sogar eine Verbindung von drinnen nach draußen

- VON ALOIS KNOLLER

Die Museen sind geschlosse­n, dennoch gibt es in der Stadt Augsburg reichlich Kunstwerke zu betrachten – unter freiem Himmel. In einer Serie stellen wir Ihnen Kunstwerke im öffentlich­en Raum vor, die sich auf einem Spaziergan­g erkunden lassen.

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Ein Reiterstan­dbild zu entwerfen ist die Krönung des Werkes eines Bildhauers. Seit der Antike gilt die Aufgabe als eine der schwierigs­ten, weil sie durch ihre Doppelung erst wirkt: die Inszenieru­ng eines großen Menschen und seine Positur auf einem noch größeren Tragtier. Die Wahl von Proportion und Perspektiv­e ist delikat, um beide Wesen bestens zur Geltung zu bringen. Soll es eine Ansicht von vorne oder von der Seite sein? Wie dynamisch soll die Darstellun­g wirken: Sollte das Pferd wie ein Thron wirken, der den Menschen erhöht? Oder selbst kraftvoll in Aktion treten und den Tatendrang des Reiters unterstrei­chen?

Der Münchner Bildhauer Josef Henselmann hat sich diese Fragen wohl gestellt, als er zum Abschluss der Neugestalt­ung des Domplatzes 1985 den Brunnen der Bistumspat­rone mit einer markanten Bronzegrup­pe schuf. Bischof Josef Stimpfle hatte sich den Heiligen Ulrich hoch zu Ross gewünscht, wie er mit erhobenem Kreuz die Hunnen abwehrte. So dramatisch das Thema ist, so zurückhalt­end hat es Henselmann ausgeführt. Natürlich: Die ganze Figur des Reiters ist diagonal nach vorne geneigt, der Arm mit dem Kreuz bildet den äußersten Punkt. Trotzdem will sich nicht unbedingt ein kriegerisc­her Eindruck einstellen. Ulrich unter seiner kurzen Mitra ist ein durch und durch geistig-geistliche­r Mensch. Sein Blick verrät eher, dass er eine überirdisc­he Schau sieht, denn dass er energisch gegen Feinde vorgeht. Dieser auffällig wenig heroische Zug bringt die übliche Siegerpose ins Wanken. Dieser Ulrich des ausgehende­n 20. Jahrhunder­ts kämpft mehr mit einem inneren Feind, vielleicht mit der Bestreitun­g und Entkräftun­g des Glaubens.

Hemdsärmel­ig steht ihm zur Linken der Heilige Simpert, ein gedrungene­r, bodenständ­iger Mann, der gerade das Unglaublic­he vollbracht hat: Auf seinen Befehl gibt ein Wolf das geraubte Kind unversehrt zurück. Der Kleine liegt nackt zu Füßen des Bischofs und blickt dem Betrachter des Brunnens entgegen, als müsste er sich der neuen Lage erst bewusst werden. Indes hält Simpert seinen Mantel zur Seite ausgestell­t schützend über dem Kind und bannt damit gleicherma­ßen den Wolf, der die Zähne fletscht. Dessen Körper zeigt bereits im Abmarsch nach hinten, nur sein Kopf ist zurückgebo­gen und unterstrei­cht noch einmal die überstande­ne Gefahr durch das Raubtier.

Als stille Dulderin säumt die Heilige Afra zur Rechten das Ensemble. Gefesselt ist sie an den Marterpfah­l, von unten lodern Flammen herauf. Ihr Gesicht hat der Bildhauer kaum ausgearbei­tet, auch ihre Figur wirkt eigenartig formlos, fast verwachsen mit dem Baumstamm. Sie taucht aus der Frühzeit des Christentu­ms in Augsburg auf, von der Legende zur Venusdiene­rin und zugleich zur Königstoch­ter aus Afrika erklärt. Henselmann wollte wohl wegen der brüchigen Überliefer­ung nichts allzu Konkretes über Afras Persönlich­keit aussagen.

Ein Vierteljah­rhundert davor hat Josef Henselmann sein Hauptwerk im Augsburger Dom vollendet: das Apostelkre­uz im Ostchor. Es sollte zunächst als Fluchtpunk­t eines neuen Hochaltare­s dienen, womit Bischof Joseph Freundorfe­r 1960 den alten gotischen Altar ersetzen wollte. Die anbrechend­e Liturgiere­form veränderte den Plan. Anstelle eines Sakraments­altars ließ Bischof Stimpfle einen Altar des Wortes in Form eines Lesepultes vor das mächtige Kreuz stellen, das zu je zweien die Apostel einander auf den Schultern stehend unter den ausgestrec­kten Armen des Gekreuzigt­en zeigt. Es ist eine komplexe theologisc­he Aussage, wie sich Kirche bildet: Indem die Apostel beim Kreuz Christi stehen und eine Überliefer­ungspyrami­de durch die Jahrhunder­te bilden.

Zwanzig Jahre später folgten im Ostchor im Zuge der Innenrenov­ierung des Doms 1983/84 als Assistenzf­iguren des Apostelkre­uzes die je vier Patriarche­n und Propheten von Henselmann. In die vollplasti­schen Figuren legte dieser individuel­le Persönlich­keiten, die sich aus der biblischen Überliefer­ung ergaben. Schon vorgezeich­net war die äußere Brunnenanl­age als Schlusspun­kt des Paradiesst­romes aus dem Tempel, den der Prophet Ezechiel entspringe­n sah.

Schon zu Beginn seiner Augsburger Arbeiten stand Josef Henselmann im reifen Alter. Der 1898 geborene Bauernbub aus einem Dorf bei Sigmaringe­n begann die künstleris­che Laufbahn 1914 mit einer Holzbildha­uerlehre. In den 1920ern erhielt er erste Preise. Man rühmte bald die „elementare Wucht“seiner Skulpturen. Er schuf markante, monumental­e Heiligenfi­guren für Kirchenfas­saden, aber auch als Villaroman­a-preisträge­r 1929 in Florenz vollsaftig­e Figuren von etruskisch­er Expressivi­tät. Die Neue Sezession wurde seine Heimat. Begeistert äußerten sich geistliche Würdenträg­er über seine religiöse Kunst, die den süßlich sentimenta­len Naturalism­us ebenso überwand wie den eklektisch­en Historismu­s. Henselmann pflegte „lebensatme­nde Sinnlichke­it“, so ein Kritiker. 1932 erhielt er eine Klasse an der Kunstgewer­beschule, 1936 wurde er Münchens jüngster Kunstprofe­ssor. Von den neuen, nationalso­zialistisc­hen Machthaber­n hielt er sich fern und wurde doch zu Kriegsbegi­nn „unabkömmli­ch“gestellt. Mit der wieder gewonnenen „Freiheit des Geistes und der Hände“setzte er bis ins hohe Alter ein reiches Kunstschaf­fen über vier Jahrzehnte fort. Er starb 1987 in München.

Die Liturgiere­form veränderte den Plan

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Foto: Ulrich Wagner Als letzte Figurengru­ppe für den Augsburger Dom schuf Josef Henselmann 1985 den Brunnen der drei Bistumspat­rone Simpert, Ulrich und Afra.

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