Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Nano-beben beschleunigen Wundheilung
Akustische Oberflächenwellen stimulieren die Zellen so, dass diese sich schneller in Richtung der Wunde bewegen und diese verschließen
Eine Entdeckung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Augsburg hat das Potenzial, die Wundheilung zu beschleunigen. Durch akustische Oberflächenwellen – das sind Schallwellen, die sich entlang von Flächen ausbreiten – bringen sie unter Laborbedingungen Zellen in Bewegung und regen das Zellwachstum an, wodurch sich Wunden schneller schließen.
Auf einem Chip wird an Elektrodenstrukturen eine elektrische Wechselspannung angelegt. Dadurch entsteht ein elektrisches Feld, das dazu führt, dass sich die Atome des Chips nahe der Oberfläche gegeneinander verschieben – es entsteht eine Wellenbewegung auf der Oberfläche. Diese durch ein Hochfrequenzsignal erzeugten „Nano-beben“lösen eine interessante Wechselwirkung mit den darauf sitzenden Zellen aus. Bei der kontinuierlichen „Beschallung“einer künstlichen Wunde steigt die Geschwindigkeit, mit der sich die Zellen bewegen um bis zu 150 Prozent, und beschleunigen dadurch das Verschließen einer Wunde signifikant im Vergleich zu Stellen, die nicht beschallt werden.
Die Wellen verbreiten sich mit einer Geschwindigkeit von 14 000 Kilometern pro Stunde und dringen dabei doch nur eine halbe Wellenlänge in das Zellmaterial ein. „Bei dieser Methode werden die Zellen mit den Schallwellen nur leicht ‚gekitzelt’ und nicht mit Gewalt verschoben. Wir arbeiten hier also mit leisen und sanften
Wellen“, sagt der Biophysiker Dr. Christoph Westerhausen, Arbeitsgruppenleiter am Lehrstuhl für Physiologie.
Biophysik und Biochemie: den Ursachen des Effekts gemeinsam auf der Spur
„Die mechanische Bewegung der Welle wird auch durch ein sich mitbewegendes elektrisches Feld begleitet. In unserer neueren Forschung hat sich gezeigt, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit die mechanische Komponente des Nano-bebens ist, die dazu führt, dass die Zellen sich schneller Richtung Wunde bewegen. Das elektrische Feld, das ebenfalls erzeugt wird, spielt dafür eine untergeordnete Rolle“, so Westerhausen. Die Frage, wie sich der Effekt erklären lässt, treibt die Forschenden weiter an. Daher hat das biophysikalische Forschungsteam mit dem Lehrstuhl für Biochemie von Prof. Regina Fluhrer an der Medizinischen Fakultät zusammengearbeitet, um besser zu verstehen, welche biochemischen Prozesse dabei ablaufen. So lässt sich auch die Rolle der Zellmembran untersuchen. „Künftig wollen wir gezielt die Adhäsionseigenschaft der Zellen modifizieren, also wie gut sie auf dem Chip haften“, erklärt Westerhausen.
Beschallung bringt die Zellen nicht in Stress
Eine weitere Erkenntnis der gemeinsamen Zusammenarbeit zwischen Biophysik und Biochemie zeigt, dass die Stimulation bei den Zellen nicht zu einem erhöhten Stresslevel führt. Denn chemische wie mechanische Einwirkungen oder andere Umwelteinflüsse können in Zellen zu erhöhtem „Stress“führen, der sich darin zeigt, dass sich Sauerstoffradikale bilden. Bei der Beschallung mit akustischen Oberflächenwellen zeigten die Zellen keine solche Reaktion. Hier sieht man auch, so Westerhausen, dass bei der Methode die Zellen nur sanft angeregt werden. „Wir kitzeln die Zellen nicht so stark, bis sie sich vor Lachen krümmen.“
Von verbesserten Pflastern bis zur schnelleren Einheilung bei Implantaten
Aktuell findet die Grundlagenforschung unter Laborbedingungen statt. Anwendungsmöglichkeiten für die Technologie gäbe es viele, so die Forschenden. Der Chip, der die akustischen Oberflächenwellen erzeugt, könnte in Form eines biegsamen Materials hergestellt werden und zum Beispiel in einem Pflaster die Wundheilung beschleunigen. Oder bei einer Hüft-op könnte das Implantat entsprechend beschichtet werden, sodass der integrierte Chip von außen mit Energie versorgt werden könnte – wie bei RFID-CHIPS – und die Wundheilung nach dem Eingriff beschleunigt. „Das sind nur einige Szenarien, die vorstellbar sind“, so Westerhausen, „aber noch in der Zukunft liegen“.