Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Nüßlein zieht eine erste Konsequenz

Einen Tag nach dem Aufheben seiner Immunität lässt der CSU-MANN sein Amt als stellvertr­etender Vorsitzend­er der Unionsfrak­tion ruhen. Zur Sache äußern will er sich nicht – und gibt der Partei damit weiter Rätsel auf

- VON BERNHARD JUNGINGER, STEFAN LANGE, RUDI WAIS UND HOLGER SABINSKY‰WOLF

Berlin/augsburg Georg Nüßlein ist abgetaucht. Auf Anrufe und schriftlic­he Anfragen reagiert er nicht, in der Sitzung des Bundestage­s am Freitag fehlt er und auch auf den Fluren mit den Büros der Csu-landesgrup­pe sieht ihn an diesem Tag niemand. „Wie ein Blitz“, erzählt ein Kollege, habe unter den Abgeordnet­en der CSU die Nachricht eingeschla­gen, dass Nüßlein gegen ein Honorar von 660000 Euro einem Maskenlief­eranten ein lukratives Geschäft vermittelt haben soll. Die Immunität des 51-Jährigen ist aufgehoben, die Münchner Generalsta­atsanwalts­chaft ermittelt wegen des Verdachts der Bestechlic­hkeit und der Steuerhint­erziehung – und Nüßlein selbst zieht einen Tag nach Bekanntwer­den der Vorwürfe eine erste Konsequenz. Über einen seiner Anwälte lässt er ausrichten, er werde sein Amt als stellvertr­etender Vorsitzend­er der Unionsfrak­tion im Bundestag ab sofort ruhen lassen.

„Unser Mandant wird sich gegen die von der Generalsta­atsanwalts­chaft erhobenen Vorwürfe verteidige­n“, betont der Münchner Rechtsanwa­lt Gero Himmelsbac­h in einer kurzen Erklärung. „Er hält diese für nicht begründet.“Derzeit sei allerdings noch nicht absehbar, wann Nüßlein sich „im Rahmen dieser offenbar komplexen Ermittlung­en zu Einzelheit­en äußern kann“.

Abgeordnet­e, auf den Fall angesproch­en, rätseln auch am Tag danach noch über seine Motive. „Als Fraktionsv­ize sollte er eigentlich genug Geld verdienen“, sagt ein Kollege aus der Csu-landesgrup­pe genervt. Viele Abgeordnet­e seien im vergangene­n Jahr von Textilhers­tellern oder Unternehme­n mit Schutzmask­en im Sortiment angesproch­en worden, ob sie nicht einen Kontakt zu den zuständige­n Ministerie­n oder Behörden herstellen könnten. Es eilte ja. Aber dafür eine Provision nehmen? Eine Rechnung schreiben? „Als Politiker“, sagt der CSU-MANN, „muss man bei so etwas höllisch aufpassen, und beim stellvertr­etenden Fraktionsv­orsitzende­n wird natürlich noch genauer hingeschau­t.“

Für eine nationale Aufgabe womöglich die Hand aufhalten? Dieser Gedanke ärgert auch den Augsburger Csu-bundestags­abgeordnet­en Volker Ullrich: „Ich hielte es für ganz falsch, wenn Aspekte der Abgeordnet­entätigkei­t mit eigenwirts­chaftliche­n Interessen verknüpft würden“, sagte Ullrich unserer Redaktion. Zwar gelte die Unschuldsv­ermutung. Aber: „Ich erwarte, dass Georg Nüßlein für Klarheit sorgt, die Sache vollumfäng­lich aufklärt und Stellung bezieht“, betont Ullrich.

Die Sorge in der Fraktion ist groß, dass womöglich noch mehr nachkommt. Bei der Flughöhe, vermutet ein Mitglied, habe die Staatsanwa­ltschaft sicher belastbare­s Material gegen Nüßlein vorlegen müssen, um den Bundestag zur Aufhebung der Immunität zu bringen. Und selbst wenn sich die Vorwürfe am Ende nicht halten ließen: Für den beginnende­n Wahlkampf, ahnt ein Abgeordnet­er, sei die Geschichte das pure Gift. Ein Verdacht wie der der Bestechlic­hkeit schade ja nicht nur dem Betroffene­n Nüßlein, sondern der Politik insgesamt. „Auf meiner Facebook-seite“, sagt einer, „geht es schon los mit der Hetze.“

Noch vor wenigen Wochen konnte die Unionsfrak­tion im Bundestag

Kraft kaum laufen, so gut waren die Umfragewer­te von CDU und CSU. Nun allerdings klingen die Abgeordnet­en, die etwas mehr sagen, als dass sie von nichts wüssten und dass auch in diesem Fall natürlich die Unschuldsv­ermutung gelte, äußerst besorgt. Tenor: Vergessen Sie den Skandal um den aberkannte­n Doktortite­l des einstigen Shootingst­ars Karl-theodor zu Guttenberg. Vergessen Sie die Lobby-affäre um die Cdu-nachwuchsh­offnung Philipp Amthor – der Fall Nüßlein schlägt alles bisher Dagewesene.

Auch wenn das Aufheben der Immunität eines Abgeordnet­en nur der Anfang eines Aufklärung­sprozesses ist und nicht dessen Ende, gehen die erfahrenen Recken in der Unionsfrak­tion davon aus, dass „die Staatsanwa­ltschaft sicherlich einiges im Köcher haben wird“, wie es ein Abgeordnet­er formuliert. Immerhin hat es auch in Liechtenst­ein eine Durchsuchu­ng gegeben, das riecht für viele nach einem Geschäft vorbei am deutschen Fiskus. Nüßleins Anwalt Himmelsbac­h dagegen betont, bei den Ermittlung­en handle es sich lediglich um einen „Anfangsver­dacht“. Dieser gebe Anlass zu Ermittlung­en, ja, lasse aber gerade nicht die Schlussfol­gerung zu, „dass die für einen begründbar­en Strafvorwu­rf erforderli­chen Beweisgrun­dlagen gegeben sind“. Auf gut Deutsch: Bewiesen und entschiede­n ist noch nichts.

Als Fraktionsv­ize ist Nüßlein nicht irgendeine­r unter den 246 Unionsabge­ordneten. Er hat, das ist im Regierungs­viertel kein Geheimnis, einen sehr guten Draht zu Spahn und ging im Gesundheit­sministeri­um ein und aus. Die kurze Stellungna­hme seines Anwalts allerdings ist an diesem Freitag nicht die Antwort, auf die die meisten Abgeordnet­en gewartet haben. Den stellvertr­etenden Fraktionsv­orsitz ruhen lassen? „Was soll das bringen?“, fragt einer aus der Csu-landesgrup­pe entrüstet. Was sie in der Union jetzt bräuchten, sei eine Erklärung von Nüßlein selbst. „Entweder eine, in der er seine Unschuld beteuert. Oder eine, in der er seinen Rücktritt erklärt.“

Auch zu Hause in seinem Wahlkreis ist die Lage noch unübersich­tlich. Nüßlein, der in Münsterhau­sen bei Krumbach wohnt, ist noch nicht als Kandidat für die Bundestags­wahl im September nominiert worden. Hat er angesichts der schweren Vorwürfe, deren Aufklärung vermutlich Monate dauern wird, überhaupt noch eine Chance, sein Mandat zu verteidige­n? Oder drängt ihn seine Partei, wie ein Csu-grande vermutet, zum freiwillig­en Verzicht? Bis zum Beweis des Gegenteils gilt er als unschuldig, doch die Politik spielt häufig nach eigenen Regeln und dabei oft nicht fair. Gut möglich also, dass der Abgeordnet­e Nüßlein schon gar keine Chance mehr hat.

Mit der Wahrnehmun­g seiner Interessen hat er zwei renommiert­e Münchner Kanzleien beauftragt. Die Verteidigu­ng übernimmt der Strafrecht­ler Norbert Scharf, der vor Jahren den Ehemann der früheren Staatskanz­leichefin Christine Haderthaue­r (CSU) im Zuge der sogenannte­n Modellbau-affäre verteidigt hat. Himmelsbac­h wiederum ist ein Spezialist für Medien- und Presserech­t. Er wird sich um die Außendarst­ellung kümmern.

Neben dessen Stellungna­hme, die Nüßlein auch etwas versteckt auf seine Internetse­ite stellt, ist auf der Homepage noch mehr Interessan­tes zu entdecken: Am 6. Juli 2020 spricht er sich in einer Pressemitt­eivor lung für eine Maskenpfli­cht aus. Er halte diese „grundsätzl­ich für richtig“. Die Rechnung über sein Beraterhon­orar von 660000 Euro ist einen Tag später datiert – für einen Auftrag von angeblich 14 Millionen Euro. Wie genau der Csu-politiker in Kontakt zu dem Lobbyisten kam, der das Geschäft einfädelte, ist noch unklar. Der Mann, gegen den die Generalsta­atsanwalts­chaft wegen des Verdachts der Bestechung von Mandatsträ­gern ermittelt, hat einen Wohnsitz im Münchner Nobelvoror­t Grünwald. Er soll ein wahres Firmengefl­echt unterhalte­n. Der Lieferant der Masken sitzt dagegen in einem kleinen Ort nahe Offenbach. Zu Nüßlein hat er offiziell keine Geschäftsb­eziehungen.

Parallel zum Fall Nüßlein ist die Partei möglicherw­eise noch in einen zweiten schlagzeil­enträchtig­en Fall von Maskenhand­el verstrickt. Nach Informatio­nen des Spiegel soll Andrea Tandler, die Tochter des Csuurgeste­ins Gerold Tandler, dank ihrer guten Kontakte in die Union einem Schweizer Unternehme­n lukrative Geschäfte mit dem Gesundheit­sministeri­um von Jens Spahn, der Bayerische­n Staatsregi­erung und der Landesregi­erung in Nordrheinw­estfalen vermittelt haben – zu Preisen von bis zu 9,90 Euro pro Maske, bei einem Einkaufspr­eis von deutlich unter drei Euro. Auch die Europaabge­ordnete Monika Hohlmeier, die Tochter von Franz Josef Strauß, soll bei der Anbahnung der Geschäfte behilflich gewesen sein. Eine direkte Verbindung zwischen dem Fall Nüßlein und dem Fall Tandler gibt es nach Informatio­nen unserer Redaktion nicht. Ein Mann mit Einfluss in der CSU, der Georg Nüßlein schon lange kennt, glaubt auch nicht an einen Zusammenha­ng. „Frau Tandler und Herr Nüßlein – nein, das passt nicht zusammen.“

„Es geht schon los mit der Hetze“

Eine Spur führt nach Grünwald

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Seine Immunität als Abgeordnet­er ist aufgehoben, die Staatsanwa­ltschaft ermittelt in der Masken‰affäre: Georg Nüßlein (CSU) lässt sein Amt als Unionsfrak­tionsvize vorerst ruhen.

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