Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Nüßlein zieht eine erste Konsequenz
Einen Tag nach dem Aufheben seiner Immunität lässt der CSU-MANN sein Amt als stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion ruhen. Zur Sache äußern will er sich nicht – und gibt der Partei damit weiter Rätsel auf
Berlin/augsburg Georg Nüßlein ist abgetaucht. Auf Anrufe und schriftliche Anfragen reagiert er nicht, in der Sitzung des Bundestages am Freitag fehlt er und auch auf den Fluren mit den Büros der Csu-landesgruppe sieht ihn an diesem Tag niemand. „Wie ein Blitz“, erzählt ein Kollege, habe unter den Abgeordneten der CSU die Nachricht eingeschlagen, dass Nüßlein gegen ein Honorar von 660000 Euro einem Maskenlieferanten ein lukratives Geschäft vermittelt haben soll. Die Immunität des 51-Jährigen ist aufgehoben, die Münchner Generalstaatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und der Steuerhinterziehung – und Nüßlein selbst zieht einen Tag nach Bekanntwerden der Vorwürfe eine erste Konsequenz. Über einen seiner Anwälte lässt er ausrichten, er werde sein Amt als stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag ab sofort ruhen lassen.
„Unser Mandant wird sich gegen die von der Generalstaatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe verteidigen“, betont der Münchner Rechtsanwalt Gero Himmelsbach in einer kurzen Erklärung. „Er hält diese für nicht begründet.“Derzeit sei allerdings noch nicht absehbar, wann Nüßlein sich „im Rahmen dieser offenbar komplexen Ermittlungen zu Einzelheiten äußern kann“.
Abgeordnete, auf den Fall angesprochen, rätseln auch am Tag danach noch über seine Motive. „Als Fraktionsvize sollte er eigentlich genug Geld verdienen“, sagt ein Kollege aus der Csu-landesgruppe genervt. Viele Abgeordnete seien im vergangenen Jahr von Textilherstellern oder Unternehmen mit Schutzmasken im Sortiment angesprochen worden, ob sie nicht einen Kontakt zu den zuständigen Ministerien oder Behörden herstellen könnten. Es eilte ja. Aber dafür eine Provision nehmen? Eine Rechnung schreiben? „Als Politiker“, sagt der CSU-MANN, „muss man bei so etwas höllisch aufpassen, und beim stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden wird natürlich noch genauer hingeschaut.“
Für eine nationale Aufgabe womöglich die Hand aufhalten? Dieser Gedanke ärgert auch den Augsburger Csu-bundestagsabgeordneten Volker Ullrich: „Ich hielte es für ganz falsch, wenn Aspekte der Abgeordnetentätigkeit mit eigenwirtschaftlichen Interessen verknüpft würden“, sagte Ullrich unserer Redaktion. Zwar gelte die Unschuldsvermutung. Aber: „Ich erwarte, dass Georg Nüßlein für Klarheit sorgt, die Sache vollumfänglich aufklärt und Stellung bezieht“, betont Ullrich.
Die Sorge in der Fraktion ist groß, dass womöglich noch mehr nachkommt. Bei der Flughöhe, vermutet ein Mitglied, habe die Staatsanwaltschaft sicher belastbares Material gegen Nüßlein vorlegen müssen, um den Bundestag zur Aufhebung der Immunität zu bringen. Und selbst wenn sich die Vorwürfe am Ende nicht halten ließen: Für den beginnenden Wahlkampf, ahnt ein Abgeordneter, sei die Geschichte das pure Gift. Ein Verdacht wie der der Bestechlichkeit schade ja nicht nur dem Betroffenen Nüßlein, sondern der Politik insgesamt. „Auf meiner Facebook-seite“, sagt einer, „geht es schon los mit der Hetze.“
Noch vor wenigen Wochen konnte die Unionsfraktion im Bundestag
Kraft kaum laufen, so gut waren die Umfragewerte von CDU und CSU. Nun allerdings klingen die Abgeordneten, die etwas mehr sagen, als dass sie von nichts wüssten und dass auch in diesem Fall natürlich die Unschuldsvermutung gelte, äußerst besorgt. Tenor: Vergessen Sie den Skandal um den aberkannten Doktortitel des einstigen Shootingstars Karl-theodor zu Guttenberg. Vergessen Sie die Lobby-affäre um die Cdu-nachwuchshoffnung Philipp Amthor – der Fall Nüßlein schlägt alles bisher Dagewesene.
Auch wenn das Aufheben der Immunität eines Abgeordneten nur der Anfang eines Aufklärungsprozesses ist und nicht dessen Ende, gehen die erfahrenen Recken in der Unionsfraktion davon aus, dass „die Staatsanwaltschaft sicherlich einiges im Köcher haben wird“, wie es ein Abgeordneter formuliert. Immerhin hat es auch in Liechtenstein eine Durchsuchung gegeben, das riecht für viele nach einem Geschäft vorbei am deutschen Fiskus. Nüßleins Anwalt Himmelsbach dagegen betont, bei den Ermittlungen handle es sich lediglich um einen „Anfangsverdacht“. Dieser gebe Anlass zu Ermittlungen, ja, lasse aber gerade nicht die Schlussfolgerung zu, „dass die für einen begründbaren Strafvorwurf erforderlichen Beweisgrundlagen gegeben sind“. Auf gut Deutsch: Bewiesen und entschieden ist noch nichts.
Als Fraktionsvize ist Nüßlein nicht irgendeiner unter den 246 Unionsabgeordneten. Er hat, das ist im Regierungsviertel kein Geheimnis, einen sehr guten Draht zu Spahn und ging im Gesundheitsministerium ein und aus. Die kurze Stellungnahme seines Anwalts allerdings ist an diesem Freitag nicht die Antwort, auf die die meisten Abgeordneten gewartet haben. Den stellvertretenden Fraktionsvorsitz ruhen lassen? „Was soll das bringen?“, fragt einer aus der Csu-landesgruppe entrüstet. Was sie in der Union jetzt bräuchten, sei eine Erklärung von Nüßlein selbst. „Entweder eine, in der er seine Unschuld beteuert. Oder eine, in der er seinen Rücktritt erklärt.“
Auch zu Hause in seinem Wahlkreis ist die Lage noch unübersichtlich. Nüßlein, der in Münsterhausen bei Krumbach wohnt, ist noch nicht als Kandidat für die Bundestagswahl im September nominiert worden. Hat er angesichts der schweren Vorwürfe, deren Aufklärung vermutlich Monate dauern wird, überhaupt noch eine Chance, sein Mandat zu verteidigen? Oder drängt ihn seine Partei, wie ein Csu-grande vermutet, zum freiwilligen Verzicht? Bis zum Beweis des Gegenteils gilt er als unschuldig, doch die Politik spielt häufig nach eigenen Regeln und dabei oft nicht fair. Gut möglich also, dass der Abgeordnete Nüßlein schon gar keine Chance mehr hat.
Mit der Wahrnehmung seiner Interessen hat er zwei renommierte Münchner Kanzleien beauftragt. Die Verteidigung übernimmt der Strafrechtler Norbert Scharf, der vor Jahren den Ehemann der früheren Staatskanzleichefin Christine Haderthauer (CSU) im Zuge der sogenannten Modellbau-affäre verteidigt hat. Himmelsbach wiederum ist ein Spezialist für Medien- und Presserecht. Er wird sich um die Außendarstellung kümmern.
Neben dessen Stellungnahme, die Nüßlein auch etwas versteckt auf seine Internetseite stellt, ist auf der Homepage noch mehr Interessantes zu entdecken: Am 6. Juli 2020 spricht er sich in einer Pressemitteivor lung für eine Maskenpflicht aus. Er halte diese „grundsätzlich für richtig“. Die Rechnung über sein Beraterhonorar von 660000 Euro ist einen Tag später datiert – für einen Auftrag von angeblich 14 Millionen Euro. Wie genau der Csu-politiker in Kontakt zu dem Lobbyisten kam, der das Geschäft einfädelte, ist noch unklar. Der Mann, gegen den die Generalstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Bestechung von Mandatsträgern ermittelt, hat einen Wohnsitz im Münchner Nobelvorort Grünwald. Er soll ein wahres Firmengeflecht unterhalten. Der Lieferant der Masken sitzt dagegen in einem kleinen Ort nahe Offenbach. Zu Nüßlein hat er offiziell keine Geschäftsbeziehungen.
Parallel zum Fall Nüßlein ist die Partei möglicherweise noch in einen zweiten schlagzeilenträchtigen Fall von Maskenhandel verstrickt. Nach Informationen des Spiegel soll Andrea Tandler, die Tochter des Csuurgesteins Gerold Tandler, dank ihrer guten Kontakte in die Union einem Schweizer Unternehmen lukrative Geschäfte mit dem Gesundheitsministerium von Jens Spahn, der Bayerischen Staatsregierung und der Landesregierung in Nordrheinwestfalen vermittelt haben – zu Preisen von bis zu 9,90 Euro pro Maske, bei einem Einkaufspreis von deutlich unter drei Euro. Auch die Europaabgeordnete Monika Hohlmeier, die Tochter von Franz Josef Strauß, soll bei der Anbahnung der Geschäfte behilflich gewesen sein. Eine direkte Verbindung zwischen dem Fall Nüßlein und dem Fall Tandler gibt es nach Informationen unserer Redaktion nicht. Ein Mann mit Einfluss in der CSU, der Georg Nüßlein schon lange kennt, glaubt auch nicht an einen Zusammenhang. „Frau Tandler und Herr Nüßlein – nein, das passt nicht zusammen.“
„Es geht schon los mit der Hetze“
Eine Spur führt nach Grünwald