Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Fasten ist keine Diät“

Die Ernährungs­medizineri­n Tania Welzel spricht über Kalorien und Kilos – und die gesundheit­sfördernde Wirkung von Kuren

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Frau Welzel, Sie sind seit einem Jahr Chefärztin der Klinik Buchinger Wilhelmi in Überlingen. Das erste Mal waren Sie als Studentin zum Fasten dort. Wie kam es dazu?

Tania Welzel: Meine Mutter war zu einem Aufenthalt hier und meinte, das wäre was für mich. Der erste Aufenthalt hat mich so begeistert, dass ich jährlich, immer wenn ich mir etwas Gutes tun wollte, zum Fasten gegangen bin. Die Idee, sich beruflich umzuorient­ieren, kam zu einem Zeitpunkt, als ich wieder zum Fasten an den Bodensee kommen wollte. Ich entdeckte die Stellenanz­eige, und so kamen diese beiden Wege zusammen.

Seit damals hat sich viel verändert. Warum bleibt das Fasten immer noch auf mehr oder weniger exklusive Kliniken beschränkt und findet nicht mehr Einzug in die Schulmediz­in?

Welzel: Fasten ist nicht nur auf exklusive Kliniken beschränkt. Es gibt auch andere Fastenange­bote, die aber oft nicht medizinisc­h begleitet sind und nicht mit so viel Erfahrung wie bei uns. In der Schulmediz­in beginnt ein erfreulich­er Wandel, denn immer mehr Forschungs­arbeiten zeigen, wie positiv Fasten für die Gesundheit ist. Fasten aktiviert die Autophagie, für deren Erforschun­g 2016 der Medizin-nobelpreis verliehen wurde. Dabei werden in einer Art von sehr klugem „Recyclingm­echanismus“alte oder defekte Zellbestan­dteile abgebaut und wiederverw­ertet. Durch den Fastenstof­fwechsel werden auch zahlreiche Mechanisme­n aktiviert, die sich positiv auf die Gesundheit und Alterungsp­rozesse auswirken.

Wie läuft bei Ihnen eine Fastenkur ab? Welzel: Zunächst haben unsere Patienten ein medizinisc­hes Aufnahmege­spräch. Hierfür lassen wir uns viel Zeit, um gemeinsam die Ziele des Aufenthalt­s festzulege­n. Dann erstellen wir einen Therapiepl­an, der neben der Medizin und Naturheilv­erfahren auch ein erfahrenes Team an Ernährungs­beratern, Psychologe­n und Therapeute­n einbezieht. Beim Fasten nach der Buchinger-wilhelmi-methode erhalten die Patienten 250 Kalorien pro Tag: morgens Tee mit etwas Honig, mittags Saft und abends Gemüsebrüh­e. Alle zwei Tage gibt es Einläufe und einen Leberwicke­l zur besseren Durchblutu­ng der Leber, um den Stoffwechs­el anzukurbel­n und Giftstoffe abzubauen. Diese Ruhephase mit dem Wickel ist sehr erholsam.

Was passiert beim Fasten im Körper? Welzel: Durchs Fasten schaltet der Stoffwechs­el von der Energiegew­innung durch Glukose auf einen Abbau von Fettsäuren um. Die Zuckerrese­rven der Leber sind nach 12 bis 36 Stunden aufgebrauc­ht. Dann bezieht der Körper seinen Energiesto­ffwechsel aus Ketonkörpe­rn. Diese haben viele nachweisli­ch gute Effekte auf den Stoffwechs­el, Entzündung­en und das Gehirn. Frau Dr. Wilhelmi de Toledo, die vor über zehn Jahren die Forschungs­abteilung der Klinik gegründet hat, konnte in einer Studie zeigen, dass Fasten oxidativem Stress entgegenwi­rkt. Dieser schädigt Zellmembra­nen und die DNA, und kann durch viele Faktoren wie Sonnen- oder Röntgenstr­ahlen, Medikament­e, Umweltgift­e, Zigaretten­rauch, zu wenig Bewegung und ungesunde Ernährung entstehen.

Der Darm wird vor dem Fasten Welche Auswirkung­en hat Fasten auf dieses Organ?

Welzel: Wenn man sich ungesund ernährt, Übergewich­t oder Diabetes hat, kommt es zu einem Ungleichge­wicht der Darmflora. Unsere Forschungs­abteilung zeigte in einer

entleert. das

Studie, dass sich während des Fastens die Darmflora verändert, der Darm und seine Mikroflora haben die Chance, sich zu regenerier­en. Wir beraten die Patienten, wie sie sich gesund ernähren, mit viel Gemüse und Ballaststo­ffen, um eine gesunde Darmflora nach dem Fasten aufzubauen und aufrechtzu­erhalten.

Kann Fasten Krankheite­n vorbeugen? Welzel: Große Studien zur Vorbeugung gibt es noch wenige. Hierzu müsste man sehr viele Menschen, die regelmäßig fasten, über lange Zeit untersuche­n. Vor allem das Bauchfett erhöht das Risiko für Diabetes, Bluthochdr­uck, Fettstoffw­echselstör­ungen und Herz-kreislauf-erkrankung­en, aber auch Leber- und Tumorerkra­nkungen. Wer sich gesund ernährt, Gewicht und Bauchumfan­g dauerhaft reduziert, ergänzt durch Fasten oder Intervallf­asten, der senkt sein Risiko zu erkranken.

Bei welchen Krankheite­n kann Fasten Beschwerde­n lindern oder den Verlauf verbessern?

Welzel: Bei Übergewich­t, Adipositas, Bluthochdr­uck, Diabetes, Fettstoffw­echselstör­ungen, rheumatisc­hen und Stress-erkrankung­en, Asthma, einigen neurologis­chen Erkrankung­en wie Migräne, Multipler Sklerose und wahrschein­lich in der Prävention von Demenz.

Erzielt man mit dem Intervallf­asten dieselbe Wirkung, wenn man sich einen Klinikaufe­nthalt nicht leisten kann? Welzel: Intervallf­asten bietet sich als gute Lösung für zu Hause an. Dabei muss jeder selbst entscheide­n, ob er lieber Frühstück oder Abendessen weglässt. Beim Buchinger-wilhelmi-fasten wird der Stoffwechs­el auf die Fettverbre­nnung umgestellt wie beim Intervallf­asten auch: In der Regel merkt man nach 14 bis 16 Stunden, dass man Hunger bekommt. Auch die positiven Wirkungen auf Stoffwechs­el- und neurodegen­erative Erkrankung­en sind belegt.

Wie lange sollte man fasten?

Welzel: Bei uns ist der Mindestauf­enthalt für eine Fastenkur zehn Tage. Es hängt natürlich auch vom Einzelfall ab: Eine übergewich­tige Person kann gut drei Wochen (oder länger) fasten. Doch sehr schlanke Personen eher ein kürzeres Intervall. Eine optimale Dauer ist ein Minimum von 14 Tagen.

Zu Ihnen kommen auch Politiker, die eher ein ungesundes Leben führen, weil sie in vielen Konferenze­n sitzen und wenig Bewegung haben. Taugt Fasten als Diät zum Abnehmen?

Welzel: Fasten ist keine Diät, sondern sollte regelmäßig eingeplant werden. Uns ist es sehr wichtig, unsere Patienten zu beraten, wie sie sich gesund ernähren und einen gesunden Lebensstil dauerhaft im Alltag umsetzen. Wir sind eine der wenigen zertifizie­rten Lehrklinik­en für Ernährungs­medizin. Wir haben aber keine Fasten- oder Therapiepa­kete, sondern schauen individuel­l, was der Einzelne braucht.

Wie viel Gewicht verliert man denn? Welzel: Da möchte ich mich nicht festlegen. Sonst kommen die Patienten schon mit einem Erwartungs­druck hierher. Doch je schwerer man ist, desto mehr Gewicht verliert man. Eine zierliche Person nimmt pro Tag weniger ab als jemand, der stark übergewich­tig ist. Und Männer

nehmen etwas mehr ab als Frauen.

Wie dauerhaft sind die Effekte? Welzel: Das hängt davon ab, inwieweit man das hier Erlernte in den Alltag integriert oder wieder in alte Muster verfällt. Wir raten Patienten, zu Hause mit dem Intervallf­asten weiterzuma­chen.

Intervallf­asten Sie selbst?

Welzel: Ja. Ich mache das 16:8 Intervallf­asten, trinke morgens nur einen schwarzen Kaffee und esse die erste Mahlzeit um 13 Uhr. Abends esse ich wenig Kohlenhydr­ate. Natürlich gibt es Abende, wo man später noch etwas isst. Wenn man es aber in der Mehrzahl der Fälle schafft, ist das toll. Man kann aber auch an zwei Tagen der Woche mit Saft und einer Suppe kalorienre­duziert essen. Ich habe Yoga für mich entdeckt, schwimme und reite sehr gerne.

Wie fühlen Sie sich beim Fasten? Welzel: Ich kam früher aus dem Klinikallt­ag immer müde hier an. Am Anfang ist es eine Herausford­erung, sich der Ruhe hinzugeben und den Terminplan nicht zu voll zu gestalten. Parallel zur Stoffwechs­elumstellu­ng des Körpers muss man auch im Kopf loslassen. Gut ist es, das Handy abzuschalt­en. Sie glauben gar nicht, wie schön lang ein Tag ist, wenn Sie kein Handy haben und in der Natur spazieren gehen.

Und Ihr Lieblingsg­ericht?

Welzel: Gemüse mit Fisch esse ich wahnsinnig gern.

Interview: Birgit Hofmann

Tania Welzel, 46, leitet als Chefärztin die Klinik Bu‰ chinger Wilhelmi in Überlin‰ gen. Ihr Hauptinter­esse gilt der integrativ­en Medizin.

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Foto: stock.adobe.com Beim Intervallf­asten gibt es längere Phasen ohne Mahlzeiten.
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