Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Corona-regelbrecher ansprechen?
Jemanden mit Aluhut und „Corona ist eine Erfindung der Lügenpresse“shirt anzusprechen, ist wohl wenig Erfolg versprechend. Aber bei weitem nicht alle Regelbrecher sind Corona-leugner. Manche wollen cool vor Freunden wirken, andere sind schlicht bequem. Da kann es durchaus etwas bringen, Kontakt zu diesen Menschen zu suchen – und ihnen ruhig und bestimmt zu sagen, dass man selbst genauso von den Einschränkungen die Schnauze voll hat, es aber nun mal noch eine Weile lang sein muss – und dass es für all die „Braven“mies ist, wenn die Ignoranz von einigen die mühsam errungenen Erfolge in der Pandemiebekämpfung gefährdet. Das unvorsichtige Verhalten anderer kann sich bei steigenden Infektionszahlen im Leben aller in Form von strengeren Regeln niederschlagen und geht deshalb jeden etwas an. Und wird jemand auf einen Verstoß angesprochen, hält er sich danach vielleicht eine Weile lang an die Regeln – ob aus Einsicht oder um seine Ruhe zu haben, sei dahingestellt. Ein wichtiger Nebeneffekt: Die anderen Anwesenden sehen, dass Mitbürger ein solches Verhalten nicht gut finden. Und überlegen sich hoffentlich doppelt, ob sie es nachahmen wollen. Deutschland ist kein Überwachungsstaat und soll auch durch Corona keiner werden. Wenn die vermeintliche Selbstbestimmtheit der Einzelnen jedoch zu Toten führen kann, dann geht sie zu weit und muss angeprangert werden. Beim Spazierengehen eine größere zusammenstehende Personengruppe anzusprechen, hat außerdem nichts mit Überwachung zu tun. Wenn man kommentarlos vorbeigeht, ändert sich sicher nix. Wir stecken zusammen in diesem Schlamassel und nur mit Verzicht und Solidarität kommen wir da wieder raus. Wegschauen ist leichter, doch nur ansprechen kann etwas bewirken.
Schockmoment an der Supermarktkasse! Ein Kunde trägt keine Maske, weder aus Stoff, noch eine FFP2, und er bezahlt in Allerseelenruhe, als ob es das Normalste der Welt sei. Alle sehen es, niemand sagt ein Wort. Die Verkäuferin nicht, die anderen in der Schlange nicht. Man selbst nicht. Auf der Zunge liegt schon: Hei, das ist verboten! Aber eine Stimme im Kopf sagt: Vielleicht hat er ja ein Masken-attest? Jetzt bloß nicht die Polizei spielen, nicht zum Blockwart werden.
Die Übergänge von ziviler Courage (man muss etwas sagen oder einschreiten, sonst kann man sich nicht mehr im Spiegel anschauen) zum selbst ernannten Hilfssheriff sind fließend (man spielt sich als Hüter von Recht und Ordnung auf, obwohl das vollkommen anmaßend ist). Das Überprüfen der Einhaltung von Corona-regeln sollen mal besser Polizei und Ordnungsämter übernehmen, solange es sich um Fälle handelt wie: Nach der Sperrstunde unterwegs, Maske nicht getragen, zu viele Leute getroffen. Wenn jemand im Freien oben ohne spaziert, obwohl es sich um Maskenpflicht-gebiet handelt, verbal einschreiten, obwohl so viele Studien sagen, dass es eher unwahrscheinlich ist, das Virus draußen weiterzugeben? Nein.
Und all die möglichen Fälle, an denen zu reden und hinzuweisen tatsächlich angebracht wäre – also zum Beispiel akut Coronakranken im Büro zu sagen, schleunigst wieder nach Hause zu gehen –, all diese Fälle haben bislang aus Mangel an Gelegenheit noch keinerlei praktischer Ausführung bedurft. Deshalb: Der Staat hat sich schon recht umfassend in das Leben aller eingemischt, um den Verlauf der Pandemie einzudämmen. Sich an all das zu halten, ist schwer genug. Dann muss man sich nicht noch zum Corona-regelhüter aufschwingen.