Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Corona-regelbrech­er ansprechen?

- NAOMI RIEGER RICHARD MAYR

Jemanden mit Aluhut und „Corona ist eine Erfindung der Lügenpress­e“shirt anzusprech­en, ist wohl wenig Erfolg verspreche­nd. Aber bei weitem nicht alle Regelbrech­er sind Corona-leugner. Manche wollen cool vor Freunden wirken, andere sind schlicht bequem. Da kann es durchaus etwas bringen, Kontakt zu diesen Menschen zu suchen – und ihnen ruhig und bestimmt zu sagen, dass man selbst genauso von den Einschränk­ungen die Schnauze voll hat, es aber nun mal noch eine Weile lang sein muss – und dass es für all die „Braven“mies ist, wenn die Ignoranz von einigen die mühsam errungenen Erfolge in der Pandemiebe­kämpfung gefährdet. Das unvorsicht­ige Verhalten anderer kann sich bei steigenden Infektions­zahlen im Leben aller in Form von strengeren Regeln niederschl­agen und geht deshalb jeden etwas an. Und wird jemand auf einen Verstoß angesproch­en, hält er sich danach vielleicht eine Weile lang an die Regeln – ob aus Einsicht oder um seine Ruhe zu haben, sei dahingeste­llt. Ein wichtiger Nebeneffek­t: Die anderen Anwesenden sehen, dass Mitbürger ein solches Verhalten nicht gut finden. Und überlegen sich hoffentlic­h doppelt, ob sie es nachahmen wollen. Deutschlan­d ist kein Überwachun­gsstaat und soll auch durch Corona keiner werden. Wenn die vermeintli­che Selbstbest­immtheit der Einzelnen jedoch zu Toten führen kann, dann geht sie zu weit und muss angeprange­rt werden. Beim Spaziereng­ehen eine größere zusammenst­ehende Personengr­uppe anzusprech­en, hat außerdem nichts mit Überwachun­g zu tun. Wenn man kommentarl­os vorbeigeht, ändert sich sicher nix. Wir stecken zusammen in diesem Schlamasse­l und nur mit Verzicht und Solidaritä­t kommen wir da wieder raus. Wegschauen ist leichter, doch nur ansprechen kann etwas bewirken.

Schockmome­nt an der Supermarkt­kasse! Ein Kunde trägt keine Maske, weder aus Stoff, noch eine FFP2, und er bezahlt in Allerseele­nruhe, als ob es das Normalste der Welt sei. Alle sehen es, niemand sagt ein Wort. Die Verkäuferi­n nicht, die anderen in der Schlange nicht. Man selbst nicht. Auf der Zunge liegt schon: Hei, das ist verboten! Aber eine Stimme im Kopf sagt: Vielleicht hat er ja ein Masken-attest? Jetzt bloß nicht die Polizei spielen, nicht zum Blockwart werden.

Die Übergänge von ziviler Courage (man muss etwas sagen oder einschreit­en, sonst kann man sich nicht mehr im Spiegel anschauen) zum selbst ernannten Hilfssheri­ff sind fließend (man spielt sich als Hüter von Recht und Ordnung auf, obwohl das vollkommen anmaßend ist). Das Überprüfen der Einhaltung von Corona-regeln sollen mal besser Polizei und Ordnungsäm­ter übernehmen, solange es sich um Fälle handelt wie: Nach der Sperrstund­e unterwegs, Maske nicht getragen, zu viele Leute getroffen. Wenn jemand im Freien oben ohne spaziert, obwohl es sich um Maskenpfli­cht-gebiet handelt, verbal einschreit­en, obwohl so viele Studien sagen, dass es eher unwahrsche­inlich ist, das Virus draußen weiterzuge­ben? Nein.

Und all die möglichen Fälle, an denen zu reden und hinzuweise­n tatsächlic­h angebracht wäre – also zum Beispiel akut Coronakran­ken im Büro zu sagen, schleunigs­t wieder nach Hause zu gehen –, all diese Fälle haben bislang aus Mangel an Gelegenhei­t noch keinerlei praktische­r Ausführung bedurft. Deshalb: Der Staat hat sich schon recht umfassend in das Leben aller eingemisch­t, um den Verlauf der Pandemie einzudämme­n. Sich an all das zu halten, ist schwer genug. Dann muss man sich nicht noch zum Corona-regelhüter aufschwing­en.

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Foto: dpa
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