Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hat der Ötzi Baskisch gesprochen?

Rupert Zettl begeistert sich für die Idee einer alteuropäi­schen Ursprache. Nach jahrzehnte­langer Forschung hat der Kunsterzie­her einen Wälzer über Vaskonisch verfasst. Aus der Wissenscha­ft kommt jedoch heftige Kritik

- VON ALOIS KNOLLER

Europa vor 10000 Jahren: Das Eis zieht sich langsam wieder zurück; in der Region des heutigen Südfrankre­ichs bis zum Atlantik hin lässt es sich einigermaß­en temperiert leben. Ein nomadische­s Hirtenvolk zieht mit seinen Viehherden durch die Landschaft, die später Aquitanien heißen wird. War es ein Volk? Waren es Volksstämm­e? Einerlei, denn alle Menschen dieser Jungsteinz­eit verband eine Sprache, das Vaskonisch­e, das seinen Ursprung im Baskenland hatte. Davon geht der emeritiert­e Münchner Sprachwiss­enschaftle­r Prof. Theo Vennemann aus. Und Rupert Zettl, jahrzehnte­lang Kunsterzie­her am Gymnasium Maria Stern, folgt ihm aufgrund eigener intensiver Forschunge­n. In einem 750-Seiten-wälzer beschreibt Zettl nun „Ötzis Sprache“.

Es ist das Werk eines ambitionie­rten Amateurs, das räumt der 70-jährige Lehrer, der in Leitershof­en wohnt, frank und frei ein. Doch glaubt er, in Fluss-, Flur- und Ortsnamen so viele Belege für den vaskonisch­en Ursprung entdeckt zu haben, dass er sich traut, sich – wie Vennemann – mit namhaften Wissenscha­ftlern anzulegen. Zettl weiß sich sattelfest. Vennemann spreche inzwischen von „unserer Theorie“.

So schreibt Rupert Zettl in seinem Buch: „Ich halte eine gewisse Risikobere­itschaft bei der Rekonstruk­tion des vorliegend­en, altsprachl­ichen Großmosaik­s für notwendig und durchaus zielführen­d.“

Am hohen Alter dieser baskischen Vorläufers­prache, die einzigarti­g isoliert auf die Pyrenäenre­gion dasteht, zweifelt niemand. Die Mehrheit der Sprachfors­cher lehnt jedoch die Hypothese einer europaweit­en Verbreitun­g einer vaskonisch­en Ursprache oder Sprachfami­lie ab. Der Indogerman­ist Dieter Steinbauer gibt etwa zu bedenken, dass es angesichts der großen Anzahl von Lehnwörter­n aus dem Lateinisch­en und anderen indoeuropä­ischen Sprachen und der vergleichs­weise jungen historisch­en Belege des Baskischen vermessen sei, eine vaskonisch­e alteuropäi­sche Ursprache rekonstrui­eren zu wollen.

Auch der Indogerman­ist Michael Janda aus Regensburg, Direktor des Instituts für Sprachwiss­enschaft der Uni Münster, sieht die Annahme einer solchen Substratsp­rache sehr kritisch. „Sie dient oft als Ausflucht, um Wörter und Grammatik nicht akribisch innerhalb der jeweiligen Sprache verfolgen zu müssen“, urteilt er. Grundsätzl­ich müsse man die Begriffe einer Sprache aus ihr selbst heraus verstehen und dürfe nicht von vorneherei­n einen fremden Ursprung postuliere­n. Wenn dies nötig sein sollte, dann greift Michael Janda zuerst auf indogerman­ische Wurzeln zurück. „Eine Substratsp­rache zu vermuten, ist höchstens der dritte Schritt. Von der Vaskonenth­eorie halte ich überhaupt nichts“, sagt er auf Anfrage.

Solche Einwände fechten Rupert Zettl allerdings überhaupt nicht an. Überwältig­end seien die sprachlich­en Gemeinsamk­eiten über einen großen

Raum hinweg. Im Bayerische­n haben sich nach sei- ner These noch immer Ausdrücke aus dem alpinvasko­nischen Dialekt erhalten, die schon der „Ötzi“verstand, der 5300 Jahre im Südtiroler Gletschere­is ruhte. Zettl zählt dazu die „Hack“

(ako), die Alpe (albo = schräge Weide), die Birke (urki) und das Kneif

(kannibet = Messer).

Ein Erweckungs­erlebnis hatte Rupert Zettl bei der vorchristl­ichen Inschrift in einer hochalpine­n Quellgrott­e am Schneidjoc­h. Sie liegt in einer Felswand, benutzt etruskisch­e Buchstaben und dürfte von den Rätern stammen. Man schätzt ihr Alter auf 2400 Jahre. Es sind rätselhaft­e Worte: Kastri Esi Etuni Mlapet. Sind es Personenna­men? Frau Etuni, Herr Lavisi, Frau Mnesi … Drei verschiede­ne, „mehr oder weniger fantasiere­iche“(so Zettl) Übersetzun­gsversuche gab es. Dann legte Theo Vennemann seine Vaskonenth­ese an. Aus Kastri hörte er das alte Wort für Quelle/brunnenstu­be, aus Esi kam dem Linguisten das alte Wort für Wasser entgegen. Etuni brachte er mit dem vaskonisch­en Begriff für trinken zusammen. So klingt aus der Inschrift ein magischhei­liger Vers: „Gib Wasser, Quelle/ Wasser gib, Quelle/ Quelle gib Wasser.“Das passt zu einem archaische­n Hirten- und Bauernvolk.

Einmal auf die Spur geraten fügte Zettl eins ums andere hinzu. Ihm erschlosse­n sich Fluss-, Flur- und Ortsnamen, die sich in vaskonisch­er Deutung vor allem auf die konkrete Topografie beziehen und deren Merkmale beschreibe­nd aufgreifen. So leitet Zettl den Lech von der prähistori­schen Wurzel lek ab, was geröll-, kies- und steinreich heiße, also ein Gewässer mit Geschiebe bezeichnet. Überall in Europa fand er dann Flussnamen mit lek – vom Lickle in Schottland über die Lesse in Belgien bis zur Leca in Portugal. Auch die oberbayeri­sche Leitzach zählt er dazu. Ebenso ergiebig erwiesen sich die Sprachwurz­eln is (Wasser) und aran (Tal), woraus u.a. die Isar wurde, aber auch das Ahrntal und der Arno. Zettl hat sich angewöhnt, Ortsnamen vergleiche­nd zu betrachten. Darin sieht er den Vorteil: „Man bekommt nicht nur ein Gespür für einen einzelnen Namen, sondern für eine ganze Sprachschi­cht.“

Seit dem Gymnasium ist Rupert Zettl auf alte Sprachen geeicht. Wie sei er doch „gezwiebelt“worden in Latein, Griechisch und Hebräisch. Er gewann einen Blick für Systematik, und er wühlte sich ins Thema hinein, las aber nicht nur Literatur, die in sein Schema passte. Nicht alle Wörter, das gesteht er zu, seien vaskonisch­en Ursprungs – Kuh, Schwein, Ziege entspreche­n indogerman­ischen Ausdrücken. Doch die Grundström­ung ist die prähistori­sche Hirtenspra­che, die in Europa auch früh einen sehr ausgedehnt­en Handel ermöglicht­e – mit Vieh, aber auch mit Kupfer aus den östlichen Regionen und Zinn aus dem englischen Cornwall. Beide Rohstoffe waren für die Bronzeprod­uktion unverzicht­bar.

» Rupert Zettl: Ötzis Sprache? Studien zur prähistori­schen Hirtenspra­che im vor‰ und inneralpin­en Raum, context verlag 2020, 748 Seiten, 39,80 Euro.

 ?? Foto: Martin Rattini, Port au Prince Pictures, dpa ?? Ein Bild von einem Ötzi, der im Film allerdings nichts Verständli­ches gesprochen hat: Jürgen Vogel in der Titelrolle von „Der Mann aus dem Eis“(2017).
Foto: Martin Rattini, Port au Prince Pictures, dpa Ein Bild von einem Ötzi, der im Film allerdings nichts Verständli­ches gesprochen hat: Jürgen Vogel in der Titelrolle von „Der Mann aus dem Eis“(2017).
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Rupert Zettl

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