Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Jetzt geht es darum, richtig Tempo zu machen“
Alex Hitzinger führt Artemis. Die Spezialeinheit soll Audi und VW auf der Jagd nach Tesla schneller voranbringen und die Mobilität der Zukunft im Konzern prägen. Hier erklärt der frühere Motorsport-ingenieur, wie das gehen könnte
Herr Hitzinger, Sie leiten ein Unternehmen, das nach Artemis, der Göttin der Jagd, benannt ist. Wen jagen Sie eigentlich genau? Tesla? Google? Apple? Oder doch vor allem die bekannten Konkurrenten aus der Alten Welt? Alex Hitzinger: Aktuell gibt es sehr viel Dynamik in der Automobilbranche. Neue Wettbewerber aus der Tech-branche drängen in den Markt, traditionelle Autobauer stellen sich neu auf. Tesla erscheint im Moment als sehr prominenter und omnipräsenter Konkurrent. Da gibt es aber auch andere, die viel leiser sind, die ich aber auf keinen Fall unterschätzen würde. In Japan, in Amerika und auch in Europa und die Chinesen. Die sind auch sehr, sehr schnell. Tesla bekommt im Moment die Bühne, aber sie sind nur einer der neuen Player.
Der Lärm um Tesla aber hilft allen? Hitzinger: Der hilft als Weckruf. Das ist absolut richtig. Jetzt geht es darum, richtig Tempo zu machen.
Ihr oberster Chef, der Vw-vorstandsvorsitzende Herbert Diess, hat zur E-mobilität bei Volkswagen gesagt: „Wir sind spät dran.“Wie viel Jahre muss Artemis jagen? Hitzinger: Das hängt nicht nur von der eigenen Geschwindigkeit ab, sondern auch von der der Konkurrenten. Bei der E-mobilität sind wir im Volkswagen Konzern heute schon stark aufgestellt. Wir müssen in der Software-entwicklung deutlich an Tempo zulegen. Aber mit smartem und sehr entschiedenem Vorgehen werden wir auch dort relativ schnell aufholen. Da ist nichts verloren in meinen Augen.
Unbestritten ist, dass jetzt viel passiert, aber wie viele Jahre vorher hätte man loslegen können?
Hitzinger: Man hätte immer loslegen können. Das ist Vergangenheit. Wir haben eine konsequente Strategie, die wir jetzt implementieren und dabei so schnell arbeiten wie möglich. Man wird irgendwann auch nicht sagen können: Jetzt haben wir aufgeholt. Volkswagen geht seinen eigenen Weg, verfolgt eigene strategische Ziele. Es macht in meinen Augen auch keinen Sinn, etwas von der Konkurrenz zu reproduzieren. So etwas habe ich noch nie gemacht. Durch Kopieren hat noch nie jemand gewonnen.
Sie haben kürzlich gesagt, das Rennen besteht darin, die Sachen am schnellsten zu lernen, die man noch nicht so gut kann. In welchen Bereichen müssen VW und Audi dazulernen? Hitzinger: Software-entwicklung und autonomes Fahren. Aber auch in der Art, wie man Konzepte auf einem weißen Blatt Papier entwickelt. Das Stichwort lautet Systems-engineering.
Ein interdisziplinärer Ansatz, um komplexe technische Systeme in Großprojekten zu entwickeln … Hitzinger: … genau. Und: das Produkt vom Kunden her und als Gesamtsystem sehen. Diesen Entwicklungsprozess muss man extrem schnell abfahren können. Von der
Produktentwicklung bis zur Produktplatzierung. Time-to-market ist extrem wichtig. Wenn es fünf, sechs, sieben Jahre dauert, bis eine Idee beim Kunden ankommt, aber ein Konkurrent das in drei bis vier Jahren schafft, hast du schon verloren. Wir müssen Entwicklungsprozesse, die Konzeptphase, mithilfe von virtuellen Simulationsmethoden sehr verkürzen.
Sie sind eine noch kleine, aber feine Vollgas-truppe, inspiriert vom Motorsport. VW aber ist ein ziemlich politischer, ziemlich großer Tanker. Wie operiert Artemis innerhalb dieses Riesenkonzerns?
Hitzinger: Wir sind ganz am Anfang. Das muss sich jetzt noch etablieren. Wir sind gerade ein Dutzend Mitarbeiter, auch wenn wir bis Ende 2022 eine rund 250-köpfige, schlagkräftige Entwicklungstruppe haben wollen. Artemis ist dazu da, Audi besser zu machen. Audi zu unterstützen. Indem wir mit einer kleineren Truppe in einem geschützten Raum Sachen ausprobieren, pilotieren, die auf einem großen Tanker schwieriger umsetzbar wären. Wegen des größeren Abstimmungsbedarfs und der längeren Entscheidungswege. Artemis ist eine einmalige Chance, deutig mit: „Ja“. Artemis stehe gera de erst am Anfang. An den Zielen habe sich nichts geändert. Man sei dabei, Personal für die Standorte in Ingolstadt (beim IN Campus) und München zu rekrutieren. Hitzinger wurde 1971 in Passau geboren und studierte Ma schinenbau in Landshut, machte einen MBA an der University of Warwick. Er startete als Entwicklungsingenieur bei Toyota Motorsport, weitere Sta
um Sachen schneller auszuprobieren, die man dann in den Konzern zurückführen kann. Vielleicht nicht immer eins zu eins, aber zum großen Teil.
Wie steht es denn um das erste große Artemis-projekt, den Tesla-jäger, der intern „Landjet“genannt wird? Hitzinger: Das geht nun in die Industrialisierung. Das Konzept haben wir mit bearbeitet und noch in dem einen oder anderen Aspekt entscheidend beeinflusst. Audi arbeitet jetzt innerhalb der bestehenden Strukturen an der Industrialisierung. Und Artemis konzentriert sich auf seine eigentliche Mission: neue Methoden, neue Tools, neue Prozesse zu erarbeiten, um das große Ganze zu transformieren. Das ist für uns als Artemis wichtiger, als sich nur auf ein einzelnes Modell zu konzentrieren, auch wenn das Modell natürlich für den Konzern insgesamt von großer Bedeutung ist. Was wir in der Artemis erschaffen werden, soll auf den ganzen Konzern ausstrahlen. Darum geht es.
Sie berichten direkt an Audi-chef Markus Duesmann, der Artemis ins Leben rief. Der Artemis-hauptstandort ist in Ingolstadt. Dennoch wird der tionen waren Cosworth, Red Bull, Torro Rosso und Porsche (Sieg 2015 in Le Mans). Danach wechselte er zu Apple als Leiter Produktdesign im Titan Projekt. 2019 wurde er zum Vorstands mitglied VW Nutzfahrzeuge für den Bereich Entwicklung berufen. Zusätzlich war er innerhalb von VW für Autono mes Fahren und Mobilityasaservice verantwortlich. Seit November 2020 leitet er Artemis. (AZ)
„Landjet“ab Ende 2024 im Vwwerk Hannover und nicht bei Audi gebaut. Was sagen Sie dazu? Hitzinger: Bei der Fahrzeugproduktion gibt es viele Faktoren, die man berücksichtigen muss. Beispielsweise die Frage, wo sind Kapazitäten frei, in welches Werk passt das Auto am besten rein.
Aber wäre es für Sie, für den Zugriff, nicht leichter, wenn der „Landjet“in Ingolstadt oder dem Audi-werk in Brüssel gefertigt würde?
Hitzinger: Wie gesagt, es gibt viele Faktoren, die abzuwägen sind.
Und wie geht es jetzt weiter mit Artemis und der Autoindustrie? Hitzinger: Wenn ich in meine persönliche Kristallkugel reinschaue, wie sich unsere Branche entwickelt, dann gehe ich davon aus, dass wir in fünf Jahren langsam autonom fahrende Autos auf der Autobahn sehen. Der Fahrer ist zeitweise vollumfänglich entlastet und der Autopilot verantwortlich. Und damit beginnt ein neues Zeitalter für Menschen im Auto. Das ist die eigentliche Revolution. Denn dann steht nicht mehr das Fahren im Vordergrund, sondern die Frage: Wie kann ich meine Zeit in diesem neuen Lebensraum
nutzen? Wer das am besten versteht, der wird auch die besten Produkte haben. Bis dahin wird es aber noch etwa fünf Jahre dauern.
Viele rechtliche Voraussetzungen sind auch noch unklar.
Hitzinger: Genau. Das gilt insbesondere für den urbanen Raum. Das ist hochkomplex und eine große Herausforderung.
Und was ist mit der Zukunft des Pkw? Hitzinger: Ich glaube, dass die Leute auch zukünftig ihr eigenes Auto haben wollen. Es wird zwar neue Abomodelle geben, aber es wird auch künftig so sein, dass Menschen die einzigen Nutzer von ihrem Fahrzeug sein und sich dieses nicht mit anderen werden teilen wollen.
Und was ist mit der Software? Hitzinger: Meiner Meinung nach wird über Over-the-air-updates in fünf Jahren keiner mehr sprechen. Das ist dann einfach Standard so wie heute bei den Handys. Da gibt es alle zwei Monate automatisch ein Update aufgespielt und fertig. Ähnlich wird es mit der Beschleunigung von 0 auf 100 sein. Die wird nicht mehr so wichtig werden. Gleiches gilt für die Reichweite. Wenn E-autos erst 700 Kilometer am Stück fahren können, müssen es dann unbedingt 800 sein? Irgendwann ist es genug. Und irgendwann werden die Leute sagen: Eigentlich will ich ein bisschen weniger Reichweite, dafür aber ein etwas kostengünstigeres Auto haben. Das Angebot wird differenzierter.
Welches wird künftig dann das Unterscheidungskriterium sein?
Hitzinger: Der Fahrkomfort und was ich im Auto machen kann. Und die Frage, wie gut das Auto in mein Ökosystem integriert ist. Wenn wir von nach 2030 sprechen, wird man die Zeit im Auto anderweitig nutzen können. Das wird auch einen ganz erheblichen Einfluss auf die Produktivität haben. Wie viel Zeit wir hinter dem Lenkrad verbringen, wenn wir zur Arbeit pendeln. Würde die genutzt, hätte das einen großen Einfluss auf die Wirtschaft.
Die Autoindustrie wird dekarbonisiert. Aber wäre es nicht noch viel wichtiger, insgesamt weniger Autos zu haben? Hitzinger: Mobilität braucht sicherlich auch neue Konzepte und Ansätze. In urbanen Bereichen, in den Stadtzentren, können wir nicht mehr mit der Anzahl von Autos umgehen. Die Mikromobilität wird zunehmen. Wenn man sich Daten ansieht, wie viele der Kurzstrecken mit Autos gefahren werden, nur ein, zwei Kilometer, dann ist das eigentlich nicht logisch nachvollziehbar. Das könnte man mit einem E-scooter erledigen. Künftig werden wir – zumindest in den Innenstädten – weniger Autos mit Einzelpersonen sehen. Im Moment werden 80 bis 90 Prozent der gefahrenen Kilometer von nur einer Person im Auto gefahren. Der Trend muss sich umkehren. Und dann wird es – hoffentlich – auch alternative attraktive Mobilitätskonzepte für Innenstädte geben. Interview: Stefan Küpper