Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Sie helfen in der Pandemie der Stadt – freiwillig
Seit dem Ausbruch des Coronavirus haben sich rund 150 Augsburger bei der Stadt gemeldet – weil sie sich engagieren wollen. Was sie zu diesem Schritt bewegt hat und in welchen Bereichen sie für das Gesundheitsamt im Einsatz sind
Eigentlich wäre sie jetzt gemeinsam mit ihrem Mann auf Weltreise. Doch anstatt am Strand sitzt Alexan dra Jilg in der Grundschule im Augsburger Stadtteil Kriegshaber. Dort unterstützt sie seit einigen Monaten das Team der Kontaktnachverfolgung. Die Grundschullehrerin, die im Augsburger Land arbeitet und in der Stadt wohnt, hatte sich per E-mail bei der Stadt Augsburg gemeldet. „Ich mache gerade ein Sabbatjahr. Normalerweise wäre ich mit meinem Mann unterwegs, alles war geplant, in einem Teilzeitmodell die Freizeit bereits angespart. Ich musste es nehmen“, erzählt die 35-Jährige. Corona hatte dem Paar einen Strich durch die Rechnung gemacht. Im Sommer konnten sie noch vier Wochen in Italien verbringen, doch dann sahen sie von weiteren Reisen lieber ab.
Während ihr Mann, der selbstständig ist, leichter an den normalen Alltag anknüpfen konnte, hatte Alexandra Jilg plötzlich viel Freizeit. Sie wollte etwas Sinnvolles tun und meldete sich bei der Stadt. „Während meines Studiums habe ich in einem Callcenter gearbeitet. Außerdem habe ich gern Kontakt mit Menschen“, brachte sie als Voraussetzungen mit. Im November wurde sie geschult und telefoniert seither mit den Kontaktpersonen von infizierten Augsburgern. „Dabei erfahre ich, wie der Kontakt genau ausgesehen hat, und kategorisiere die Person als eine Kontaktperson 1 oder 2“, erklärt sie. Je nachdem müsse Quarantäne angeordnet werden. Anfangs habe sie vier Schichten wöchentlich übernommen, die jeweils einen halben Tag dauerten, derzeit wären es zwei Schichten in der Woche.
Ihr ehrenamtliches Engagement mache ihr Spaß, weil es abwechslungsreich sei. Kein Fall gleiche dem anderen. Alexandra Jilg: „Man bekommt viele persönliche Schicksale mit. Menschen, die selbstständig sind und durch die Quarantäne nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen können, Menschen, die Angehörige pflegen und das dann auch nicht mehr leisten können.“Sie selber hatte auf den Sommer gehofft, damit sie vielleicht doch noch ein wenig verreisen könnten. „Doch da kommen uns jetzt die Mutationen dazwischen“, sagt sie. Im September gehe es für sie wieder zurück an die Schule.
***
Als der Allgemeinmediziner Dr. Wolfgang Ludwig Ende 2019 in den Ruhestand gegangen war und seine Praxis übergeben hatte, blieb ihm Zeit für Neues. Die Herausforderungen, die die Pandemie mit sich brachten, motivierten den 69-Jährigen, seine Hilfe anzubieten. „Ich wollte auch etwas beitragen“, sagt er und meldete sich bei der Stadt. Im Herbst fand ein erstes Treffen im Zeughaus statt, bei dem freiwillige Helfer über ihre Arbeitsfelder in der Kontaktnachverfolgung und der städtischen Info-hotline informiert wurden.
Dr. Ludwig half ab November zweimal wöchentlich bei der Hotline mit. Dabei gab es immer wieder Fragestellungen. So reagierten die Augsburger immer wieder auf neue Beschlüsse und erkundigten sich, wie sie sich im Alltag auswirken würden. Es gab Fragen zu Reisebeschränkungen, etwa wann man sich testen und wo man sich melden müsse. Als die Impfkampagne startete, hatte er viele Augsburger am Apparat, die über 80 Jahre alt waren. „Da haben einige ihren Frust abgeladen, weil sie beispielsweise kein Internet hatten. Wir haben sie beruhigt und ihnen eine Telefonnummer genannt, bei der sie sich anmelden konnten“, berichtet er.
Seit in Augsburg geimpft wird, erweiterte sich sein Engagement. Er bot seine Hilfe als Impfarzt an und war bereits einige Zeit im Einsatz. „Das ist eine schöne Aufgabe. Die Menschen sind in der Regel sehr glücklich, dort ihre Impfung zu erhalten.“Gerade der Umgang mit dem Impfstoff Astrazeneca sei „diffizil“. „Die Menschen sind verunsichert.“Als Mediziner habe er da viele Fragen zu beantworten. Der
behandelt er seine Patienten in seiner alten Wirkungsstätte, weil er seine Nachfolgerin vertritt. Langweilig wird es Dr. Ludwig nicht. „Ich nehme an, dass das Impfen bis September ein Thema sein wird.“Und auch sonst gebe es viel zu tun. Sieben Enkel halten ihn und seine Frau auf Trab. „Gerade durch Corona sind wir Großeltern sehr gefordert“, sagt er.
***
Heike Trilovszky meldete sich nicht selbst bei der Stadt – sie wurde angerufen. Die 59-Jährige war zwei Jahre zuvor aus dem Beruf ausgeschieden. Doch einen Ruhestand im „Schaukelstuhl“wollte sie nicht verbringen. Sie gibt Nachhilfe und engagiert sich als Sozialpatin. „Die Sprechstunden finden in Schulen oder öffentlichen Gebäuden statt. Aufgrund von Corona fielen diese Sprechstunden aus“, berichtet sie. Dann erhielt sie einen Anruf vom Freiwilligen-zentrum und wurde gefragt, ob sie die Stadt nicht bei der Kontaktnachverfolgung unterstütneue zen wolle. „Zu dieser Zeit hatte ich gerade einen Bericht darüber gesehen, dass die Gesundheitsämter die Kontakte nicht mehr nachverfolgen könnten, und dachte mir selber, warum ich da nicht helfe.“Die Anfrage habe genau gepasst.
Heike Trilovszky wurde eingeschult und kategorisiert seither die Kontakte von positiv auf das Virus getesteten Augsburgern. Ihr Ehrenamt empfindet sie als eine befriedigende, durchaus intellektuelle Herausforderung. Das Thema Corona sei komplex – oft würden sich Vorgaben ändern, in die It-systeme habe sie sich ebenfalls erst einarbeiten müssen. Die Gespräche mit den Kontaktpersonen seien vielfältig, nie langweilig und teils auch intensiv. „Es gibt Menschen, die sehr klar damit umgehen, andere sind in Panik und verängstigt. Andere Gesprächspartner können kaum Deutsch.“Die 59-Jährige kann mit den verschiedenen Typen am Telefon umgehen, sie recherchiert auch, um überhaupt erst an die Kontaktzeit personen zu kommen. „Manchmal gibt es nur einen Namen, aber keine Telefonnummer dazu. Da ist dann schon Detektivarbeit gefragt.“
Ihr ist es wichtig, dass die Menschen, die sich in Quarantäne begeben müssen, gut durch die Zeit kommen. Sie motiviert und spricht moralische Appelle aus, die Quarantänezeit auch einzuhalten. Sie geht davon aus, dass sie dieser Tätigkeit noch eine Weile nachgehen werde. „Mein zweiter Vertrag läuft im April aus. Aber ich vermute, dass es noch einen dritten Vertrag geben wird“, sagt sie.
***
Durch Corona sei eine Schieflage entstanden, findet die Augsburgerin Anja Neumaier. Während die einen Menschen viel zu viel zu tun hätten, könnten andere ihre Möglichkeiten gar nicht ausschöpfen. Im April 2020 schloss ihr Restaurant Färberei seine Pforten. Gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner habe sie es ohnehin schließen wollen – Corona sei ein Brandbeschleuniger gewesen. Sie arbeitete bei Moms Table – doch die Inhaber des veganen Restaurants mussten aufgrund der „anhaltenden Lockdown-situation“Insolvenz anmelden. Derzeit sei es schwierig, einen Job in der Gastronomie zu finden, sagt die 32-Jährige. „Durch die Färberei kenne ich viele Mitarbeiter der Stadt. Einer fragte mich, ob ich nicht bei der Corona-hotline mithelfen wolle“, berichtet sie. Anja Neumaier freute sich über die Möglichkeit, ihre Zeit sinnvoll nutzen zu können, bis sie einen neuen Job gefunden hat, und arbeitet nun ehrenamtlich bei der Hotline mit. „Ich finde das super. Ich habe gerne mit Menschen zu tun und bin einfühlsam“, sagt sie. Eigenschaften, die bei dieser Aufgabe von Vorteil sind.
Schließlich seien die Mitarbeiter der Hotline häufig die Personen, die als Erstes mit positiv getesteten Augsburgern sprächen. „Da ist oft sehr viel Angst im Spiel, die wir versuchen herauszunehmen.“Ein verantwortungsvoller Job, denn sie könne vermitteln, wie mit der Pandemie umgegangen werden soll, weiß sie. Dafür informiere sie sich akribisch genau. „Die Stadt hat viele Informationen in ihrem Intranet zusammengestellt, die auch ständig aktualisiert werden“, sagt sie. Vor Schichtbeginn liest sich Anja Neumaier jeweils Änderungen von Vorgaben durch, um auf dem neuesten Stand zu sein. „Ich will die Fragen der Anrufer korrekt beantworten. Wenn ich die Antwort nicht sofort parat habe, rufe ich lieber einmal zehn Minuten später zurück und recherchiere in der Zwischenzeit den Sachstand.“
***
Fritz Fleer war in seinem Arbeitsleben viel unterwegs. Als er im Februar 2020 in den Ruhestand gegangen war, meldete er sich im Freiwilligen-zentrum. „Ich habe mich für Nachbarschaftshilfe gemeldet und wollte älteren Leuten beim Einkaufen helfen. Früher hätte ich für so etwas keine Zeit gehabt“, sagt er. Im Herbst wurde er gefragt, ob er die Stadt bei der Kontaktnachverfolgung unterstützen wolle. Seither ist er Teil des Teams und hat ein gutes Gefühl, etwas für seine Mitmenschen tun zu können. 90 Prozent der Reaktionen am Telefon seien positiv. Aber natürlich gebe es auch einen Teil, die Corona infrage stellten.
Fleer kommt mit allen Reaktionen zurecht. Besonders gerne kümmere er sich um schwierige Fälle. Die Bandbreite der persönlichen Schicksale ist groß. „Eine ältere Dame war mit Corona infiziert. An Weihnachten hatte sie nach und nach die Enkelkinder besucht, die sie alle angesteckt hat. Das jüngste Enkelkind ist daran gestorben“, berichtet er. Solche tragischen Fälle kosteten Kraft. Nach einer Schicht, die jeweils fünf Stunden dauere, fühle sich der 65-Jährige teils richtig geschafft.
Der Augsburger will sich weiterhin ehrenamtlich engagieren. „Ein Staat ohne Ehrenamt ist ganz schön arm“, findet er. Helfende Hände würden vieles erträglicher machen. „Eine Pandemie zeigt gnadenlos Schwächen auf. Eine Gesellschaft kann daraus lernen.“