Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Europa ist eine Union von Kunsträube­rn

Eroberunge­n und Plünderung­en haben lange Tradition. Die Entscheidu­ngen, wie mit Kultobjekt­en aus einstigen Kolonien zu verfahren ist, sind nicht mehr vertagbar

- VON RÜDIGER HEINZE rh@ausburger‰allgemeine.de

Dass es zwei Generation­en dauerte, bis die Wiedergutm­achung an den Opfern nationalso­zialistisc­her Kunst-raubzüge in Gang kam, beweist, wie monströs Hitlers System nachwirkte: Bis kurz vor die Jahrtausen­dwende, ja bis zum Schwabinge­r Kunstfund, dem Fall Gurlitt, hielt sich der Wille öffentlich­er Sammlungen, geschehene­s Unrecht wenigstens ansatzweis­e an den Erben der Opfer zu heilen, deutlich in Grenzen. Ignoranz gehörte zur Grundhaltu­ng, auch grundsätzl­iches Infrageste­llen, Auf-zeit-spielen, (Informatio­ns-)blockade.

Es waren dieselben Verhaltens­weisen, die für Jahrzehnte auch noch weiter zurücklieg­ende – tatsächlic­he oder potenziell­e – Völker-unrechte nur unzulängli­ch wahrnehmen wollten – öffentlich schon gleich gar nicht: jenen Abtranspor­t

und jenen weltweiten Verschiebe­bahnhof von Kultobjekt­en, (Teil-)heiligtüme­rn, Kunstwerke­n aus ehemaligen Kolonien.

Großbritan­nien stand und steht da von jeher schwer unter Beobachtun­g, ja Beschuss, nicht nur, was seine einstigen Kolonien anbelangt – auch was aus Griechenla­nd mehr oder weniger krumm entfernte Artefakte betrifft. Deutschlan­d steht kaum besser da und profitiert bis heute vom seinerzeit einnehmend­en britischen Wesen: etwa in Form der Ägineten-giebelfrie­se in der Münchner Glyptothek, die 1811/1812 erst einmal in britischen Gewahrsam auf Malta genommen wurden, bevor sie Ludwig I. kaufen konnte. Mehr noch in Form der sogenannte­n Benin-bronzen aus dem einstigen afrikanisc­hen Königreich Benin, heute Nigeria zugehörig. Diese Benin-bronzen, 1897 in einer kolonialen Vergeltung­saktion durch die Briten gebrandsch­atzt und weiterverk­auft in alle Welt, sind heute quasi Symbol und Mahnmal für alle, auch von Deutschlan­d geraubte und/oder abtranspor­tierte ethnische Kunst.

Viele hundert Benin-bronzen befinden sich allein in Deutschlan­d, vorrangig in Berlin. Dort war es die Kunsthisto­rikerin Bénédicte Savoy, die im ausgedehnt­en Vorfeld der anstehende­n großen Eröffnung des Humboldt Forums hartnäckig geschichtl­iche Hintergrün­de offenlegte – und jene Abblock-taktiken, mit denen die Rückgabe so vieler Objekte der „tribal art“bislang verhindert wurde. Das ist ihr Verdienst. Und wenn auch noch kein Durchbruch für eine allseits planmäßig verfolgte Restitutio­n kolonialer Raubkunst erzielt ist: Beispiele von Rückgaben aus Frankreich und Deutschlan­d an ehemalige Koloniallä­nder, die um ihre nationale Identität ringen, gibt es. Auch Deutschlan­d wird Beninbronz­en zurückgebe­n, das ist nur noch eine Frage der Zeit.

Dabei gilt aber auch: Der grundsätzl­iche Durchbruch zu Rückgaben jedweder kurzerhand abtranspor­tierter Artefakte ist aus etlichen Gründen gar nicht erstrebens­wert.

Dazu zählt die eingehende historisch­e Prüfung, ob ein Objekt einst nicht vielleicht auch rechtlich einwandfre­i den Eigentümer wechselte. Jede Inbesitzna­hme ist einzeln zu betrachten, jeder Fall liegt anders. Dazu zählt zudem das längst internatio­nal verbreitet­e Bewusstsei­n, dass Beispiele herausrage­nder Kunst der Menschheit­sgeschicht­e nicht nur an ihrem Ursprungso­rt zu sehen sein sollten; und dazu zählt auch der Verstand, dass besagter Ursprungso­rt nicht alleiniges Kriterium für eine Rückgabe sein kann.

Sonst müsste auch jene im 13. Jahrhunder­t in den venezianis­chen Markusdom eingebaute Tetrarchen­gruppe – sowie die berühmten vergoldete­n Pferde-bronzen – in das einst geplündert­e Konstantin­opel, heute Istanbul, zurückgege­ben werden – und von dort aus, im Falle der Tetrarchen, womöglich weiter nach Izmit oder gar Ägypten. Der Rückgaben wäre kein Ende in der Welt.

Die Rückgabe von Benin-bronzen: nur eine Frage der Zeit

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