Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Notbremse des Bundes bedroht Click & Meet
Eben erst hatte der Freistaat Regeln gefunden, wonach die Bürger mit einem Schnelltest in vielen Orten wieder im Einzelhandel einkaufen gehen können. Die bundesweiten Pläne durchkreuzen jetzt diese kleine Öffnung
München Leicht kann man als Verbraucher den Überblick verlieren, welche Regeln im Handel gerade gelten, ob man nun in ein Kleidergeschäft gehen kann, in einen Schuhladen, in einen Baumarkt. Eben erst hatte der Freistaat Regeln aufgesetzt, welche Öffnungen angesichts der Corona-pandemie möglich sind. Dabei nutze man vor allem die Testmöglichkeiten, die vermehrt zur Verfügung stehen. Dieses zarte bayerische Öffnungs-pflänzchen bedroht jetzt die geplante Bundesnotbremse, zu der das Bundeskabinett am Dienstag Eckpunkte vorgelegt hatte. In der Folge könnten viele Einzelhandelsgeschäfte wieder komplett dichtmachen müssen.
Derzeit gilt in Bayern folgende Regelung, erklärt Wolfgang Puff, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Bayern: Bis zu einem Inzidenzwert von 50 Corona-infektionen in einer Woche können in einem Kreis und einer Stadt alle Geschäfte öffnen. Bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 kommt man mit Termin und ohne Test in die Läden (Click & Meet). Bei einer Inzidenz zwischen 100 und 200 ist neben einem Termin auch ein negativer Schnelltest oder ein negativer Selbsttest nötig, der dann aber im Laden ausgeführt werden muss (Click & Meet mit Test). Über 200 schließlich darf man nur vorbestellte Ware abholen (Click & Collect). Supermärkte und andere Läden des täglichen Bedarfs bleiben offen. Dieses Konzept des Freistaats gilt erst seit dieser Woche, nämlich seit Montag. Die Händler sammeln gerade Erfahrungen.
Der am Dienstag präsentierte Entwurf für die Bundesnotbremse könnte das Konzept aber schon wieder nichtig machen. „Ab einer Inzidenz von 100 müssen dann laut Entwurf alle Läden schließen, dann geht nichts mehr – es sei denn, es sind Ausnahmen gemacht worden“, sagt Puff. Offen bleiben könnten dem Entwurf des Bundes zufolge dann trotzdem der LebensmittelGetränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, der Zeitungsverkauf, Buchhandlungen, Blumenläden, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte.
Zwar muss der Entwurf noch Bundestag und wohl auch Bundesrat passieren. Tritt er aber in Kraft, wären Schließungen vieler Geschäfte die Folge, die derzeit Click & Meet mit Tests anbieten können. „In Bayern liegen gerade noch drei von 96 Landkreisen und Städten unter einer Inzidenz von 100, dort wäre dann im Handel fast alles zu“, warnt Puff. „Das kann man beim besten Willen nicht bringen“, kritisiert er. „Der Einzelhandel ist kein Infektionstreiber“, betont er. Das hätten das Robert-koch-institut oder die TU München bestätigt. Der Beitrag des Einzelhandels zum R-wert mit Ffp2-maske liege bei 0,01. Zum Vergleich: Ein R-wert von 1 bedeutet, dass ein Infizierter eine weitere Person ansteckt.
Dass der Entwurf des Bundeslockdowns strikter ist als das bayerische Regelwerk, bestätigt das Wirtschaftsministerium in München: „Das Infektionsschutzgesetz des Bundes steht über bayerischem
Landesrecht, weshalb die aktuellen bayerischen Regelungen oberhalb der Inzidenz von 100 weitgehend nicht mehr gültig wären.“Für Einzelhändler wie Kleider- oder Schuhgeschäfte sähe die geplante Neufassung des Infektionsschutzgesetzes ab einer Sieben-tage-inzidenz von über 100 kein Click & Meet vor, bestätigt das Wirtschaftsministerium. „Ob Click & Collect noch möglich wäre, lässt der Gesetzesentwurf letztlich offen.“
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger kritisiert die Pläne des Bundes für den Handel deshalb scharf: „Die Bundesnotbremse ist ein Fehler, weil Kommunen und Länder zu Zaungästen degradiert werden und intelligente Perspektiven fehlen. Das zeigt sich insbesondere beim Einzelhandel“, sagte Aiwanger unserer Redaktion. „Meine Devise ist, alle vorhandenen Optionen zu nutzen, um das wirtschaftliche Leben bei größtmöglichem Infektionsschutz aufrechtzuerhalten. Deshalb haben wir den bayerischen Weg gewählt, das Einkaufen im Laden vor Ort auch bei höheren Inzidenzen mit Negativtests zu ermöglichen“, führt er aus. „Mit der Kombination aus Negativtest, Terminanmeldung, begrenzter Kundenanzahl im Laden und dem Tragen eihandel, ner Ffp2-maske ist eine Infektion wirklich sehr, sehr unwahrscheinlich“, sagt Aiwanger. „Ein mögliches Verbot von Click & Meet und Click & Collect ist aus meiner Sicht in keiner Weise verhältnismäßig und ein Schlag ins Gesicht für die vielen Einzelhändlerinnen und Einzelhändler.“
Dies kritisiert auch die Industrieund Handelskammer Schwaben: „Der faktische Lockdown für den stationären Einzelhandel außerhalb der essenziellen Sortimente wird in unseren Innenstädten tiefe Spuren hinterlassen“, warnt Ihk-handelsexpertin Elke Hehl. Fast 30 000 Einzelhandelsunternehmen in Schwaben geben mehr als 57000 Menschen Arbeit. Die Möglichkeit, bei einer Inzidenz zwischen 100 und 200 mit einem negativen Testergebnis und einem Termin einkaufen zu gehen, sei ein Hoffnungsschimmer für viele Händler gewesen. „Da wir in allen Städten und Landkreisen in Schwaben bei einer Inzidenz von über 100 liegen, bedeuten die Beschlüsse ein faktisches Einkaufsverbot in der Region. Selbst das kontaktlose Click & Collect ist im Gesetzentwurf nicht enthalten“, kritisiert sie. Der stationäre Handel würde damit gegenüber dem Onlinehandel weiter an Boden verlieren.