Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Mit der Geduld am Ende
Beim ersten Lockdown war einiges anders. Viele Menschen glaubten, man müsse nur eine Zeit lang die auferlegten Maßnahmen durchhalten, bis die Pandemie eben wieder verschwindet. Man ertrug die neuen Umstände mit einer gewissen Geduld, beklatschte plötzlich Berufsgruppen, für die sich die Öffentlichkeit bis dahin nicht sonderlich interessiert hatte. Bewohner des Schwabencenters etwa applaudierten vorübergehend jeden Abend um 21 Uhr von ihren Fenstern und Balkonen den Medizinern, Pflegern, dem Personal an den Supermarktkassen. Plötzlich herrschte mehr gefühlte Solidarität. Manche genossen auch die Reduzierung ihres Lebens auf das Wesentliche. Das hat was Heilsames, tut der Gesellschaft mal ganz gut, wurde gerne gesagt. Und ein Jahr später? Das Virus ist mutiert, die Infektionszahlen sind wieder besorgniserregend hoch, die Arbeit der Mediziner, Pfleger und Co. wird mehr geschätzt denn je, aber es wird nicht mehr geklatscht, dafür auf die Überschaubarkeit des eingeschränkten Lebens längst gepfiffen. Ärzte und Pfleger hatten kaum Zeit, sich zu erholen, Unternehmer und Angestellte mancher Branchen bangen noch mehr um ihre Existenz. Die einzige Hoffnung ist die Impfung möglichst vieler Menschen – aber das dauert bekanntlich noch. Viele sind mit ihrer Geduld und mit ihren Nerven am Ende. Es wird Zeit, dass wenigstens der Sommer kommt.