Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Das lässt einen verzweifeln“
Der Augsburger Pathologe Bruno Märkl hat viele Corona-tote obduziert. Warum ihm deswegen Hass von „Querdenkern“entgegenschlägt, wie er mit Nazi-vergleichen umgeht und was das Virus mit der Lunge genau anstellt
Herr Professor Märkl, Sie sind Direktor des Instituts für Pathologie am Uniklinikum in Augsburg. Seit Monaten obduzieren Sie verstorbene Covidpatienten. Wie viele sind es bisher?
Prof. Dr. Bruno Märkl: Aktuell haben wir 135 postmortale Untersuchungen gemacht. Nicht alle von ihnen sind vollständig obduziert, weil wir nicht immer das Einverständnis bekommen haben. Tatsächlich ist etwa die Hälfte voll obduziert, das heißt, es werden alle Körperhöhlen eröffnet. Bei der anderen Hälfte werden Gewebeentnahmen gemacht.
Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis?
Märkl: Am auffälligsten sind die schweren Veränderungen in der Lunge. Wir sehen dort immer einen diffusen Schaden, der sich dadurch auszeichnet, dass die Lungenbläschen von eiweißreichen Flüssigkeiten ausgefüllt werden, sodass der Gasaustausch stark behindert wird. Andere Organe sind zwar oft vorgeschädigt, weil es sich eben oft um sehr alte Menschen handelt. Aber dieses akute Bild, das wir sehen, ist im Wesentlichen auf die Lunge beschränkt.
Das heißt, die Vorerkrankungen alleine hätten nicht zum Tod geführt; die Menschen sterben infolge der massiven Schäden in der Lunge?
Märkl: Die Vorerkrankungen hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann zum Tode geführt – aber nicht in sehr naher Zeit. Jeder 80-Jährige hat relevante Erkrankungen, viele leiden etwa unter Bluthochdruck oder Diabetes. Trotzdem sterben sie nicht in den nächsten zwei Monaten. Eine 80-jährige Frau hat durchaus noch eine Lebenserwartung von sieben, acht Jahren.
Sie haben bereits in einem früheren Interview mit unserer Redaktion deutlich gemacht, dass die meisten Menschen an und nicht mit Corona sterben. Seither bekommen Sie viele Hassnachrichten. Man hat Sie sogar als Nazi-arzt beschimpft. Wie reagieren Sie da?
Märkl: Wenn mich jemand indirekt auf die Stufe von Josef Mengele stellt, ignoriere ich das oder prüfe, ob ich dagegen rechtlich vorgehen kann. Aber die Menschen, die so etwas schreiben, sind in ihren Formulierungen sehr geschickt, sodass das schwer angreifbar ist. Wenn ich merke, dass ich mit Leuten konfrontiert bin, die im Prinzip von vornherein alles infrage stellen, was die Wissenschaft postuliert, dann gebe ich ein kurzes Statement ab, das meine Position darlegt, lasse mich aber auf sonst nichts mehr ein. Diese Menschen wechseln permanent die Argumentationsebenen und sind nur daran interessiert, jemanden zu diskreditieren. Mir wurde auch fehlende Seriosität vorgeworfen; manstellten in den Raum, dass ich für meine Aussagen Geld bekäme oder Vorteile durch das Wissenschaftsministerium erhalten würde.
Warum gibt es bei einigen Menschen derzeit so große Zweifel an der Wissenschaft?
Märkl: Dieses Phänomen ist nicht neu. Denken Sie an die Umweltdebatte. Es gibt kaum seriöse Wissenschaftler, die den Klimawandel oder dessen Ursachen infrage stellen. Trotzdem ist es so, dass das, was bei vielen Menschen nicht in die eigene Vorstellungswelt passt, in Zweifel gezogen wird – und zwar nicht ergebnisoffen. Man kann ja zweifeln, das ist eine vernünftige Herangehensweise an die Dinge. Aber man muss sich halt überzeugen lassen, wenn man eine falsche These verfolgt und sich auf einem Irrweg befindet. Und das sehe ich nicht.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Bilder von Querdenker-demos sehen, wo die Teilnehmer die Pandemie als erfunden bezeichnen?
Märkl: Verzweiflung ist vielleicht ein gutes Wort dafür. Weil es auch mich emotional nicht unberührt lässt. Eben weil ich die Situation aus dem Sektionssaal kenne. Nur weil ich Pathologe bin, braucht man nicht meidass ich ein gefühlskalter Mensch bin. Wir haben hier schlimme Dinge gesehen. Ältere Ehepaare in bestem Allgemeinzustand, die im Abstand von zwei Wochen verstorben sind. Diese Menschen waren vielleicht 50 Jahre verheiratet und konnten ihre letzten vier Wochen nicht mehr miteinander verbringen und sind einen einsamen Tod gestorben. Wenn man dann Menschen sieht, die das überhaupt nicht einsehen wollen, dann lässt einen das verzweifeln, weil man sie auch nicht fassen kann. Man findet keinen Zugang.
Zurück zu Ihren Obduktionen. Als Sie angefangen haben, gab es da Überraschungen?
Märkl: Die ersten zwei, drei Obduktionen waren tatsächlich sehr überraschend. Wir hatten nicht mit dieser Schwere der Lungenveränderungen gerechnet. Wir wussten ja überhaupt nicht, was auf uns zukommt; es war eine neue Erkrankung, es gab keine Daten, und wir waren unter den Ersten, die angefangen haben, verstorbene Covid-patienten zu obduzieren.
Wie sieht die Lunge eines verstorbenen Covid-patienten aus?
Märkl: Die Lunge ist insgesamt verche festigt. Sie ist nicht mehr so schwammartig, wie sie das normalerweise wäre. Je länger die Krankheit dauert, umso stärker wird dieser Narbenprozess. Am Ende hat die Lunge dann eine Konsistenz, wie man sie eher von einer Leber kennt.
Und deswegen ersticken die Menschen?
Märkl: Letztendlich sterben sie an diesem respiratorischen Versagen. Und ja, das ist ein Ersticken. Aber ich mag das Wort nicht so besonders, es suggeriert, die Menschen würden einen Tod erleben, als würden sie ertrinken oder stranguliert werden. So ist es aber nicht. Es entsteht sehr viel Kohlendioxid im Blut, das führt dazu, dass die Menschen in eine Art Narkose geraten, wenn sie nicht ohnehin in ein künstliches Koma versetzt wurden. Es ist also nicht dieses Ringen um Luft. Aber physiologisch ist es tatsächlich so, dass nicht mehr ausreichend Sauerstoff transportiert wird und umgekehrt das Kohlendioxid im Blut nicht mehr wegtransportiert werden kann. Also ja, es ist quasi ein Ersticken.
Gibt es auch Schäden an anderen Organen?
Märkl: Die Veränderungen, die wir in den anderen Organen sehen, sind sehr subtil. Sie sind auch nicht unbenen, dingt mit dem normalen Mikroskop erkennbar, da muss man dann andere Methoden wählen. Und wahrscheinlich sind diese Veränderungen nicht direkt durch den Kontakt des Virus mit dem Organ verursacht, sondern Folgen des allgemeinen Entzündungsgeschehens, das im Körper stattfindet.
Gibt es einen Unterschied, ob die Menschen mit dem ursprünglichen Virus infiziert waren oder mit einer der neuen Varianten?
Märkl: Wir haben hier in Augsburg noch nicht allzu viele Menschen obduziert, die sich mit einer der Varianten infiziert hatten. Es deutet sich aber bereits an, dass die Schäden identisch sind.
Sie obduzieren relativ viel am Uniklinikum. Wie kommt das?
Märkl: Wir sind überzeugt, dass wir da viel lernen können. Wir haben hier in Augsburg auch eine sehr gute Kommunikation mit den klinisch tätigen Kollegen, und die sind entscheidend für diese hohen Sektionsraten. Denn es muss ja der Kliniker, der den Menschen zu Lebzeiten behandelt hat, mit den Angehörigen sprechen und fragen, ob man eine Obduktion durchführen kann. Man muss die Angehörigen auch aufklären. Die meisten sagen zuerst reflektorisch Nein. Aber wenn man den Menschen erklärt, warum wir gerne eine Obduktion durchführen wollen, dann erreicht man viel öfter dieses Einverständnis.
Wenn Sie auf die nun steigenden Zahlen blicken, wie geht es Ihnen da? Märkl: Ich beobachte die Lage mit großer Sorge. In verschiedener Hinsicht. Ich persönlich bin als Klinikmitarbeiter geimpft, aber man hat ja auch Angehörige, die diesen Vorteil noch nicht haben. Man hat auch Sorge, was mit dieser Gesellschaft weiterhin passieren wird. Aber man sorgt sich auch um sich selbst, das gebe ich offen zu. Wir sind seit einem Jahr damit beschäftigt, das alles abzuarbeiten, und haben deswegen aber nicht mehr Personal einstellen können. Die Mannschaft ist müde.
Was müsste also passieren?
Märkl: Ich äußere mich nicht so gerne zu Dingen, die nicht in meinem Fachgebiet liegen. Aber wenn Sie mich als Privatperson fragen, dann würde ich sagen: Wir kommen um diesen schärferen Lockdown nicht herum.
Prof. Dr. Bruno Märkl ist Direktor des Instituts für Pathologie am Uniklinikum und Inhaber des Lehr stuhls für Pathologie an der Medi zinischen Fakultät der Uni Augsburg.