Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Das lässt einen verzweifel­n“

Der Augsburger Pathologe Bruno Märkl hat viele Corona-tote obduziert. Warum ihm deswegen Hass von „Querdenker­n“entgegensc­hlägt, wie er mit Nazi-vergleiche­n umgeht und was das Virus mit der Lunge genau anstellt

- Interview: Stephanie Sartor

Herr Professor Märkl, Sie sind Direktor des Instituts für Pathologie am Unikliniku­m in Augsburg. Seit Monaten obduzieren Sie verstorben­e Covidpatie­nten. Wie viele sind es bisher?

Prof. Dr. Bruno Märkl: Aktuell haben wir 135 postmortal­e Untersuchu­ngen gemacht. Nicht alle von ihnen sind vollständi­g obduziert, weil wir nicht immer das Einverstän­dnis bekommen haben. Tatsächlic­h ist etwa die Hälfte voll obduziert, das heißt, es werden alle Körperhöhl­en eröffnet. Bei der anderen Hälfte werden Gewebeentn­ahmen gemacht.

Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis?

Märkl: Am auffälligs­ten sind die schweren Veränderun­gen in der Lunge. Wir sehen dort immer einen diffusen Schaden, der sich dadurch auszeichne­t, dass die Lungenbläs­chen von eiweißreic­hen Flüssigkei­ten ausgefüllt werden, sodass der Gasaustaus­ch stark behindert wird. Andere Organe sind zwar oft vorgeschäd­igt, weil es sich eben oft um sehr alte Menschen handelt. Aber dieses akute Bild, das wir sehen, ist im Wesentlich­en auf die Lunge beschränkt.

Das heißt, die Vorerkrank­ungen alleine hätten nicht zum Tod geführt; die Menschen sterben infolge der massiven Schäden in der Lunge?

Märkl: Die Vorerkrank­ungen hätten mit hoher Wahrschein­lichkeit irgendwann zum Tode geführt – aber nicht in sehr naher Zeit. Jeder 80-Jährige hat relevante Erkrankung­en, viele leiden etwa unter Bluthochdr­uck oder Diabetes. Trotzdem sterben sie nicht in den nächsten zwei Monaten. Eine 80-jährige Frau hat durchaus noch eine Lebenserwa­rtung von sieben, acht Jahren.

Sie haben bereits in einem früheren Interview mit unserer Redaktion deutlich gemacht, dass die meisten Menschen an und nicht mit Corona sterben. Seither bekommen Sie viele Hassnachri­chten. Man hat Sie sogar als Nazi-arzt beschimpft. Wie reagieren Sie da?

Märkl: Wenn mich jemand indirekt auf die Stufe von Josef Mengele stellt, ignoriere ich das oder prüfe, ob ich dagegen rechtlich vorgehen kann. Aber die Menschen, die so etwas schreiben, sind in ihren Formulieru­ngen sehr geschickt, sodass das schwer angreifbar ist. Wenn ich merke, dass ich mit Leuten konfrontie­rt bin, die im Prinzip von vornherein alles infrage stellen, was die Wissenscha­ft postuliert, dann gebe ich ein kurzes Statement ab, das meine Position darlegt, lasse mich aber auf sonst nichts mehr ein. Diese Menschen wechseln permanent die Argumentat­ionsebenen und sind nur daran interessie­rt, jemanden zu diskrediti­eren. Mir wurde auch fehlende Seriosität vorgeworfe­n; manstellte­n in den Raum, dass ich für meine Aussagen Geld bekäme oder Vorteile durch das Wissenscha­ftsministe­rium erhalten würde.

Warum gibt es bei einigen Menschen derzeit so große Zweifel an der Wissenscha­ft?

Märkl: Dieses Phänomen ist nicht neu. Denken Sie an die Umweltdeba­tte. Es gibt kaum seriöse Wissenscha­ftler, die den Klimawande­l oder dessen Ursachen infrage stellen. Trotzdem ist es so, dass das, was bei vielen Menschen nicht in die eigene Vorstellun­gswelt passt, in Zweifel gezogen wird – und zwar nicht ergebnisof­fen. Man kann ja zweifeln, das ist eine vernünftig­e Herangehen­sweise an die Dinge. Aber man muss sich halt überzeugen lassen, wenn man eine falsche These verfolgt und sich auf einem Irrweg befindet. Und das sehe ich nicht.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Bilder von Querdenker-demos sehen, wo die Teilnehmer die Pandemie als erfunden bezeichnen?

Märkl: Verzweiflu­ng ist vielleicht ein gutes Wort dafür. Weil es auch mich emotional nicht unberührt lässt. Eben weil ich die Situation aus dem Sektionssa­al kenne. Nur weil ich Pathologe bin, braucht man nicht meidass ich ein gefühlskal­ter Mensch bin. Wir haben hier schlimme Dinge gesehen. Ältere Ehepaare in bestem Allgemeinz­ustand, die im Abstand von zwei Wochen verstorben sind. Diese Menschen waren vielleicht 50 Jahre verheirate­t und konnten ihre letzten vier Wochen nicht mehr miteinande­r verbringen und sind einen einsamen Tod gestorben. Wenn man dann Menschen sieht, die das überhaupt nicht einsehen wollen, dann lässt einen das verzweifel­n, weil man sie auch nicht fassen kann. Man findet keinen Zugang.

Zurück zu Ihren Obduktione­n. Als Sie angefangen haben, gab es da Überraschu­ngen?

Märkl: Die ersten zwei, drei Obduktione­n waren tatsächlic­h sehr überrasche­nd. Wir hatten nicht mit dieser Schwere der Lungenverä­nderungen gerechnet. Wir wussten ja überhaupt nicht, was auf uns zukommt; es war eine neue Erkrankung, es gab keine Daten, und wir waren unter den Ersten, die angefangen haben, verstorben­e Covid-patienten zu obduzieren.

Wie sieht die Lunge eines verstorben­en Covid-patienten aus?

Märkl: Die Lunge ist insgesamt verche festigt. Sie ist nicht mehr so schwammart­ig, wie sie das normalerwe­ise wäre. Je länger die Krankheit dauert, umso stärker wird dieser Narbenproz­ess. Am Ende hat die Lunge dann eine Konsistenz, wie man sie eher von einer Leber kennt.

Und deswegen ersticken die Menschen?

Märkl: Letztendli­ch sterben sie an diesem respirator­ischen Versagen. Und ja, das ist ein Ersticken. Aber ich mag das Wort nicht so besonders, es suggeriert, die Menschen würden einen Tod erleben, als würden sie ertrinken oder strangulie­rt werden. So ist es aber nicht. Es entsteht sehr viel Kohlendiox­id im Blut, das führt dazu, dass die Menschen in eine Art Narkose geraten, wenn sie nicht ohnehin in ein künstliche­s Koma versetzt wurden. Es ist also nicht dieses Ringen um Luft. Aber physiologi­sch ist es tatsächlic­h so, dass nicht mehr ausreichen­d Sauerstoff transporti­ert wird und umgekehrt das Kohlendiox­id im Blut nicht mehr wegtranspo­rtiert werden kann. Also ja, es ist quasi ein Ersticken.

Gibt es auch Schäden an anderen Organen?

Märkl: Die Veränderun­gen, die wir in den anderen Organen sehen, sind sehr subtil. Sie sind auch nicht unbenen, dingt mit dem normalen Mikroskop erkennbar, da muss man dann andere Methoden wählen. Und wahrschein­lich sind diese Veränderun­gen nicht direkt durch den Kontakt des Virus mit dem Organ verursacht, sondern Folgen des allgemeine­n Entzündung­sgeschehen­s, das im Körper stattfinde­t.

Gibt es einen Unterschie­d, ob die Menschen mit dem ursprüngli­chen Virus infiziert waren oder mit einer der neuen Varianten?

Märkl: Wir haben hier in Augsburg noch nicht allzu viele Menschen obduziert, die sich mit einer der Varianten infiziert hatten. Es deutet sich aber bereits an, dass die Schäden identisch sind.

Sie obduzieren relativ viel am Unikliniku­m. Wie kommt das?

Märkl: Wir sind überzeugt, dass wir da viel lernen können. Wir haben hier in Augsburg auch eine sehr gute Kommunikat­ion mit den klinisch tätigen Kollegen, und die sind entscheide­nd für diese hohen Sektionsra­ten. Denn es muss ja der Kliniker, der den Menschen zu Lebzeiten behandelt hat, mit den Angehörige­n sprechen und fragen, ob man eine Obduktion durchführe­n kann. Man muss die Angehörige­n auch aufklären. Die meisten sagen zuerst reflektori­sch Nein. Aber wenn man den Menschen erklärt, warum wir gerne eine Obduktion durchführe­n wollen, dann erreicht man viel öfter dieses Einverstän­dnis.

Wenn Sie auf die nun steigenden Zahlen blicken, wie geht es Ihnen da? Märkl: Ich beobachte die Lage mit großer Sorge. In verschiede­ner Hinsicht. Ich persönlich bin als Klinikmita­rbeiter geimpft, aber man hat ja auch Angehörige, die diesen Vorteil noch nicht haben. Man hat auch Sorge, was mit dieser Gesellscha­ft weiterhin passieren wird. Aber man sorgt sich auch um sich selbst, das gebe ich offen zu. Wir sind seit einem Jahr damit beschäftig­t, das alles abzuarbeit­en, und haben deswegen aber nicht mehr Personal einstellen können. Die Mannschaft ist müde.

Was müsste also passieren?

Märkl: Ich äußere mich nicht so gerne zu Dingen, die nicht in meinem Fachgebiet liegen. Aber wenn Sie mich als Privatpers­on fragen, dann würde ich sagen: Wir kommen um diesen schärferen Lockdown nicht herum.

Prof. Dr. Bruno Märkl ist Direktor des Instituts für Pathologie am Unikliniku­m und Inhaber des Lehr‰ stuhls für Pathologie an der Medi‰ zinischen Fakultät der Uni Augsburg.

 ?? Foto: Universitä­tsklinikum Augsburg ?? Der Pathologe Professor Dr. Bruno Märkl beschäftig­t sich seit Monaten mit den Lungenverä­nderungen von verstorben­en Covid‰ 19‰Patienten.
Foto: Universitä­tsklinikum Augsburg Der Pathologe Professor Dr. Bruno Märkl beschäftig­t sich seit Monaten mit den Lungenverä­nderungen von verstorben­en Covid‰ 19‰Patienten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany