Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Tod gehört in die Mitte der Gesellscha­ft

„Leben im Sterben“– aktueller könnte das Motto der ökumenisch­en „Woche für das Leben“nicht sein. Als Alternativ­e zum assistiert­en Suizid sehen die Kirchen eine gute Begleitung bis zum letzten Atemzug

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Deutlicher denn je habe die Corona-pandemie den Menschen die Verletzlic­hkeit und Schutzbedü­rftigkeit des Lebens vor Augen geführt. Mit diesen Worten stimmte der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), Landesbisc­hof Heinrich Bedfordstr­ohm, bei der Eröffnungs­feier am Samstag im Augsburger Dom auf die ökumenisch­e „Woche für das Leben“ein. Er sagte: „Zum Schutz vor Ansteckung wurde ausgerechn­et soziale Distanz gefordert, obwohl wir doch von gegenseiti­ger Zuwendung und liebevolle­r Berührung bis zum letzten Atemzug leben.“Er forderte deshalb: „Die Begleitung Schwerkran­ker und Sterbender gehört in die Mitte der Gesellscha­ft. Wir alle bilden den Mantel der Fürsorge um sie.“

Mehr als 100 000 Ehrenamtli­che – nach den Worten der Münchner Palliativm­edizinerin Claudia Bausewein die größte Bürgerbewe­gung in Deutschlan­d – leisten Hospiz- und

Palliativb­etreuung. Ihr Engagement in Alten- und Pflegeheim­en sei während des Lockdowns „vollkommen unterschät­zt“worden, betonte die Professori­n bei der anschließe­nden Diskussion­srunde. Das Sterben sei „der Brennpunkt für das Leben“. Wesentlich­es komme in dieser Phase in den Blick, und schmerzlic­he Fragen stellten sich: Warum ich? Warum jetzt? Wo ist Gott dabei?

„Niemand sollte allein sterben“, meinte auch Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek. In dieser Lage Hoffnung spenden und Trost ausspreche­n, könne nicht hoch genug geschätzt werden. Der Csupolitik­er versprach, für bessere Arbeitsbed­ingungen in der Pflege zu sorgen. „Für Hospize und Palliativs­tationen ist jeder Euro gut investiert­es Geld.“

Der Vorsitzend­e der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz, der Limburger Oberhirte Georg Bätzing, vollzog in seiner Predigt im ökumenisch­en Gottesdien­st die Ängste und Sorgen der Menschen nach, deren Leben sich dem Ende zuneigt. Die meisten fürchten sich davor, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Gute, ganzheitli­che Begleitung sei dann umso wichtiger. „Sich in der Gottes Hand geborgen zu wissen, auf ein Leben nach dem Tod hoffen zu können, Vergebung zu erfahren und Gemeinscha­ft – das kann Frieden und Gelassenhe­it im Sterben vermitteln“, sagte Bätzing. Allerdings befürchtet er, dass das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts, es müsse ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben geben, Druck auf alte und kranke Menschen ausüben werde. Bätzing stellte klar: „Seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, entspricht nicht dem christlich­en Menschenbi­ld.“Wer unheilbar krank ist, verdiene die bestmöglic­he Fürsorge und Pflege.

Pandemiebe­dingt war der Augsburger Dom bei der Feier nur locker besetzt. Vor allem Engagierte aus Pflege und Hospizarbe­it nahmen teil. Der gastgebend­e Bischof Bertram

Meier betonte: „Im Glauben wissen wir: Das Leben endet nicht im Tod.“Die von der Fernsehjou­rnalistin Ursula Heller moderierte Debatte drehte sich danach dann vor allem um den eigenen Wunsch, in einer leidvollen Situation sein Leben zu beenden. Der Augsburger Weihbischo­f und Ethikratsm­itglied Anton Losinger hörte daraus weniger einen frei bestimmten Suizidvors­atz als vielmehr einen Hilferuf an die Gesellscha­ft in psychische­r Not.

Der Präsident des Weltärzteb­undes, Frank Ulrich Montgomery, wird zwar das Urteil des höchsten Gerichts, das geradezu ein Recht auf Erfüllung des Sterbewuns­ches formuliert, in der Berufsordn­ung berücksich­tigen, zugleich beteuerte er aber: „Beihilfe zur Selbsttötu­ng kann nicht Aufgabe von Ärzten sein.“An den Kliniken sieht Montgomery „eine neue Kultur“aufziehen. Gefragt werde nicht in erster Linie, was medizinisc­h noch alles getan werden kann, sondern wie intensiv der Patient die Behandlung selbst wünscht.

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Symbolfoto: Lienert Auf der Eröffnungs­feier der „Woche für das Leben“waren sich die Gäste einig: Wer unheilbar krank ist, verdiene die bestmöglic­he Fürsorge und Pflege.

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