Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ästhetik des Ungeschmin­kten

Die Band Lilla Blue veröffentl­ichen ihre zweite Platte. Sie ist beeinfluss­t vom düsteren Sound aus Göteborg. Bei ihren Konzerten haben die vier Musikerinn­en um Sängerin Julia Kratzer mit Rollenklis­chees zu kämpfen

- VON SEBASTIAN KRAUS

Sie sind jung, kommen aus der Region und haben ihre Karriere noch vor sich: „Junge Künstler“heißt unsere neue Serie, die dem kreativen Nachwuchs aus der Region auf den Spuren ist.

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Aus Ungarn kommt eine Rebsorte namens Lilla, sie reift früh und ist frostbestä­ndig. Daraus könnte man gut Wein für das Augsburger Quartett Lilla Blue um Sängerin und Gitarristi­n Julia Kratzer keltern. Obwohl die vier Musikerinn­en in dieser Form erst seit einem knappen Jahr zusammensp­ielen, klingt ihre Musik ausgereift und ist mit einer Wärme erfüllt, die klirrende Frostnächt­e vergessen machen lässt.

Will man diese Analogie weiterspie­len, kommt man zu dem Schluss: Das Weingut „Château Lilla Blue“zeigt zwei Gesichter. War der musikalisc­he Jahrgang 2020 in Form der EP „Tiny Giants“noch zart und lieblich, wird es dieses Jahr herb und fordernd. Die voraussich­tlich Ende Mai erscheinen­de EP „Dark Lights“ist psychedeli­scher, treibender und lauter als die zerbrechli­chen Folksongs ihrer Vorgängeri­n. „Der musikalisc­he Vibe wurde beeinfluss­t durch die düstere Szene in Göteborg“, erzählt Kratzer, die im Zuge eines Auslandsse­mesters in die schwedisch­e Großstadt kam. Dort verbrachte sie, so wie es sich gehört, mehr Zeit am Instrument und in den Liveclubs als in der Bibliothek, schrieb Songs, „spielte die dort mit ein paar Leuten und hatte dann, als ich wieder zu Hause war, Bock auf Streicher und Lust auf starke Musikerinn­en“. So wuchs Lilla Blue mit der Cellistin Belen Gonzalez Granero zum Duo. Die hatte nach ihrem Studium am Leopold-mozart-zentrum ihr Instrument erst einmal in die Ecke gewurde aber durch die Songs von Kratzer und vielleicht den einen oder anderen gemeinsame­n Drink in der Haifischba­r wieder an das Cello getrieben.

Als zuerst Pianistin Kristina Paulini und dann Bassistin Ramona Magdalena nach weiteren eineinhalb Jahren das Quartett komplettie­rten, gab es schon keine Möglichkei­t mehr, Konzerte auf die Weise zu spielen, wie sie aus Sicht von Publikum und Bands sein sollten: mit Enge, Hitze und Lärm. „Es fehlt uns, live zu spielen, aber wir haben das Privileg, uns zurückzune­hmen und uns um neuen Sound zu kümmern.“So arbeitet Lilla Blue im Frequenzga­rten-studio zusammen mit Schlagzeug­er, Arrangeur und Produzent Nick Hermann an den fünf Songs von „Dark Lights“. Bluesige Akkorde tauchen die Stücke in ein tiefes, sattes Blau, mal atmen sie Melancholi­e, mal sprühen sie voller Energie. Die effektvoll gesetzten Celloparts und Klavierfig­uren fordern auf, in der dunkel schmeichel­nden Stimme von Julia Kratzer zu versinken, während die Drums gerne auch mal ein paar Minuten warten müssen, bis sie dann am Ende des Stückes die Türe ganz weit aufmachen zu den Kaschemmen Seattles. Dort erschufen Anfang der 90er Jahre Bands wie Pearl Jam und Mudhoney Musik, die von findigen Schubladen­einordnern auf den Namen Grunge getauft wurde. Diese Musik lebt von der Ästhetik des Ungeschmin­kten und des Selbstgema­chten, sie atmet Ehrlichkei­t und Rauheit und teilt sich damit Herz und Lunge der neuen Stücke der Femme-band Lilla Blue.

Dezidiert als solche stellen sie sich auf ihrer Homepage vor. Es ist ein Paradox, wie Kratzer sagt. Auf der einen Seite wehren sie sich gegen den Fokus, der bei rein weiblich bestellt, setzten Bands zu oft auf Äußerlichk­eiten gelegt wird, auf der anderen Seite müssen sie aber genau diese Rollenklis­chees, die immer noch auf der Bühne vorherrsch­en, in den Fokus stellen. Denn auch wenn nach Ansicht der Band für die lokale Szene gilt, dass „das Geschlecht egal ist, die Qualität zählt und man eben was reißen muss“, gab es genügend Erlebnisse, die zwischen Ärgernis und Übergriffi­gkeit schwanken. Ärgerlich ist es, „wenn man sich auf der Bühne mit seiner Kunst nackt macht und nach dem Auftritt dann das Kleid kommentier­t wird“; übergriffi­g ist es, wenn man sich wie Belen Gonzales Anzüglichk­eiten anhören muss, nur weil das Cello beim Spielen zwischen den Beinen der Künstlerin eingeklemm­t ist, wie sie trotz der zeitlichen Distanz immer noch mit einer gewissen Fassungslo­sigkeit in der Stimme berichtet. Doch auch wenn der Weg zur Gleichstel­lung, in der Musikbranc­he wie in allen anderen Bereichen des Lebens, noch lange und steinig ist, zeigt er zumindest in die richtige Richtung. Lilla Blue gehen weiter auf ihre gemeinsame Reise, und man wird über sie sprechen. Nicht weil es vier Frauen sind, die eine Band gegründet haben, sondern weil vier gute Musikerinn­en sehr schöne Musik erschaffen.

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Foto: Robert Hagstotz Kristina Paulini, Mona Magdalena, Julia Kratzer und Belen Gonzalez Granero sind Lil‰ la Blue.

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