Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Massive Kritik an Zerstörung eines Rad‰parcours

Das Gelände im Gögginger Wäldchen ist seit mehr als 50 Jahren bei Kindern beliebt. Jetzt hat sie die Stadt eingeebnet, was die Bürger auf die Barrikaden bringt. Was hinter der Aktion steckt

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Verständni­slos, wütend und traurig reagieren die Bewohner von Göggingen und der Schafweids­iedlung angesichts der Zerstörung, die die Forstverwa­ltung in „ihrem“Gögginger Wäldchen angerichte­t hat. Von einer „Riesen-sauerei“spricht etwa Thomas Reitmeir vom Vorstand der Siedlergem­einschaft der Schafweids­iedlung. Beim Versuch, einen „illegalen Dirtpark“im Wald zu beseitigen, wurde die beliebte Spazier- und Radstrecke in ein Chaos verwandelt. Nicht nur die Kinder sind fassungslo­s, wie im Namen des Naturschut­zes ihre Waldrennba­hn verwüstet wurde. Eine ganze Tüte voller Kinderbrie­fe hat Petra Kleber von der Arge Göggingen deshalb Oberbürger­meisterin Eva Weber auf den Tisch gestellt. „Bitte schütten Sie die Rennbahn nicht zu. Meine Freunde wären sehr traurig, und ich auch“, schreibt etwa ein zehnjährig­er Junge aus der Schafweids­iedlung.

Auf den ersten Blick ist es nur schwer verständli­ch, wie die Maßnahmen der Stadt dem Umweltschu­tz dienen sollen. Wo früher ein hübsches Wäldchen mit ausgewasch­enen Fahrradpfa­den zu sehen war, stapeln sich jetzt Bäume kreuz und quer – die Szene erinnert an einen Katastroph­enfilm. Als die ersten Fotos der Maßnahme durch die sozialen Medien gingen, erhob sich ein Sturm der Entrüstung, nicht nur von Anwohnern. Über Tage klingelten die Telefone bei der Stadt und auch in der Redaktion, in Leserbrief­en und E-mails ärgerten sich die Menschen über das Vorgehen der Forstverwa­ltung.

Die Stadt hatte in einer Pressemitt­eilung zunächst geschriebe­n, man beseitige einen „illegalen Dirtpark im Landschaft­sschutzgeb­iet Gögginger Wald“. Die Stadt spricht von „intensiven Grabungen und Erdbewegun­gen im Wald“, die dort vorgenomme­n worden seien. Eine Aussage, die die Gögginger nur den Kopf schütteln lässt. „Hier radeln die Kinder schon seit mindestens 50 Jahren, ich selbst bin dort als Bub mit dem Radl rumgesaust“, sagt etwa Bernd Klinger. „Den meisten Anwohnern ist die Strecke als Carrera-bahn bekannt und diente schon weit vor Mountainbi­ke und BMX Generation­en von Kindern als Fahrradpar­cours“, ärgert sich der Anwohner. Vermutlich ist die Strecke sogar noch viel älter – selbst ein über 80-jähriger Gögginger erinnert sich an seine Fahrradabe­nteuer im Gögginger Wäldchen. Heute werden solche Strecken als Dirtparks bezeichnet – das englische Wort Dirt (Dreck) bezieht sich auf die Nutzung solcher Anlagen: Die Nutzer radeln über Erdhügel, versuchen sich in Sprüngen und Fahren auf unebenem Gelände.

Die baulichen Veränderun­gen wollen die Anwohner so nicht stehen lassen. Die Strecke durch den Wald folgt dem Vorland-graben, ist also natürliche­n Ursprungs, betont Andreas Steidle vom TSV Inningen, der sich seit Langem an der Diskussion um Mountainbi­ke-strecken im Wald engagiert und selbst in der Schafweids­iedlung lebt. An einigen Stellen haben die Kinder Rampen und Sprungscha­nzen gebaut – hier von baulichen Veränderun­gen zu sprechen, hält Steidle für übertriebe­n. Er betont, dass die Strecke nahezu ausschließ­lich von den Gögginger Kindern genutzt wird und nicht wie andere in Kritik geratene Waldrouten von erwachsene­n Mountainbi­kern.

Bei einem Ortstermin erklärte Forstamtsl­eiter Jürgen Kircher das Vorgehen der Stadt. „Als Verwaltung sind wir an Recht und Gesetz gebunden“, betonte er. „Gemäß der Schutzgebi­etsverordn­ung ist es verboten, im Gögginger Wäldchen Veränderun­gen vorzunehme­n, die das Landschaft­sbild verändern oder die Natur beeinträch­tigen.“Wenn er als Amtsleiter von so einer Anlage erfahre und nichts unternehme, bedeute das aus rechtliche­r Sicht eine Duldung der Anlage. „Dann sind wir als Stadt sofort in der Haftung, wenn etwas passiert.“Selbst wenn die Eltern im Falle eines Unfalls nichts gegen die Stadt unternähme­n, würde spätestens die Versicheru­ng Schadenser­satzansprü­che geltend machen.

Darüber hinaus sei nach dem bayerische­n Waldgesetz das Radeln im Wald nur auf geeigneten Wegen erlaubt. Das Querfeldei­nradeln durch den Waldbestan­d sei genauso verboten wie auf sogenannte­n Rückegasse­n, den unbefestig­ten forstwirts­chaftliche­n Wegen zum Transport gefällter Bäume.

Kircher stimmte vor Ort den Anwohnern zu, dass das momentane Ergebnis schlimm aussieht. „Das wird auch wieder hübscher“, versprach er den Teilnehmer­n der Ortsbegehu­ng.

Besonders ärgerlich ist aus Sicht vieler Eltern, dass die Stadt die beliebte Waldstreck­e gerade in einer Zeit, in der die meisten Freizeitak­tivitäten für die Kinder nicht möglich sind, zerstört hat. „Hätte man da nicht bis nach Corona warten können?“, fragt sich eine Mutter. Hintergrun­d, dass die Strecke gerade jetzt aufgefalle­n ist, sei ein Revierleit­erwechsel, in dessen Rahmen das Gögginger Wäldchen genau unter die Lupe genommen wurde, entgegnet Kircher.

„Es war im Vorfeld klar, dass den Menschen nicht gefällt, wenn wir ihren Kindern und Jugendlich­en die Strecke wegnehmen“, sagt Kircher am Rand der Ortsbegehu­ng. Wo immer eine solche Strecke mit dem Wald- und Naturschut­zrecht kollidiere, gebe es große Diskussion­en, wie man das Interesse der Menschen an ihrer Freizeitbe­schäftigun­g mit dem Recht in Einklang bringen könne.

Schon seit längerer Zeit gibt es Diskussion­en, wie man mit Mountainbi­kern in den Wäldern in und um Augsburg umgehen soll. So kommt es im Naturpark Westliche Wälder immer wieder zu Konflikten zwischen Naturschüt­zern und Radlern, auch dort wurden einige beliebte Trails gesperrt. Mittlerwei­le gibt es einen runden Tisch, an dem alle Beteiligte­n nach einer Lösung suchen. Bei der Stadt sei man intensiv auf der Suche nach geeigneten Flächen, beispielsw­eise für sogenannte Pumptracks, wo BMX- und Mountainbi­ke-fahrer ihrem Sport nachgehen können, sagt Sportamtsl­eiterin Petra Keller. Allerdings sei die Suche schwierig, weil bei den meisten Liegenscha­ften der Stadt der Landschaft­s- oder Naturschut­z einer solchen Nutzung entgegenst­ehe.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Wo vor wenigen Tagen noch Kinder Rad gefahren sind, liegen jetzt kreuz und quer gefällte Bäume.
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Bilder von Kindern der Schafweids­ied‰ lung zeigen, was sie von der Zerstörung ihrer Fahrradren­nbahn halten.

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