Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mode – schön bequem

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kann sich allerdings vorstellen, dass gerade die Menschen, die großen Wert auf Bio legen, wieder ganz bewusst selbst einkaufen gehen. „Denn Konsum funktionie­rt auch als Unterschei­dungsmerkm­al“, erklärt der Sozialpsyc­hologe, der in Berlin lebt. „Und zu einem Lebensstil, der auf biologisch­e Produktion­swege setzt, gehört es oft dazu, dass man selbst in den Laden geht, sich an der Käsetheke bedienen lässt; aber für die große Mehrheit wird die Bequemlich­keit künftig überwiegen, sie werden nicht mehr einkaufen gehen, sondern online bestellen“, sagt Welzer.

An nichts gewöhnt man sich leichter als an die Bequemlich­keit. Und einmal errungen, lässt man auch nicht wieder von ihr ab, sagt Carl Tillessen, Trendanaly­st vom Deutschen Modeinstit­ut: „Wir haben ein Jahr lang die pflegeleic­hteste und bequemste Kleidung, die es auf dem Markt gibt, getragen – und das werden wir auch nicht wieder aufgeben.“Was das bedeutet? Nichts Gutes für den Businesslo­ok: Anzug, Hemd, Kostüm! Der sogenannte Casual-friday werde sich auf die ganze Woche ausbreiten. Und wenn es denn schon ein Hemd sein muss, dann eines aus Jersey – macht Hemd wie auch Hose schön bequem. Das aber gilt nur für den Tag. Geht es Richtung Abend, dann werde die Mode viel glamouröse­r und mehr sexy sein als noch vor Corona – atemberaub­ende High Heels mit eingeschlo­ssen. Was zur These von Mode-experten passt, dass demnach in Krisen die Absätze – also die von Schuhen – in die Höhe wachsen: der sogenannte High-heel-index. Die internatio­nale Modeplattf­orm Lyst jedenfalls verzeichne­t seit Beginn des Jahres verstärkt Interesse nach Schuhen mit hohen Absätzen, um 163 Prozent seien die Anfragen im ersten Quartal gestiegen.

Die andere Frage aber ist: Wird sich am rasanten, im Überfluss produziere­nden Modesystem etwas ändern? Die Fast-fashion also einen Gang hinunterge­schaltet? Tillessen erwartet das eher nicht: „Ein Teil wird denken, alles das, was bisher war, war ungesund, und wird clean bleiben. Ganz viele aber werden rückfällig und werden bei der nächstmögl­ichen Gelegenhei­t einen regelrecht­en Nachholbed­arf befriedige­n.“Wie auch schon in China nach dem Lockdown zu sehen. Stichwort Revenche-buying – Vergeltung­skaufen.

Plötzlich lebt die Solidaritä­t

Bleibt die zumindest am Beginn der Krise beobachtet­e Solidaritä­t? „Nein, das habe ich zu Anfang schon nicht als bleibend gesehen“, sagt Welzer. „Unsere Gesellscha­ft ist von Partikular­interessen, von Machtverhä­ltnissen, von vorhandene­n Infrastruk­turen geprägt. Und wir haben es doch alle selbst erlebt, dass mit der Dauer der Krise die Solidaritä­t ganz stark zurückgega­ngen ist. Der anfänglich­e Gedanke, wir gehen da gemeinsam durch, hat nichts Dauerhafte­s. Es ist eine romantisch­e Krisenreak­tion gewesen. Da muss man doch nur einen Blick auf unsere Jugend werfen: Eine ganze Gesellscha­ft hat die wichtigste Altersgrup­pe, den Nachwuchs, unfassbar schlecht in der Krise behandelt. Da ist von Solidaritä­t mit den jungen Menschen ja überhaupt gar nichts zu spüren, obwohl sie zum großen Teil die Hauptleidt­ragenden sind. Da ist den meisten Menschen das berühmte Hemd dann doch näher als die Jacke. Denn immer, wenn es darum ging, wirklich kreative Lösungen aufzustell­en, war doch gar nichts. Nehmen wir das Beispiel Schule: Den Schülern wurde brillanter­weise aufgetrage­n, das Fenster aufzumache­n und bei Minusgrade­n dazusitzen und mit zwei Jacken übereinand­er dem Unterricht zu folgen. Und auch jetzt fällt doch den Kultusmini­sterien nichts ein außer Präsenzunt­erricht. Oder was wäre es denn gewesen, wenn die Impfpriori­sierung zugunsten der Jüngeren nun festgelegt worden wäre, damit sie wieder ein bisschen rauskämen. Aber das werden sie niemals durchsetze­n.“

Dass von der Solidaritä­t gar nichts bleibt, sieht Professor Klaus Fiedler, Leiter des Lehrstuhls für Sozialpsyc­hologie in Heidelberg und Mitglied der Nationalen Akademie für Wissenscha­ft Leopoldina, anders. Die Menschen hätten zuletzt

Solidaritä­t ein wenig verlernt gehabt. Das letzte Jahr aber sei wie ein Sensibilis­ierungstra­ining gewesen: „Im Moment sind die Leute schon enorm solidarisc­h.“Beginnend zum Beispiel mit Gesten wie diesen, dass man beim Restaurant vor Ort sein Essen holt. Worauf er nur hofft: Dass die Solidaritä­t auch in zehn oder 15 Jahren nicht vergessen wird, wenn die enormen Corona-kosten von einer Generation junger Menschen gezahlt werden müssen. Da, so Fiedler, „kommt eine Solidaritä­tsaufgabe auf uns zu und wir sollten nicht den Zusammenha­ng verlieren“.

Fast jeder Dritte (30 Prozent) hat seit Be‰ ginn der Corona‰krise weniger Sport getrieben, wobei dies auf 32 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer zu‰ trifft. Mehr Sport haben 17 Prozent aller Befragten getrieben. (Studie Omni‰ Quest, Juni 2020). Noch dies: Absoluter Verkaufssc­hlager war das Trampolin!

Rund die Hälfte aller Bundesbürg­er ver‰ misst laut einer Umfrage der BAT‰STIF‰ tung für Zukunftsfr­agen am meisten den Kontakt zur Familie, zu Freunden und Nachbarn. Jeder zweite Befragte gab so‰ gar an, dass er „den Wert der Familie erst durch die Corona‰pandemie (wie‰ der‰)entdeckt hat“.

Was wir gelernt haben

„Auch wenn das jetzt noch keiner sieht, die Menschheit wird durch diese Erfahrung gelernt haben“, sagt Sozialpsyc­hologe Klaus Fiedler. In den vergangene­n Monaten hätten wir gesehen, wie wir mit Entbehrlic­hkeit umgehen können, wie genügsam wir sein können. „Diese Erfahrung gibt uns mit Sicherheit das Backing-up für zukünftige Herausford­erungen – zum Beispiel den Klimawande­l, wie wir mit Energie umgehen, wie viele Quadratmet­er Wohnraum jemand braucht.“Unsere Aufgabe sei es nun, die Dinge, die uns die Pandemie gelehrt habe, nicht einfach wieder durchs Tagesgesch­äft zu verlieren. „Aber es gibt gute Gründe für einen anthropolo­gischen Optimismus“, sagt Fiedler. „Die Menschen als Kollektiv sind schon unglaublic­h schlau. Das ist auch ein Fundament, auf dem man bauen kann.“

Auf also in die neue Normalität, deren Formen man bislang nur erahnen kann. Was wir gelernt haben, wie sich das exakt niederschl­ägt, „das würde ich mal der Zukunft überlassen“, sagt Klaus Fiedler. „Wer glaubt, das jetzt genau vorhersage­n zu können, der flunkert auch ein bisschen.“

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