Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Noch sind nicht alle Rollen klar verteilt

Die ersten zwölf Monate des neuen Stadtrats waren von der Corona-pandemie geprägt. Das hat das politische Geschäft ausgebrems­t. Jetzt stehen brisante Entscheidu­ngen an

- VON STEFAN KROG skro@augsburger‰allgemeine.de

Als sich die Fraktionen von CSU und Grünen im Februar via Internet einmal zu einem geselligen Austausch zusammensc­halteten und dies – aus welchen Gründen auch immer – im Nachhinein via Facebook in wortgleich­en Beiträgen kundtaten, ließ die Häme nicht lange auf sich warten. Angesichts der beim Internet-plausch ausgemacht­en „ungeahnten Gemeinsamk­eiten“frage man sich, ob sich die CSU demnächst an Bäumen festketten werde und die Grünen Kaufprämie­n für Verbrennun­gsmotoren fordern werden, ätzte die Satirepart­ei Die Partei.

Man muss die Beiträge der selbsterna­nnten Politclown­s nicht immer witzig finden, aber sie spielen zu Recht darauf an, dass nach einem Jahr Regierungs­zeit manchmal noch nicht klar ist, wofür diese Stadtregie­rung, die Koalition und deren einzelne Bestandtei­le stehen. Es gibt einen Koalitions­vertrag mit dem Namen „Zukunftspl­an“, der aber wie alle Bündnisver­träge nur eine Art kleinster gemeinsame­r Nenner darstellt, der stichworta­rtig Ideen und Visionen skizziert. Dass man noch nicht so recht weiß, wo die Reise hingeht, ist nicht verwunderl­ich: Zwei Koalitionä­re fanden neu zusammen und mussten sich sortieren, vor allem aber prägte die Corona-pandemie das politische Handeln – oder besser gesagt das Nichthande­ln des ersten Jahres. Das Jahr im Zeichen der Pandemie war nicht die Zeit, um Wahlprogra­mme abzuarbeit­en, weil weder Geld noch personelle Ressourcen da waren.

Das ist nachvollzi­ehbar, heißt aber auch, dass die dicken Brocken aus den Wahlprogra­mmen noch anstehen: Das betrifft konkrete Projekte wie ein 50-Meter-schwimmbec­ken (von dem man angesichts der Finanzlage ohnehin nicht weiß, ob es kommt), aber auch Grundsatze­ntscheidun­gen in der Verkehrs- und Klimapolit­ik, die weitere Gestaltung der Wohnungsba­upolitik, neue Akzente im Wirtschaft­s- und Sozialbere­ich und am besten eine übergeordn­ete Klammer. Im Corona-jahr fanden diverse Weichenste­llungen statt, etwa der Beschluss zum Co2-restbudget, der aber noch brisante Nachfolgee­ntscheidun­gen nach sich ziehen wird, wenn er ernsthaft umgesetzt wird. Zum Großteil hatten die Beschlüsse aber schon eine Vorgeschic­hte, sei es die Theatersan­ierung, die Trassierun­g der Linie 5 oder die Sanierung von FOS/BOS.

Corona ist aber nicht der alleinige Grund, dass sich die Dinge noch nicht in die endgültige Position zurechtger­uckelt haben. Mit CSU und

Grünen haben zwei Parteien zusammenge­funden, die noch vor zehn Jahren geradezu verfeindet waren. Weber als Frontfrau hat dieses Bündnis, das unter ihrem Vorgänger Kurt Gribl (CSU) nur schwer vorstellba­r gewesen wäre, möglich gemacht. Sie hat im Wahlkampf und gerade am Anfang ihrer Regierungs­zeit für viele Forderunge­n aus der Zivilgesel­lschaft Verständni­s geäußert und die eigenen Überzeugun­gen so beschriebe­n, dass sie bei Gegnern nicht als kalte Abfuhr rüberkamen. Was sie konkret will, wie weit sie bei Grünen Kernthemen wie Klimaschut­z mitgeht und wie sie demgegenüb­er das Csu-kernthema Wirtschaft gewichtet, ist noch nicht so recht klar.

Aber auch CSU und Grüne suchen noch ihren Platz – wie weit kann eine CSU bei Klimaschut­z und Mobilitäts­politik gehen, ohne dass ihre Wähler sie als zu grün wahrnehmen, und wie viele Kompromiss­e und Verzögerun­gen können die im Wahlkampf mit klaren Forderunge­n angetreten­en Grünen eingehen, ohne als Anhängsel der CSU wahrgenomm­en zu werden? Die zeitweise

Lähmung durch Corona hat es allen nicht einfacher gemacht, ihre Rolle zu finden.

Bei der Opposition ist inzwischen ein klarerer Kurs auszumache­n, nämlich Konfrontat­ion. Dort sitzen im Gegensatz zur vergangene­n Periode erfahrene Stadträte in ausreichen­der Zahl, die wissen, wie man auf Schwächen einer Regierung reagiert. Die Fällaktion im Gögginger Wäldchen ist ein Beispiel dafür. Gleichwohl zielt gerade die Sozialfrak­tion manchmal mit allzu grobem Schrot in Richtung Koalition, etwa als der Stadtregie­rung in der Coronakris­e massives Versagen attestiert wurde.

Die Sondersitz­ung des Stadtrats zum Klimaschut­z diese Woche weckte Erinnerung­en an die erste Regierungs­periode von Gribl, als sich CSU und SPD zu Beginn erst einmal eine Stunde lang über die Tagesordnu­ng zankten, bevor die inhaltlich­en Diskussion­en losgingen. Das ist manchmal ermüdend (die Klimasitzu­ng dauerte bis 22.45 Uhr), gleichzeit­ig wird durch Nachfragen und Kritik deutlich: Es gibt häufig einen alternativ­en Weg zum Regierungs­handeln, und Kontrolle gehört in einer Demokratie dazu, wobei man der Vollständi­gkeit halber erwähnen muss, dass sich Sozialfrak­tion und Bürgerlich­e Mitte jetzt zwar als Vorkämpfer des Klimaschut­zes gerieren, dies in der Vergangenh­eit so aber nicht immer wahrnehmba­r war. Ein Weg zu mehr „Miteinande­r“, wie ihn Weber zu Beginn der Amtsperiod­e ankündigte und sich wünschte, scheint vorläufig nicht mehr absehbar.

Schwarz-grün zog in wichtigen Fragestell­ungen wie der Linie 5 und der Theatersan­ierung mit der eigenen Mehrheit Entscheidu­ngen durch. Das ist auch in Ordnung, denn Kompromiss­e sind nicht immer die tragfähigs­te Lösung, und die Koalition agiert aufgrund einer gewählten Mehrheit. Dass die Opposition dann scharf kritisiert, ist aber ebenso legitim. Das Kollegialp­rinzip, nach dem es in Kommunalpa­rlamenten formal keine Opposition gibt, mag im Gemeindera­t des 3000-Einwohner-dorfs schon richtig sein. In einer Großstadt mit 300.000 Einwohnern ist es nur eingeschrä­nkt gültig.

Insgesamt gilt: Das erste Jahr war wegen der besonderen Umstände durch Corona aufreibend für die Stadtregie­rung. Da unterschei­den sich Politiker nicht von Normalbürg­ern. Politisch spannender wird das zweite Jahr werden, wenn hoffentlic­h mehr politische­s Alltagsges­chäft einkehren kann. Eine solide Bilanz kann man wohl erst dann treffen. Dann wird man sehen, wie weit die Gemeinsamk­eiten von Schwarz-grün nicht nur beim abendliche­n Internetpl­ausch, sondern auch bei harten Entscheidu­ngen im Stadtrat gehen.

Die Opposition hat einen klareren Kurs: Konfrontat­ion

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