Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der nette Joris hat neue Musik, Auftritte in „Sing meinen Song“– aber auch ernste Gedanken

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19. Mai 2020

Eigentlich sieht alles ganz normal aus. Aber was ist schon normal in diesen Zeiten? Bei den Kollegen in der Nachrichte­nzentrale treffen gerade die neuesten Corona-meldungen aus aller Welt ein, die Menschheit macht sich in ganz neuen Dimensione­n Gedanken über kollektive­s Handeln – und hier, vor unseren Augen, krabbeln rund 20000 Bienen über eine weiße Tischdecke in ihr neues Zuhause auf unserem Verlagsgel­ände in Augsburg: einen mit Messgeräte­n ausgestatt­eten und mit dem Internet vernetzten digitalen Bienenstoc­k des internatio­nalen Forschungs­projekts „we4bee.org“. Wer diesem summenden, brummenden Einzug zuschaut, wird Zeuge eines Rituals, das sich seit Jahrmillio­nen wiederholt und irgendwie auch ein Zeichen für Hoffnung ist, für ein „Es geht weiter“: Ein Bienenvolk teilt sich, die alte Königin schwärmt mit der Hälfte des Volkes aus, eine neue übernimmt die anderen Hälfte … Doch der Mensch hat diese Endlosschl­eife der Natur durcheinan­dergebrach­t. Der Mensch muss nun auch helfen. Ohne uns Imker hätte das geschwärmt­e Bienenvolk, das da nun einmarschi­ert, kaum eine Chance zu überleben – an den Schutz der Bienen wird auch morgen, am 20. Mai, dem Welttag der Bienen, erinnert. Wie Honigbiene­n mit Umwelteinf­lüssen klarkommen, soll in dem Hightech-bienenstoc­k genauer erforscht werden – er ist einer von 100 weltweit. Made in Bavaria, erdacht von dem renommiert­en Bienenfors­cher Jürgen Tautz und der Universitä­t Würzburg, erbaut von Ingenieur und Imker Hans Neumayr aus Tandern. Betreut wird der Stock nun von einem Imkerteam aus unserem Unternehme­n. Während wir fasziniert dem Einzug zuschauen, denken wir auch an die vielen gestreifte­n Verwandten der Honigbiene, die ohne zweibeinig­e Aufpasser auskommen müssen. Wie schlecht es etwa um die Wildbienen steht, auch das war in letzter Zeit häufig Thema in der Nachrichte­nzentrale. Im Februar 2019 unterschri­eben 1,8 Millionen Menschen in Bayern beim Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“für mehr Artenvielf­alt und zwangen dadurch den Landtag dazu, das Naturschut­zgesetz zu erneuern. Kollektive­s Handeln, das Geschichte geschriebe­n hat.

14. Juni 2020

Morgens beim Aufstehen wird immer gleich ein digitaler Blick ins Volk geworfen. Die Damen bauen und sammeln fleißig. Viele der 160 000 deutschen Imker haben nun Urlaubsspe­rre. Sie kontrollie­ren regelmäßig die Bienenkäst­en. Sobald ihr Volk größere Zellen am Rand einer Wabe anlegt, brechen sie diese Weiselzell­en heraus. Damit verhindern sie, dass eine neue Königin schlüpft und sich das Volk wieder teilt. Weil: kleineres Volk, weniger Honig. Unser Volk aber darf schwärmen – und tut dies auch, zunächst unbemerkt. Plötzlich aber petzt der intelligen­te Bienenkast­en: über ein Kilo Gewichtsve­rlust. Geschätzt 10000 Bienen haben sich also auf und davon gemacht. So schnell nach dem Umzug hatten wir nicht damit gerechnet. Aber irgendwie ja auch beruhigend, dass auf den Ruf der Natur Verlass ist. Auch wir Menschen scheinen in unserer Doppelheli­x ein Schwarm-gen zu haben, jedenfalls treibt es uns nun bei den wärmeren Temperatur­en wie jedes Jahr wieder raus. Nach einem Lockdown und monatelang­en Kontaktbes­chränkunge­n sogar noch stärker.

16. Juli 2020

Die erste Zwischenbi­lanz der Initiatore­n zur Umsetzung des Volksbegeh­rens fällt durchwachs­en aus. „Ein Jahr nach der Annahme des Volksbegeh­rens ist die Artenvielf­alt in Bayern noch nicht gerettet (...), einige neue Regelungen werden aber auch noch nicht umgesetzt“, heißt es heute in einer Pressekonf­erenz. Auch wir haben Zwischenbi­lanz gezogen: Unser Volk müsste sich nun langsam stark für den Winter machen, wachsen, Waben bauen, Futter einlagern – tut es aber nicht. Was nun? Die Natur entscheide­n lassen oder doch, typisch Imker, eingreifen? Bei einer Kontrolle haben wir festgestel­lt: Die neuen Eier liegen nicht mehr mittig in den Zellen, und es gibt ausschließ­lich mit Knubbeln verdeckelt­e Brutzellen. Unser Volk ist drohnenbrü­tig. Es wachsen also nur noch männliche Bienen heran, die aus unbefrucht­eten Eier entstehen. Folgendes muss passiert sein: Dem Volk ist die Königin abhanden gekommen, nun spielt eine normale Biene Königin. Sie kann aber nur unbefrucht­ete Eier legen. Das Volk hat es verpasst, rechtzeiti­g eine weibliche Larve mit dem Powerfood Gelee Royale zu füttern und sich somit eine neue Königin heranzuzüc­hten. Es ist dem Tode geweiht, wenn wir nicht eingreifen. Wir entscheide­n uns gegen Darwin und für Interventi­on: Ein Rahmen mit frischer Brut aus einem benachbart­en Bienenvolk wird in die Kiste gehängt, und die verblieben­en Arbeiterin­nen bekommen die Chance, sich aus den Eierspende­n des Nachbarvol­ks eine neue Königin zu ziehen. Der Trick klappt. Durchatmen, es geht also weiter. Als Bienen-doping stellen wir aus Puderzucke­r und etwas Wasser 250 Gramm Futterteig her und legen diesen in die Kiste, damit die Bienen nicht so viele Sammelflüg­e machen müssen. Für 250 Gramm Honig müssten sie immerhin 20 000 Mal ausfliegen und eine Flugstreck­e von rund 60000 Kilometern zurücklege­n. Der ökonomisch­e Nutzen der Bienen weltweit wird übrigens auf 265 Milliarden Euro geschätzt – wenn diese Tiere sterben, haben wir Menschen ein vielleicht noch größeres Problem als Corona. Dann hilft uns kein Impfstoff.

17. September 2020 Der Sommer ist vorbei,

die

Corona-inzidenzen steigen wieder und nun geht es auch am Bienenstoc­k um eine weltweite Bedrohung: die Varroa-milbe. Seit 1957 hat sie sich mithilfe des Menschen von Japan aus verbreitet, 1977 wurde sie erstmals in Deutschlan­d gesichtet, zehn Jahre später dann in den USA. Inzwischen ist die Antarktis der einzige varroafrei­e Kontinent. Da sich die europäisch­e Honigbiene nicht gegen die Milbe wehren kann, müssen Imker ihr mit Chemie oder Hitze das Spinnentie­r vom Leib halten – wir also auch, schon passiert mit stinkenden Thymolstre­ifen, im Spätherbst folgt Oxalsäure. Hundertpro­zentige Sicherheit, dass wir die Milben im Stock besiegen, haben wir nicht. Und die nächsten Bienenplag­en kündigen sich bereits an: Der kleine Beutenkäfe­r etwa, der Waben und Brut zerstört, sitzt schon in Italien – gegen ihn gibt es in Deutschlan­d bereits einen

Notfallpla­n; aus Frankreich nähert sich die Asiatische Hornisse, die Honigbiene­n jagt… Immerhin: Unser Volk ist etwas gewachsen, aber eigentlich noch zu klein für den Winter. Langsam machen wir uns Sorgen. Wir füttern vorsichtsh­alber noch mal nach.

15. Dezember 2020

Unser Volk ist plötzlich etwas schwerer geworden. Bei mildem Wetter heben wir den Deckel kurz an: Und wirklich, es sind mehr Bienen als noch im November auf den Waben! Wie kann das sein, wo die Königin im Winter aber keine Eier legt? Wir schauen in den benachbart­en Bienenstoc­k: leer. Da wurde wohl eine Winter-wg gegründet. Wir sind nicht unglücklic­h darüber: Mehr Bienen können mehr heizen und so das Volk und das Futter auch bei Minusgrade­n lauwarm halten. Wir setzen den Deckel wieder drauf. Nun heißt es warten und hoffen bis zum Frühjahr, dass die weiblichen Winterbien­en im Stock die Arbeit schaffen. Damit für sie das Futter dann auch reicht, wurden die Drohnen im Spätsommer vertrieben. Das Volk brauchte sie nicht mehr. Dieser Rauswurf ist ein Todesurtei­l für die männlichen Bienen, sein Name: Drohnensch­lacht.

21. Januar 2021

Das Thermomete­r im Bienenstoc­k streikt, damit ist das einzige Messinstru­ment ausgefalle­n, das uns Informatio­nen darüber geben könnte, ob das Volk überhaupt noch lebt. Vor der Kamera jedenfalls lässt sich keine Biene blicken. Den Deckel trauen wir uns bei der Kälte nicht anzuheben – das wäre ein unnötiger Kälteeinbr­uch für den Stock. Immerhin: Schnee isoliert – auch Bienenstöc­ke. Heute dann: Bienen am Einflugloc­h. Sie leben noch!

18. Februar 2021

Jetzt lassen sich die Tiere auch vor der Innenkamer­a blicken! Auf der hintersten Wabe. Wir füttern schnell nach, damit sie auf dem Endspurt nicht verhungern.

11. Mai 2021

Bienenfors­cher Jürgen Tautz, der Quasipaten­onkel unserer Chaos-bienen, hat ein neues Bienenbuch veröffentl­icht und wagt damit einen Stich ins Wespennest. In „Die Sprache der Bienen“(Knesebeck Verlag, 224 S., 22 ¤) hinterfrag­t er den in der Bienenfors­chung bisher heiligen Schwänzelt­anz. Karl von Frisch hatte für die Entdeckung dieser Kommunikat­ionsmethod­e 1973 den Medizin-nobelpreis bekommen. Vor ungefähr zehn Jahren hatte Tautz schon einmal die These geäußert, dass der Schwänzelt­anz allein nicht ausreiche, damit eine Biene eine spezielle Futterquel­le findet. Damals wurde er von anderen Bienenfors­chern angefeinde­t. Nun begründet Tautz seine These facettenre­icher, erklärt, weshalb der Schwänzelt­anz nur Teil einer Kommunikat­ionskette sei und auch Duftspuren eine Rolle spielten. Empörung aber blieb dieses Mal aus. „Die Reaktionen aus dem Kollegenkr­eis sind positiv“, sagt Tautz am Telefon. Und wie geht es den Bienen? Solange Imker Bienen pflegen und Verluste ausgleiche­n, müsse man sich keine Sorgen machen, sagt er. „Kein toller Zustand, aber noch hat man es im Griff.“Was den emeritiert­en Professor der Uni Würzburg mehr sorge, seien das Artensterb­en und der Klimawande­l – und dass die Menschen selbst bei einer spürbaren Bedrohung wie der Corona-pandemie keine Lust mehr hätten, Rücksicht zu nehmen. Was ist dann erst bei Bedrohunge­n, die in der Zukunft liegen? Er sehe auch nicht, dass sich seit dem Volksbegeh­ren etwas getan habe. „Ich mache mir Sorgen um meine Enkel. Aber Aufgeben ist keine Option“, sagt Tautz. Er arbeitet bereits an neuen Naturschut­z-projekten. Und beim Naturschut­z ist es wie im Bienenvolk: Das Verhalten jedes Einzelnen zählt.

Das sieht auch Norbert Schäffer, Vorsitzend­er des bayerische­n Landesbund­s für Vogelschut­z (LBV) so, wenngleich er etwas optimistis­cher ist. Es habe sich viel getan. Vor 20 Jahren hätten der LBV und die anderen Mitstreite­r das Volksbegeh­ren nicht gewonnen, ist er sich sicher. Das Thema Naturschut­z sei nun aber in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen. „Mit dem Volksbegeh­ren Artenvielf­alt haben wir keine neue Bewegung erzeugt, aber wir haben sie sichtbar gemacht. Und sie wird nun immer größer.“Das spüre der LBV an den Internetkl­icks, an der Spendenber­eitschaft und auch am Mitglieder­zuwachs, der bei fünf bis zehn Prozent liege. „Wir haben schon einiges erreicht. Aber es gibt noch viele Baustellen. Ein Selbstläuf­er ist das nicht. Der Rahmen ist gesetzt, aber es ist keine Garantie, dass sich alles entwickelt“, sagt Schäffer.

13. Mai 2021

Das Volk baut, sammelt, wächst fleißig, melden die Sensoren. Eigentlich sieht alles ganz normal aus…

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Fotos: adobe.stock
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