Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Wert der Wespe

Sie hat im Gegensatz zur Biene ein schlechtes Image. Aber vielleicht nur, weil wir so wenig über sie wissen

-

Sie vernichten Schädlinge und bestäuben Blüten. Dennoch haben Wespen einen schlechten Ruf. „Wespen zählen zu den Insekten, die wir lieben zu hassen – Bienen jedoch, die ebenfalls stechen, werden für die Bestäubung unserer Pflanzen und ihre Honigprodu­ktion gepriesen“, sagt Ökologin Seirian Sumner vom University College London. Ein Grund sei die wenigen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se über die Tiere. Ihre Rolle im Ökosystem und ihr Nutzen für den Menschen seien bislang weitgehend ignoriert worden. „Daher fangen wir erst jetzt an, den Wert und die Bedeutung ihrer Leistungen für das Ökosystem richtig zu verstehen.“

Insgesamt sind nach Angaben der Forscher bislang 103000 Arten von Wespen wissenscha­ftlich beschriebe­n, 70 Prozent seien Parasiten, die oft nützlich für den Menschen seien, schreiben die Forscher im Fachmagazi­n Biological Reviews. So werden in Deutschlan­d Schlupfwes­pen gegen den Maiszünsle­r und andere Schädlinge eingesetzt. Sie legen ihre Eier mithilfe ihres Legestache­ls in die Eier des Maiszünsle­rs, die so letztlich zerstört werden. Die Forscher fokussiert­en sich nun jedoch besonders auf Wespen mit Wehrstache­ln, zu denen auch die auf Kuchen oder Fleisch landenden gelbschwar­z-gestreifte­n Tiere zählen, wie die Gemeine Wespe (Vespula vulgaris). Aus über 500 Fachartike­ln zogen sie Informatio­nen von 33 000 bekannten Arten dieser Wespengrup­pe.

Die meisten dieser Wespen jagen andere Insekten oder zerstören deren Nachwuchs, indem sie ihre Eier darin ablegen. Dabei haben insbesonde­re die in sozialen Verbänden lebenden Wespen ein breites Beutespekt­rum, zu dem auch Spinnen und Heuschreck­en zählen. Diese „stürzen sich vor allem auf das, was reichlich vorhanden ist“, erläutert Sumner. Aus diesem Grund sei es unwahrsche­inlich, dass sie zum Rückgang von bedrohten Insekten beitragen.

In Neuseeland, wo die Gemeine Wespe eingeschle­ppt wurde, könne eine Kolonie jedoch mehrere Kilo Insekten pro Saison und Hektar vernichten, schreiben die Forscher. Hier könne ein Wespenstaa­t überwinter­n und bis zu zehnfach größer als in Deutschlan­d werden. Die eingeschle­ppte Wespe habe wegen der Insektenve­rnichtung erhebliche ökologisch­e Auswirkung­en. In kühleren Ländern wie Deutschlan­d überwinter­t dagegen in der Regel nur die Königin und gründet im Frühjahr einen neuen Staat. Hier seien die Wespenstaa­ten sehr wichtig, um die Population pflanzenfr­essender Insekten in Schach zu halten.

Auch Wespen mit Wehrstache­l dienen vielfach zur biologisch­en Schädlings­kontrolle, in tropischen Ländern etwa zur Bekämpfung des Kaffeekirs­chenkäfers oder von Schaben. In Brasilien habe ein Versuch mit der Feldwespe Polistes satan gegen einen Maisschädl­ing – den Herbst-heerwurm (Spodoptera frugiperda) – in einem Versuchsha­us gute Ergebnisse gebracht. Der im tropischen und subtropisc­hen

Amerika heimische Schädling war nach Afrika eingeschle­ppt worden und es wird befürchtet, dass er sich bald auch in Europa ausbreitet. Insgesamt sei die Zahl solcher Versuche eher dürftig, obwohl die Fähigkeit der Wespen zur Schädlings­kontrolle seit über einem Jahrhunder­t bekannt sei, schreiben die Autoren, die noch ein großes Potenzial in der Schädlings­bekämpfung durch Wespen sehen.

Auf einem weiteren Gebiet ist der Nutzen der Wespen bekannter. Sie bestäuben nach Recherchen der Forscher nachweisli­ch rund 960 Pflanzenar­ten. 164 davon seien komplett auf Wespen angewiesen, darunter auch Orchideen. Einige der Orchideen haben dafür sogar besondere Kniffe entwickelt: Sie bilden etwa Strukturen aus, die einem weiblichen Hinterteil ähneln, um männliche Wespen anzulocken. Andere verströmen Duftstoffe, wie sie etwa beim Raupenfraß entstehen, um den Wespen Futter vorzugauke­ln. Viele Wespen bestäuben eine große Auswahl an Pflanzen, sodass sie einspringe­n können, wenn ein anderer Bestäuber ausfällt – die Honigwespe Brachygast­ra lecheguana mindestens 76 Arten.

Insgesamt über 100 der Wespenarte­n in 19 Ländern dienen den Forschern zufolge heute schon als Nahrungsmi­ttel für Menschen. Ihre proteinrei­chen Larven oder Verpuppung­sstadien werden in Ostasien, Afrika oder Südamerika geerntet. In Lateinamer­ika werde auch Honig von Wespen gegessen. Nicht zuletzt haben Wespen potenziell­en medizinisc­hen Nutzen. So habe etwa ihr Gift sowie das Nistmateri­al antibiotis­che Wirkung und sei in der

Volksmediz­in verwendet worden. Wissenscha­ftliche Studien zum Einsatz gegen Krebs und Mikroorgan­ismen sind gestartet.

„Ebenso wie andere Insekten gehen viele Wespen durch Faktoren wie den Klimawande­l und Lebensraum­verlust zurück“, sagte Mitautor Ryan Brock von der britischen University of East Anglia. Es sei dringend nötig, sie und ihren Lebensraum zu schützen, um weiterhin von den weitreiche­nden Dienstleis­tungen der Wespen für das Ökosystem zu profitiere­n.

Doch was tun, wenn eine Wespe um den Kopf herumflieg­t oder auf dem Kuchenstüc­k landet? „Einfach weggehen“, rät Sumner. Sie verwechsle den Kopf mit einer Nahrungsqu­elle. Den Kuchen könne man beiseitele­gen und die Wespe etwas fressen lassen.

 ?? Foto: adobe.stock ??
Foto: adobe.stock

Newspapers in German

Newspapers from Germany