Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Am Kap schwindet die Hoffnung
Perspektivlosigkeit, Pandemie und korrupte Politik: Nach der Verhaftung des Ex-präsidenten entlädt sich der Frust
Durban Brennende Blockaden, Schüsse, Chaos und machtlose Polizisten: In Südafrikas Wirtschaftszentrum rund um Johannesburg sowie in der Kwazulu-natal-provinz tobt die Gewalt. Es gibt Tote und Verletzte, brennende Einkaufszentren und blockierte Autobahnen und Fernstraßen. Sie bringen wichtige Logistikketten, aber auch Busse und Bahnen in Afrikas stärkster Wirtschaftsnation zum Stillstand. Die Gewaltbereitschaft schockiert. Am Montagabend erwähnte Präsident Cyril Ramaphosa in seiner Rede an die Nation insgesamt zehn Tote und vier verletzte Polizisten – bis Dienstagabend lag die Zahl bereits bei über 70 Toten. „Anarchie“, titelte die Zeitung The Citizen.
Während Ramaphosas Rede an die Nation zeigte das TV im Laufband Livebilder aus einem Einkaufszentrum in Durban, in dem Menschen offenbar ungehindert mit Körben und anderen Behältern zum Plündern schlenderten. „Das sind nicht wir“, sagte der Präsident. Was als kleiner Protest gegen die Inhaftierung von Ex-präsident Jacob Zuma begann, hat sich längst verselbstständigt und eine neue Dynamik entfaltet. Vor dem Hintergrund der Frustration vieler Südafrikaner über die Arbeits- und Perspektivlosigkeit, die durch Covid-beschränkungen noch verstärkt wurde, sowie die krasse Ungleichheit im Land brach sich plötzlich eine Art kollektiver Rausch Bahn. „Das wirkt wie ein Schlussverkauf kurz nach Weihnachten“, sagte ein Reporter, der mit Polizisten ganze Scharen an Plünderern beobachtete. Augenzeugen berichteten über Menschen, die mit Autos vorfuhren und Kühlschränke, Betten, Kleider, Schuhe und sogar Möbel wegschafften. Die Ordnungshüter mussten machtlos zusehen oder vor Steinewerfern in Deckung gehen. Plünderer spielten Katz und Maus mit Polizisten und kamen zurück, sobald diese weg waren. Luftbilder eines Tv-senders zeigten Lagerhäuser und Einkaufszentren in Flammen, während Menschen plündernd das Gelände verließen. Der Reporter im Helikopter sprach von „apokalyptischen Szenen“. Weggetragen wurde alles, was sich irgendwie mitnehmen ließ: Handys, Tv-geräte, Tüten voller Lebensmittel, aber auch Türen oder Kassen. Das Bild eines Mannes mit einem Dildo in der Hand machte die Runde in den sozialen Medien.
Dort organisierten sich etwa in Durban Nachbarschaftshilfen, um ein Überschwappen der Anarchie in die Wohngebiete zu verhindern.
Dort in der Provinz Kwazulu-natal leben laut dem deutschen Konsulat knapp 5000 Deutsche – und etwa die dreifache Anzahl an sogenannten „Springbock-deutschen“, deutschstämmigen Südafrikanern. „Unsere Community ist auf Standby – die brennen jetzt sogar Zuckerfarmen runter“, sagte Chris Schädle, der in dem Küstenort Salt Rock sein Restaurant „Siggi’s“betreibt. In der Hafenstadt Durban wurde etwa eine Feier der deutschen Schule von der Gewalt überschattet.
„Dieses Land zerstört sich selbst“, meinte Ex-innenminister Mangosuthu Buthelezi: „Südafrika ist mit sich selbst im Krieg – es bricht mir das Herz“, sagte er. Die Stadt Durban verfügt über einen der wichtigsten Häfen des Kontinents – die Autobahn N3 von Durban ins Industriezentrum rund um Johannesburg ist eine der wichtigsten Verkehrsachsen des Landes. Nun ist sie angesichts der vielen abgefackelten Lastwagen auf unbestimmte Zeit geschlossen. Präsident Ramaphosa warnte, dass die Impfkampagnen gegen Covid-19 wie auch die Nahrungssicherheit gefährdet sind. Obwohl Nelson Mandelas Traum einer friedvollen Regenbogennation in der Vergangenheit schon immer wieder durch Gewaltexzesse gegen Afrikaner aus anderen Teilen des Kontinents getrübt wurde, droht nun ein Albtraum. „Ramaphosa erklärt uns, dass er keine Kontrolle mehr hat“, sagte der Sprecher der oppositionellen Wirtschaftlichen Freiheitskämpfer (EFF), Vuyani Pemba im Fernsehen. Der Präsident kämpft an mehreren Fronten: Einerseits muss er galoppierende Infektionszahlen in der dritten Corona-welle stoppen, andererseits seinen Afrikanischen Nationalkongress (ANC) reformieren, der unter der Amtszeit seines Vorgängers Jacob Zuma im Sumpf einer Klientel- und Günstlingsclique versank. Zumas Inhaftierung galt daher als wichtiger Meilenstein für die junge Demokratie. Zudem muss der Staatschef dringend Arbeitsplätze schaffen. Denn eine der härtesten Ausgangssperren der Welt hat die Wirtschaftskrise aus der Vor-pandemiezeit am Kap noch verschärft.
Ganze Industrien – etwa im Tourismusbereich – ächzten unter Restriktionen. Viele Betriebe gaben auf. Die, die durchhielten, werden nun mit neuen Sorgen konfrontiert: Ladeneinrichtungen zerstört, Waren geplündert, kein Geld mehr in der Kasse. Viele Jobs drohen wegzufallen. Das Militär soll nun mit der Polizei die Sicherheit durchsetzen – was wiederum dem populistischen Eff-politiker Julius Malema missfällt. Er kündigte für den Fall der Mobilisierung Proteste seiner Anhänger an.
Exminister Buthelezi: „Es bricht mir das Herz“