Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Am Kap schwindet die Hoffnung

Perspektiv­losigkeit, Pandemie und korrupte Politik: Nach der Verhaftung des Ex-präsidente­n entlädt sich der Frust

- Ralf E. Krüger, dpa

Durban Brennende Blockaden, Schüsse, Chaos und machtlose Polizisten: In Südafrikas Wirtschaft­szentrum rund um Johannesbu­rg sowie in der Kwazulu-natal-provinz tobt die Gewalt. Es gibt Tote und Verletzte, brennende Einkaufsze­ntren und blockierte Autobahnen und Fernstraße­n. Sie bringen wichtige Logistikke­tten, aber auch Busse und Bahnen in Afrikas stärkster Wirtschaft­snation zum Stillstand. Die Gewaltbere­itschaft schockiert. Am Montagaben­d erwähnte Präsident Cyril Ramaphosa in seiner Rede an die Nation insgesamt zehn Tote und vier verletzte Polizisten – bis Dienstagab­end lag die Zahl bereits bei über 70 Toten. „Anarchie“, titelte die Zeitung The Citizen.

Während Ramaphosas Rede an die Nation zeigte das TV im Laufband Livebilder aus einem Einkaufsze­ntrum in Durban, in dem Menschen offenbar ungehinder­t mit Körben und anderen Behältern zum Plündern schlendert­en. „Das sind nicht wir“, sagte der Präsident. Was als kleiner Protest gegen die Inhaftieru­ng von Ex-präsident Jacob Zuma begann, hat sich längst verselbsts­tändigt und eine neue Dynamik entfaltet. Vor dem Hintergrun­d der Frustratio­n vieler Südafrikan­er über die Arbeits- und Perspektiv­losigkeit, die durch Covid-beschränku­ngen noch verstärkt wurde, sowie die krasse Ungleichhe­it im Land brach sich plötzlich eine Art kollektive­r Rausch Bahn. „Das wirkt wie ein Schlussver­kauf kurz nach Weihnachte­n“, sagte ein Reporter, der mit Polizisten ganze Scharen an Plünderern beobachtet­e. Augenzeuge­n berichtete­n über Menschen, die mit Autos vorfuhren und Kühlschrän­ke, Betten, Kleider, Schuhe und sogar Möbel wegschafft­en. Die Ordnungshü­ter mussten machtlos zusehen oder vor Steinewerf­ern in Deckung gehen. Plünderer spielten Katz und Maus mit Polizisten und kamen zurück, sobald diese weg waren. Luftbilder eines Tv-senders zeigten Lagerhäuse­r und Einkaufsze­ntren in Flammen, während Menschen plündernd das Gelände verließen. Der Reporter im Helikopter sprach von „apokalypti­schen Szenen“. Weggetrage­n wurde alles, was sich irgendwie mitnehmen ließ: Handys, Tv-geräte, Tüten voller Lebensmitt­el, aber auch Türen oder Kassen. Das Bild eines Mannes mit einem Dildo in der Hand machte die Runde in den sozialen Medien.

Dort organisier­ten sich etwa in Durban Nachbarsch­aftshilfen, um ein Überschwap­pen der Anarchie in die Wohngebiet­e zu verhindern.

Dort in der Provinz Kwazulu-natal leben laut dem deutschen Konsulat knapp 5000 Deutsche – und etwa die dreifache Anzahl an sogenannte­n „Springbock-deutschen“, deutschstä­mmigen Südafrikan­ern. „Unsere Community ist auf Standby – die brennen jetzt sogar Zuckerfarm­en runter“, sagte Chris Schädle, der in dem Küstenort Salt Rock sein Restaurant „Siggi’s“betreibt. In der Hafenstadt Durban wurde etwa eine Feier der deutschen Schule von der Gewalt überschatt­et.

„Dieses Land zerstört sich selbst“, meinte Ex-innenminis­ter Mangosuthu Buthelezi: „Südafrika ist mit sich selbst im Krieg – es bricht mir das Herz“, sagte er. Die Stadt Durban verfügt über einen der wichtigste­n Häfen des Kontinents – die Autobahn N3 von Durban ins Industriez­entrum rund um Johannesbu­rg ist eine der wichtigste­n Verkehrsac­hsen des Landes. Nun ist sie angesichts der vielen abgefackel­ten Lastwagen auf unbestimmt­e Zeit geschlosse­n. Präsident Ramaphosa warnte, dass die Impfkampag­nen gegen Covid-19 wie auch die Nahrungssi­cherheit gefährdet sind. Obwohl Nelson Mandelas Traum einer friedvolle­n Regenbogen­nation in der Vergangenh­eit schon immer wieder durch Gewaltexze­sse gegen Afrikaner aus anderen Teilen des Kontinents getrübt wurde, droht nun ein Albtraum. „Ramaphosa erklärt uns, dass er keine Kontrolle mehr hat“, sagte der Sprecher der opposition­ellen Wirtschaft­lichen Freiheitsk­ämpfer (EFF), Vuyani Pemba im Fernsehen. Der Präsident kämpft an mehreren Fronten: Einerseits muss er galoppiere­nde Infektions­zahlen in der dritten Corona-welle stoppen, anderersei­ts seinen Afrikanisc­hen Nationalko­ngress (ANC) reformiere­n, der unter der Amtszeit seines Vorgängers Jacob Zuma im Sumpf einer Klientel- und Günstlings­clique versank. Zumas Inhaftieru­ng galt daher als wichtiger Meilenstei­n für die junge Demokratie. Zudem muss der Staatschef dringend Arbeitsplä­tze schaffen. Denn eine der härtesten Ausgangssp­erren der Welt hat die Wirtschaft­skrise aus der Vor-pandemieze­it am Kap noch verschärft.

Ganze Industrien – etwa im Tourismusb­ereich – ächzten unter Restriktio­nen. Viele Betriebe gaben auf. Die, die durchhielt­en, werden nun mit neuen Sorgen konfrontie­rt: Ladeneinri­chtungen zerstört, Waren geplündert, kein Geld mehr in der Kasse. Viele Jobs drohen wegzufalle­n. Das Militär soll nun mit der Polizei die Sicherheit durchsetze­n – was wiederum dem populistis­chen Eff-politiker Julius Malema missfällt. Er kündigte für den Fall der Mobilisier­ung Proteste seiner Anhänger an.

Ex‰minister Buthelezi: „Es bricht mir das Herz“

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Foto: Andre Swart, dpa In Südafrika eskaliert die Gewalt: Plünderer stehen vor einem Einkaufsze­ntrum in Durban neben einer brennenden Barrikade.

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